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„Zuhause ist auch ein Gefühl“

Von Stefanie Heyduck

Je digitaler unser Alltag wird, desto größer wird die Sehnsucht nach wahren Begegnungen. Christiane Varga vom Think-Tank Zukunftsinstitut gehört zu den Speakern bei der Fachkonferenz media meets SMART HOME am 6. Dezember. Im Interview mit dem MedienNetzwerk Bayern verrät sie ihre Gedanken zur Zukunft des Wohnens und erklärt, wie sich neue Lebensstile auf das Verständnis von Zuhause auswirken.

Frau Varga, was macht man in einem Zukunftsinstitut?

Christiane Varga: Meine Kollegen und ich untersuchen, wie sich Gesellschaftsformen, unsere Art zu leben, Lebensstile verändern, und welche neuen Bedürfnisse sich daraus ergeben.

Mein Spezialfeld ist die Zukunft des Wohnens, die sich durch große Trends wie Digitalisierung und Individualisierung stark verändern wird. Unsere Lebenskonzepte werden immer ausdifferenzierter: Arbeit und Freizeit vermischen sich. Wir arbeiten mal zuhause, mal im Café oder im Park. Unsere Gesellschaft altert zwar, man bleibt aber länger jung. Mit den Auswirkungen dieser Phänomene und ihren Wechselwirkungen auf die Art, wie wir wohnen und leben, beschäftige ich mich.

Wie definieren Sie Zuhause?

Varga: Im Zukunftsinstitut haben wir den Begriff des vitalen Zuhauses geprägt. Unsere Lebensstile werden immer vielfältiger. Die klassische dreigeteilte Lebensgeschichte Ausbildung, Familiengründung und Lebensabend verändert sich massiv.

Nach der Schule liegt heute der Schwerpunkt eher darauf, die Welt zu entdecken und sich erstmal nicht festlegen zu wollen. Dazu kommt, dass sich junge Leute keinen großen Wohnraum leisten können und bestimmte Services eher dazu mieten wollen, die in einem Viertel, einem Quartier angeboten werden. Stichwort Co-Living.

Wir beobachten den Trend, dass heute auch Sechzigjährige einen ähnlichen Lebensstil und ähnliche Bedürfnisse haben. Man fühlt sich noch nicht alt, hat noch viel Zeit.

Wenn wir uns die „Rush Hour“, die Mitte des Lebens anschauen, wird diese meistens als anstrengend empfunden. Frauen sind häufiger berufstätig als früher, dazu kommt die Kindererziehung, Karriereplanung des Partners – der Familienalltag erfordert Organisationstalent. Heutzutage leben wir nicht mehr in Großfamilien, sind viel mobiler. Das hat zu einem Revival von Nachbarschaftsorganisationen geführt, die sich austauschen und gegenseitig helfen.

Welche Auswirkungen hat das auf unsere Wohnungen?

Varga: In der Soziologie gab es früher drei Orte, die voneinander getrennt waren. Zuhause, Arbeit und Öffentlichkeit. In den 1950er- und 1960er-Jahren waren das Familienmodell und wer welche Aufgabe im Haus übernimmt viel klarer. Interessant ist, sich die Grundrisse der Häuser der Nachkriegszeit anzusehen: Der Küchenraum war abgetrennt, es gab ein Esszimmer. Den Räumen waren Funktionen und Rollen zugeteilt. Heute ist unsere Gesellschaft offener, Geschlechterrollen vermischen sich.

Als großer Treiber lässt die Digitalisierung diese Räume miteinander verschmelzen. Oft merken wir gar nicht, wie sehr das unsere Art zu leben langfristig verändert. Die Räume werden zu Zonen. Heute finden wir viele große, offene Küchen, die nahtlos in den Wohnbereich übergehen. Die Küche ist ein Ort der Kommunikation, des Austausches geworden.

Sogar Schlafzimmer und Badezimmer vermischen sich architektonisch immer mehr. In der Hotellerie ist das heute schon zu beobachten. Die Badewanne steht mitten im Raum. Das Badezimmer ist also nicht mehr nur Nasszelle, sondern Wellness- und Entspannungsbereich.

Wie digital wird unser Wohnraum? Werden wir bald alle im Smart Home leben?

Varga: Nein, das glaube ich nicht. Jeder Trend hat auch einen Gegentrend. Frühere Zukunftsvisionen von Metropolen aus Stahl und Glas, durch die fliegende Autos surren, sind immer noch nicht Realität geworden. Im Gegenteil: Die Städte werden wieder grüner, es gibt Hochhäuser aus Holz. Gerade weil unser Alltag so digital ist, wird der Wunsch nach wahren Orten und Begegnungen, nach dem Haptischen, wieder größer.

Die Lücke zwischen dem, was technologisch möglich ist, und dem, was von der Öffentlichkeit angenommen wird, ist groß. Ist alles miteinander vernetzt, müssen wir uns mit den Themen Fehleranfälligkeit, Hacking und Datenschutz auseinandersetzen. Und nicht zuletzt mit dem Thema Transparenz, wenn es um smarte Lautsprecher geht. Ich sehe nicht, dass Voice den Touchscreen ablösen wird. Selbst Dinge zu erledigen und tätig zu sein, mit dem eigenen Leben und Umfeld in einer Beziehung zu stehen, ist etwas tief Menschliches.

Ich würde mir hier mehr Aufklärung von Herstellern wünschen. In unseren Breitengraden fehlt die Balance zwischen Riesenhype und totaler Skepsis. Schön wäre, man würde mehr über sinnvolle Anwendungen von Sprachassistenten nachdenken. Besonders im Forschungsfeld Ambient Assisted Living, wo der Alltag älterer oder kranker Menschen technologisch unterstützt werden kann.

Welche Technologien haben für Sie Berechtigung im Haus der Zukunft?

Varga: Interessant ist die virtuelle oder erweiterte Realität. Etwa im Bereich der Innenarchitektur unterstützen Apps beim Kauf des neuen Sofas oder bei der Einrichtung des neuen Schlafzimmers. Hier kann man recht schnell ein realistisches und detailgetreues Bild in den Raum projizieren.

Spannend ist auch die Möglichkeit mit virtueller Realität in neue Welten einzutauchen und Neues zu entdecken. Damit meine ich nicht, dass Leute in Zukunft nur noch virtuell verreisen. Aber Menschen etwa, die nicht mehr so beweglich sind oder gerade das Geld nicht haben, bekommen die Möglichkeiten, andere Orte anzuschauen.

Am 6. Dezember 2018 spricht Christiane Varga bei der Fachkonferenz media meets SMART HOME im Haus der Bayerischen Wirtschaft.

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