„Lokal ist wieder Trend“: Warum der Lokaljournalismus so schnell nicht aussterben wird
Von Ann-Cathrin Schürholz, 19. April 2024
In Zeiten von Zeitungssterben und KI-Boom: Wie erhalten wir unabhängige Medien? Wo kann künstliche Intelligenz im Journalismus sinnvoll eingesetzt werden, wo nicht? Und ist der Lokaljournalismus durch KI in Gefahr? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Creative Session „What happens to the… Medienszene“ von MUCBOOK mit Moderator Moritz Müllender, Johannes Ott von Radio Gong 96.3, Jacqueline Hoffmann vom MedienNetzwerk Bayern, Klaus Kranewitter von der MEDIASCHOOL BAYERN und Lukas Paetzmann von Articly.
Klar ist: Demokratie braucht kritischen Journalismus. Doch immer weniger Menschen sind bereit, dafür zu bezahlen. Stattdessen wächst das Misstrauen in die Medien und es scheint, als könnten nur die etablierten Medienhäuser den Einbruch der Werbeeinnahmen verkraften. Gleichzeitig zeigen Studien, dass dort, wo der Lokaljournalismus verschwindet, und die Medienvielfalt abnimmt, auch die Wahlbeteiligung sinkt und die Korruption steigt. Wie können wir also guten (Lokal-)Journalismus erhalten?
Die Bedeutung von Radio heute
Moritz Müllender, Redakteur bei MUCBOOK, eröffnete die Diskussion direkt mit der Frage: Warum brauchen wir heute noch Radio? Gerade für Musik gäbe es mit Spotify und Co. doch mittlerweile bessere Alternativen. Johannes Ott, Geschäftsführer von Radio Gong, antwortete darauf mit der Notwendigkeit von konstruktivem Journalismus: „Was wir machen, ist Social Radio“. Radio sei Informationsmedium und Unterhaltung zugleich. Es gehe vor allem darum, eine emotionale Bindung zur Community herzustellen, so der Geschäftsführer.
Nischen-Content kann durch KI leicht produziert werden. Dadurch können auch sehr spitze Zielgruppen bedient werden.
Jacqueline Hoffmann, MedienNetzwerk Bayern
Dass dabei die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus durchaus fließend sein können, veranschaulichte er mit folgendem Beispiel: Als ein Mädchen im Münchner Eisbach ertrank, weil es nicht schwimmen konnte, nahm Gong 96.3 dies zum Anlass, um weiter zu recherchieren und mit Politiker:innen und Hörer:innen über verpflichtende Schwimmkurse zu diskutieren. Das Ergebnis: Gemeinsam mit der Wasserwacht organisiert der Radiosender nun jährlichen einen kostenlosen Schwimmkurs für 1000 Münchner Kinder – die „Gong 96.3 Schwimmschule“.
Wie Medien relevant bleiben
Auch Jacqueline Hoffmann vom MedienNetzwerk Bayern betonte, dass Community Building ein wichtiger Aspekt sei, um journalistische Medien relevant zu halten. Was sie Medienhäusern noch raten würde? „Auf Tuchfühlung gehen, kreativ sein und die Themen aufgreifen, die am meisten brennen.“ Außerdem sei es ratsam, verschiedene Kanäle wie Podcasts und Games zu nutzen und passende Content Bundles zu schnüren, um möglichst viele Menschen mit den journalistischen Inhalten zu erreichen.
KI wird noch mehr Spezialisierung verlangen.
Klaus Kranewitter, MEDIASCHOOL BAYERN
Das Bespielen vieler Kanäle sei natürlich nur möglich, wenn auch das nötige Wissen darüber vorhanden sei – und das beginne schon bei der richtigen Nachwuchsförderung. Eine Aufgabe, die sich die MEDIASCHOOL BAYERN auf die Fahnen geschrieben hat. Klaus Kranewitter, Programmleiter des Angebots, ist sich sicher: „Medienschaffende heute müssen nicht alles können. Aber sie sollten die Chance haben, sich auszuprobieren.“ In der MEDIASCHOOL wird deshalb schon fleißig mit KI experimentiert. Denn Kranewitter glaubt, dass KI noch mehr Spezialisierung in den Medienberufen erfordern wird.
Die Rolle von KI im Journalismus
„Vor allem das Medium Audio hat im KI-Zeithalter nochmal ganz neuen Rückenwind bekommen“, meinte Lukas Paetzmann von Articly, einer App mit vertonten Zeitungsartikeln. Durch KI könnten nun ganz neue Produkte entstehen. „Nischen-Content kann durch KI beispielsweise leicht produziert werden“, ergänzte Jacqueline Hoffmann. Dadurch könnten auch spitze Zielgruppen bedient werden, was wiederum dem Community Building zugute komme.
Vor allem das Medium Audio hat im KI-Zeithalter nochmal ganz neuen Rückenwind bekommen.
Lukas Paetzmann, Articly
Johannes Ott gab allerdings zu bedenken, dass synthetische Stimmen derzeit noch nicht so lange gehört werden könnten. „Ein KI-moderiertes Programm ist bisher noch zu schlecht.“ Es sei nicht authentisch, nicht emotional und mache Fehler. Der Geschäftsführer des Radiosenders stellte jedoch einen anderen Use Case vor: Den Radio Ad Maker. Dieser ermögliche es vor allem kleinen Unternehmen, schnell und einfach einen Radiospot zu produzieren und zu buchen. Seine Prognose: In fünf bis zehn Jahren werde ein Großteil der Spots mit KI produziert sein. Deshalb appellierte er an die Medienschaffenden: „Man muss sich jetzt mit KI beschäftigen. Wir alle müssen lernen, damit zu arbeiten.“
Herausforderungen und Chancen von KI im Journalismus
Den Abschluss bildete ein Ausblick auf die Zukunft des Journalismus mit KI. Im Hinblick auf die Herausforderungen betonten die Redner:innen die zentrale Bedeutung von Transparenz und Vertrauen bei KI-generierten Inhalten. Jacqueline Hoffmann verwies in diesem Zusammenhang auf eine im Januar 2024 veröffentlichte Studie des Hamburger Brand Science Institute, die zeigt, dass die Zahlungsbereitschaft der Leser:innen von Online-Nachrichten durch den redaktionellen Einsatz von künstlicher Intelligenz um ganze 30 Prozent zurückgeht. Johannes Ott fügte hinzu, dass alle Inhalte, bei denen KI zum Einsatz kommt, besonders genau geprüft werden sollten, um das Vertrauen der Hörer:innen nicht zu verlieren. „Schließlich ist Radio das Medium mit dem höchsten Vertrauen.“ Jacqueline Hoffmann betonte auch, wie wichtig es sei, Menschen außerhalb der Medienbranche mitzunehmen. Transparenz sei dabei ein Weg, um den Digital Divide nicht noch weiter zu vergrößern. KI gefährde auch die Erlösmodelle im Journalismus, sagte Ott. „Um neue Lösungen zu schaffen, sind Synergien und Kooperationen wichtiger denn je.“
Man muss sich jetzt mit KI beschäftigen. Wir alle müssen lernen, damit zu arbeiten.
Johannes Ott, Radio Gong 96.3
Lukas Paetzmann zeigte sich optimistischer und wies darauf hin, dass der hyperlokale Journalismus in gewisser Weise vor der KI geschützt sei. Die Crawler konzentrierten sich vor allem auf den großen Durchschnitt, weshalb der Lokaljournalismus bei der KI oft auf der Strecke bleibe. Johannes Ott stimmt zu: „Lokal ist wieder Trend.“