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Jonas Karpa und Lukas Schöne bei Connect & Act zum Thema Barrierefreiheit

Connect & Act: Barrierefreiheit – Digitale Treppen in Rampen verwandeln

Von Lisa Pandtle

Jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine Behinderung. Die meisten davon sind nicht sichtbar und entstehen im Laufe des Lebens, nur rund drei Prozent sind angeboren. Trotz der großen Zahl an Betroffenen scheint das Thema noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Das soll unter anderem der Ideathon Connect & Act: Barrierefreiheit ändern: Mit dem Event hat sich das MedienNetzwerk Bayern zum Ziel gesetzt, Barrierefreiheit in Medienhäusern voranzutreiben – gemeinsam mit Medienschaffenden und den Expert:innen des Vereins Sozialheld*innen e.V.

Konkrete Lösungsansätze zum Thema Barrierefreiheit in und durch Medienunternehmen zu erarbeiten: So lautet das Ziel von Connect & Act 2022. Am Vorabend des samstäglichen Ideathons haben sich Teilnehmer:innen, Interessierte und die Sozialheld*innen bereits bei einem Get-together zum Thema austauschen können.

Mit einem Blick auf den Status-quo haben Lukas Schöne, Audio- und Journalismus-Experte im MedienNetzwerk Bayern, und Jonas Karpa, Redakteur bei den Sozialheld*innen, das Event eröffnet. Dass es am Medienstandort Deutschland bezüglich Barrierefreiheit noch viele Baustellen gibt, wird gleich zu Beginn des Gesprächs deutlich. Um etwa in Redaktionen oder Medienhäusern Barrieren abzubauen und eine angemessene Sprache für journalistische Inhalte zu nutzen, gelte es für Medienschaffende, Begegnungen und Berührungspunkte zu suchen, so Karpa – auf Leute zuzugehen, sich zu unterhalten und in Menschen mit Behinderung keinen „Sonderfall“ zu sehen.

„Inklusion und Barrierefreiheit sind keine Special-Interests. Diese Anliegen sollten in allen Belangen mitgedacht werden – ohne dabei großartig thematisiert zu werden“, erklärt der Leidmedien-Redakteur. „Disability Mainstreaming“ sei das Stichwort, so Karpa.

Jonas Karpa bei Connect & Act: Barrierefreiheit

Disability Mainstreaming ist das Ziel

Die Sozialheld*innen legen bereits ihren Fokus darauf, Menschen, Institutionen und Unternehmen dafür zu sensibilisieren, Menschen mit Behinderungen als Zielgruppe bei den verschiedensten Produkten und Dienstleistungen mitzudenken. „Wir sind heute hier, um quasi Werbung dafür zu machen, Menschen mit Behinderung nicht auszuschließen und sie nicht zu diskriminieren“, eröffnet Karpa den Ideathon am Samstagmorgen mit dem ersten Workshop zu Berichterstattung über Menschen mit Behinderung.

Sein Anliegen: Behinderung ist vielfältig – es geht nicht nur um den Rollstuhl. Laut UN-Behindertenrechtskonvention  besteht sie „aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren.“ Mit Connect & Act will das MedienNetzwerk Bayern dazu beitragen, diese Barrieren aufzuzeigen und abzubauen. Der Ideathon am Samstag fand in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien statt, die unter anderem für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Barrierefreiheit im privaten Rundfunk zuständig ist.

Sprache: Der Blick auf Behinderung

Die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung sei meist instrumentalisierend und ausschließend, beobachtet Jonas Karpa. Und: „Oft wird die Behinderung als Token benutzt, um sie in den Fokus zu stellen.“ Häufig sei der Blick auf Menschen mit Behinderung mitleidig und vernichtend, und man stelle sie leidend oder in der Opferrolle dar. Nicht besser sei es, Menschen mit Behinderung zuweilen „bewundernd und heldenhaft“ dazustellen. Auch hier werde der Mensch auf seine Behinderung reduziert. „Aufklärungsarbeit sei daher sehr wichtig“, so der Redakteur.

„Aufklärung ist nur dann möglich, wenn Menschen mit Behinderung zu Wort kommen. Soziale Netzwerke sind eine gute Plattform, um Sichtbarkeit zu schaffen. Hier kann der eigene Blick auf Behinderung platziert werden.“

Jonas Karpa

Leidmedien.de: Begriffstabelle mit DO’s und DONT‘s in der Sprache
Leidmedien.de: Begriffstabelle mit DO’s und DONT‘s in der Sprache

Neben der Sprache sollten Medienschaffende auch auf die bildliche Darstellung von Menschen mit Behinderung achten. Der Sozialheld Karpa hat auch hierzu einige Tipps parat:

Fünf Tipps  für die Bildsprache zu Behinderung

– Personen auf Augenhöhe darstellen und aktiv in die Szenerie einbinden
– Realistische Proportionen beachten
– Blickwinkel beachten
– Nicht zu anonym bleiben
– Authentisch sein: Bilder gemeinsam mit Menschen mit Behinderung entstehen lassen

Beispiele dafür finden sich auf gesellschaftsbilder.de

Barrierefreie Inhalte und Technologien

Um die gleichberechtigte Teilhabe im gesellschaftlichen Leben geht es Sarah Krümpelmann, wissenschaftliche Referentin bei den Sozialheld*innen. Ihr Impuls zu barrierefreien Inhalten und Technologien schließt an Karpas Vortrag an.

„Verwandelt eure digitalen Treppen in Rampen.“

Sarah Krümpelmann

„Teilhabe bedeutet Präsenz und Mitgestaltung in den Medien, der sichere Zugang zu Medien und assistiven Technologien“, so Krümpelmann. Zudem sei Barrierefreiheit nicht nur für Menschen mit Behinderung wichtig. Jede:r stoße im Laufe seines Lebens auf Barrieren – permanent, temporär oder situativ, führt die Sozialheldin aus und nennt Beispiele wie ein gebrochenes Bein, ein Rollator für ältere Menschen oder auch ein Kinderwagen, der in der Mobilität einschränkt.

Inhalte zugänglich machen

Wenn es darum geht, Inhalte für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen, sieht Sarah Krümpelmann viele Möglichkeiten – die auch der Digitalisierung zu verdanken sind. Mit nur wenigen Handgriffen kann man Inhalte barrierefrei gestalten.

  • Wenn es um Bilder geht: 
    • Im Alternativtext sollten alle wesentlichen Inhalte und eine Bildbeschreibung stehen. 
    • Wenn im Bild beispielsweise eine Behinderung passiert, sollte sie auch im Alternativtext passieren. 
    • Zwei bis drei Sätze mit den wichtigsten Infos ohne Interpretationen reichen aus.
  • Wenn es um Videos geht: 
    • Mit Untertiteln Inhalte transportieren. 
    • Eventuell Gebärdensprachdolmetschung einbauen.
    • Audiodeskriptionen nutzen, um den Inhalt durchlesen zu können. 
  • Wenn es um das Schriftbild geht:
    • Die Schriftgröße sollte mindestens bei zwölf Punkt liegen, deutlich lesbar und ohne Serifen (z.B. Arial).
    • Kontraste sollten vorab getestet werden.
    • Der Farbeinsatz sollte nicht als einzige Methode genutzt werden.
    • Texte sollten verständlich für alle sein: für Menschen mit Lernschwierigkeiten, für Menschen anderer Muttersprache, für Menschen mit Demenz und vieles mehr.

Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz

Wie Medien über Menschen mit Behinderung berichten, ist das eine. Doch geht es auch darum, wie Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt eingebunden sind. „Inklusion ist keine Charity oder Nettigkeit, sondern ein Menschenrecht“, eröffnet Anne Gersdorff, Referentin bei den Sozialheld*innen, den dritten Impulsvortrag des Ideathons. Menschen mit Behinderung würden häufig gar nicht erst zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Dass sie unkündbar, nicht so leistungsfähig, ständig krank und eine Belastung seien – das sind für die Referentin klare Vorurteile.

„Behinderungen sind vielfältig, Arbeitsplätze auch: Grundsätzlich ist jeder Arbeitsplatz auch durch Menschen mit Behinderung ausfüllbar.“

Anne Gersdorff

Anne Gersdorff bei Connect & Act: Barrierefreiheit

Eines der Probleme stellt aus ihrer Sicht das nicht-inklusive Bildungssystem in Deutschland dar. Es ermögliche Menschen mit Behinderung von Anfang an nicht dieselben Chancen, so Gersdorff. Auch Werkstätten für behinderte Menschen seien nicht nur positiv zu sehen, kritisiert die Referentin. Die Begründung: „Sie ermöglichen zwar Arbeitsplätze, dennoch nutzen Unternehmen diese gerne, um Steuern und Abgaben zu sparen.“

Mit einem Albert-Einstein-Zitat beendet Gersdorff ihren Workshop: „Jeder Mensch ist begabt. Wir sind alle unterschiedlich, es gibt für jede:n einen Ort am Arbeitsmarkt, wo er oder sie teilhaben kann.“

In der anschließenden Kleingruppen-Phase hat die praktische Arbeit im Vordergrund gestanden. Mit folgenden Fragen: Welche Barrieren bestehen in den Medienhäusern der Ideathon-Teilnehmenden? Welche konkreten Lösungswege können die drei morgendlichen Workshops zu barrierefreien Arbeitswelten, Berichterstattung sowie Inhalten und Technologien aufzeigen?

Ein Ideathon kann wichtige Impulse setzen: Die Teilnehmenden nehmen mit, wie barrierefreie Texte in einfacher Sprache und alternative Bildbeschreibungen zu formulieren sind. Sie sind sensibilisiert für die authentische Darstellung von Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe und für unterschiedliche Medien von Text bis Bewegtbild neu zu denken. Zusätzlich ist ein Eindruck entstanden, wie eine inklusive Unternehmenskultur gestärkt werden kann und wie Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen Unternehmen mit ihren Fähigkeiten bereichern können, ohne dabei auf Barrieren zu stoßen.

Das Fazit am Ende des Ideathons zieht Anne Gersdorff: „Nur eine einzige Person kann bereits eine Kettenreaktion auslösen. Wenn eine:r beginnt, Barrieren abzubauen, hat das Auswirkungen auf das Unternehmen und kann somit auch Einfluss auf die gesamte Medienbranche nehmen.“

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