Antonia Schlosser: „Tourismus erfordert im Hinblick auf die Klimakrise eine ganz neue Sorgfalt der Medien“
Von Ann-Cathrin Schürholz, 25. April 2024
Antonia Schlosser kennen viele auch als Toni von den Bergfreundinnen. Das erfolgreiche BR-Format ist neben wöchentlichen Podcast-Folgen vor allem durch seine mehrteiligen Doku-Serien bekannt. Im Interview mit der Host, Autorin und Redakteurin haben wir nicht nur über die Entstehungsgeschichte des Podcasts gesprochen, sondern auch darüber wie Medien und Tourismus zueinander stehen. Am 07. Mai wird sie unsere halbtägige Konferenz MEDIA meets TOURISM moderieren.
Antonia, gemeinsam mit Kaddi und Cathi bist du Host des Bergfreundinnen-Podcast. Wie kam es zur Gründung eures Podcasts?
Antonia Schlosser: Der Podcast entstand aus einer Idee der Munich Mountain Girls, einer On- und Offline-Community für Bergfrauen in München. Die Community wurde 2016 gestartet, weil man feststellte, dass München eine Stadt ist, in die viele Menschen ziehen, die die Berge für sich entdecken, aber Schwierigkeiten haben, Anschluss zu finden. Diesem Bedürfnis wollte diese Gruppierung nachgehen und hat Facebook-Gruppen gegründet, in denen man sich unter Frauen vernetzen und Bergfreundschaften knüpfen kann. Die Idee zum Podcast entstand dann ein paar Jahre später. Das war ehrlicherweise auch zu einer Zeit, in der jeder einen Podcast hatte. Kaddi, ein Gründungsmitglied der Munich Mountain Girls, arbeitete beim Bayerischen Rundfunk. Sie schlug vor, den Podcast gemeinsam mit dem BR zu entwickeln. Denn: Einen richtig guten Podcast zu machen, ist gar nicht so einfach. Da hilft Produktionspower schon sehr.
Wir erzählen nicht nur die großen Promi-Geschichten, sondern auch die der Alltagsheldinnen.
Antonia Schlosser
Welche Ziele verfolgt ihr mit eurem Podcast?
Antonia: In erster Linie wollten wir ein Angebot schaffen für Frauen, die wie wir selbst sind. Gerade die Medienberichterstattung im alpinen Bereich ist oft noch sehr männerdominiert. Meist gibt es nur klassische Interview-Podcasts: Irgendein Alpin-Promi wird interviewt und erzählt von seiner krassen Expedition. Das hat durchaus seine Berechtigung. Und das höre ich auch gern. Aber wir wollen auf Augenhöhe der Menschen erzählen, denen es nicht immer nur um höher, schneller, weiter geht. Wir erzählen nicht nur die großen Promi-Geschichten, sondern auch die der Alltagsheldinnen.
Ihr habt letztes Jahr auch das Buch „Bergfreundinnen: Vom Gipfelglück und anderen Abenteuern“ veröffentlicht. Wie unterscheidet sich das Erzählen von Outdoor-Themen im Podcast und im Buch?
Antonia: Letztendlich hast du in einem Buch viel mehr Zeit zum Erzählen. Rein vom Storytelling her musst du darin viel mehr beschreiben. Denn das, was du im Podcast zum Beispiel akustisch mit Geräuschen machen kannst zur Orientierung, für die Atmosphäre und Vorstellungen, wie etwas aussieht und klingt, hast du im Buch natürlich nicht.
Und was ist der inhaltliche Unterschied?
Antonia: Tatsächlich ist das Buch nah am Podcast. Podcast-Folgen verschwinden sehr schnell. Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, die bei mittlerweile über 200 Folgen ganz nach unten scrollen, um sich die Geschichten anzuhören, die wir damals recherchiert und gemacht haben. Unser Bestreben war es, mit dem Buch unsere bis dato liebsten Themen und Geschichten noch einmal neu zu recherchieren und an einem Ort zusammenzufassen, der etwas dauerhafter und präsenter ist als der Podcast Feed. Wenn man dieses Buch in der Mitte aufschlägt und zum Beispiel die Geschichte von Erika liest, die ihre Freundin am Schreckhorn verloren hat, dann hat das – finde ich – eine ganz andere Präsenz.
Welche Medien nutzt du, um dich über touristische Themen und Reiseziele zu informieren?
Antonia: Ich bin jemand, der immer noch nach den ganz klassischen Online-Reiseblogs sucht, die von irgendwelchen Leuten privat betrieben werden. Die werden immer rarer, aber ich habe das Gefühl, dass ich da wirklich Orte finde, die nicht in jedem Lonely Planet stehen. Klassische Reiseführer, die mir meine Eltern teilweise mitgeben, nutze ich eher weniger. Dafür ist das Thema Social Media kaum noch wegzudenken. Ich schaue mittlerweile viel auf TikTok. Da landest du aber natürlich auch bei den Hotspots. Außerdem sehe ich mir YouTube-Videos über Reiseziele an, um mir eine Vorstellung zu machen, wie es dort aussieht.
Es braucht den Mut, kritisch zu sein und den Mut, Altbewährtes hinter sich zu lassen, um in Richtung Zukunftsfähigkeit zu gehen.
Antonia Schlosser
Wie wichtig sind deiner Meinung nach Medien für den Tourismus?
Antonia: Medien sind für den Tourismus genauso wichtig wie für jede andere Branche, um darüber zu berichten – im Sinne von was es für Neuerungen und spannende Entwicklungen gibt, aber natürlich auch, um einen kritischen Blick darauf zu werfen. Und da glaube ich, dass gerade das Thema Tourismus im Hinblick auf die Klimakrise eine ganz neue Sorgfalt auch von Seiten der Medien erfordert. Es braucht den Mut, kritisch zu sein und den Mut, Altbewährtes hinter sich zu lassen, um in Richtung Zukunftsfähigkeit zu gehen. Denn dass Menschen in den Urlaub fahren und Länder bereisen wollen, das wird sich meiner Meinung nach nicht ändern, egal was passiert.
Als Moderatorin des Bergfreundinnen-Podcasts und des Bayern2-Rucksackradios bist du vor allem eng mit dem alpinen Lebensstil verbunden. Wie siehst du die Rolle der Medien bei der Förderung des Outdoor-Tourismus?
Antonia: Diese Frage stellen wir uns als Bergfreundinnen auch immer wieder, wenn wir zum Beispiel eine Doku machen: Welche Regionen zeigen wir? Welche Art von Bergsport zeigen wir? Wie kommen wir unserer Verantwortung, unserer Vorbildfunktion nach? Da sind wir uns nicht immer einig, aber allein der Diskurs bringt uns als Medienschaffende schon weiter.
Ich glaube, unsere Rolle als Medienschaffende ist es, uns selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen. Nicht jeder Ort, über den wir berichten, wird zum absoluten Hotspot, der unter den Massen zusammenbricht. Aber es ist wichtig, da mit Sorgfalt, Verantwortungsbewusstsein und Fingerspitzengefühl heranzugehen und auch zu beobachten, wie sich gewisse Dinge entwickeln, nachdem man darüber berichtet hat, um daraus zu lernen. Ich glaube, ganz viele Kolleginnen und Kollegen, die das schon länger machen, haben früher zum Beispiel über Touren-Tipps ganz anders berichtet, als sie es heute machen würden. Gerade Touren-Tipps sind immer noch ein Thema, das auch auf Social Media heiß diskutiert wird – vor allem, wenn etwas passiert. Denn eine Tour, die für den einen leicht ist, ist für den anderen schwer und herausfordernd.
Nachhaltigkeit und Verantwortung sind Themen, die im Tourismus immer wichtiger werden. Wie versucht der Bergfreundinnen-Podcast diese Themen aufzugreifen?
Antonia: Wir versuchen die Themen Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Natur immer mitschwingen zu lassen. Das fängt schon an, wenn wir Community-Wanderungen machen und zum Beispiel auf dem Weg nach oben gemeinsam Müll sammeln. Auch wenn wir über Ausrüstung berichten, weisen wir immer darauf hin, dass Second Hand durchaus möglich ist und verweisen auf Second Hand-Plattformen, wie zum Beispiel die Flohmarktgruppe der Munich Mountain Girls.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Vermittlung von Nachhaltigkeit?
Antonia: Ich habe das Gefühl, dass alle von dem Thema ein wenig genervt sind. Ich glaube, wir haben alle mittlerweile realisiert, dass das, was wir auf individueller Ebene tun können, meist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Gerade beim Thema Klimakrise können wir nicht viel ändern, indem wir unsere Schuhe Secondhand kaufen. Aber zumindest machen wir das Problem damit im besten Fall nicht größer.
Die Schwierigkeit besteht darin, einerseits auf die Missstände hinzuweisen und zu sagen, „Hey Leute, wenn sich nichts ändert, laufen wir in eine absolute Vollkatastrophe rein“ und andererseits den Menschen dieses Ohnmachtsgefühl zu nehmen oder es gemeinschaftlich zu teilen. Es geht darum, eine emotionale Teilhabe an dem ganzen Prozess zu haben. Das ist etwas, das nicht immer allen gelingt, was auch uns nicht immer gelingt. Wir sind ein sehr emotionaler und persönlicher Podcast und sagen: „Ey, uns geht es genauso“. Wir fragen uns auch jedes Mal, ob wir uns wirklich noch ins Auto setzen sollten und heute Skifahren gehen. Ich frag mich zum Beispiel, ob ich Alpin-Skifahren, eine Sportart, die ich liebe und seit meiner Kindheit mache, noch weitermachen kann. Das sind Fragen und Antworten, da gibt es für viele Menschen kein klares schwarz und weiß. Aber allein diese Grauschattierungen abzubilden, hilft Menschen in diesem Ohnmachtsgefühl, das man einfach hat.
Ich würde mir ein gemeinsames Arbeiten an konstruktiven Lösungen wünschen, einen offenen, kritischen Austausch untereinander und auch die Bereitschaft, sich zu ändern.
Antonia Schlosser
Was können Medien- und Tourismusbranche voneinander lernen?
Antonia: Ich habe vor allem in meiner Arbeit festgestellt, dass es ein zwiespältiges Verhältnis gibt. Einerseits bekommen wir immer wieder Einladungen nach dem Motto: „Hey, kommt vorbei und berichtet über das Skigebiet“. Oft habe ich das Gefühl, dass von den Medien dabei in gewisser Weise eine Promo-Haltung erwartet wird. Sobald es aber um kritische Themen geht, werden einem sehr schnell die Türen verschlossen.
Deshalb glaube ich, dass beide Seiten aufeinander zugehen sollten. Ich würde mir ein gemeinsames Arbeiten an konstruktiven Lösungen wünschen, einen offenen, kritischen Austausch untereinander und auch die Bereitschaft, sich zu ändern. Sei es der/die Journalist:in, der/die von der luxuriösen Pressereise Abstand nimmt. Und seien es die einzelnen Tourismusregionen, die sich proaktiv mit kritischer Berichterstattung auseinandersetzen, das Gespräch suchen und sich auch ein Stück weit davon inspirieren zu lassen, um Lösungen zu finden. Und das müssen wir letztlich auch, um die Grundlage unserer Arbeit zu schützen. Denn die Natur ist die Basis des Tourismus und der Tourismus ist die Basis der Tourismus-Berichterstattung. So sind wir alle miteinander verbunden und daran interessiert, einen zukunftsfähigen Tourismus zu schaffen.
Wenn du mehr über das Zusammenspiel von Medien und Tourismus erfahren möchtest, melde dich gern kostenfrei zu unserer Konferenz MEDIA meets TOURISM am 07. Mai in München an! Antonia Schlosser wird das Event moderieren.