Newsletter erhalten

Wie Daten die Marketing- und Werbebranche verändern

Von Petra Schwegler, Mitarbeit: Magnus Gebauer

Mit Daten lässt sich die Kundenansprache klüger und zielgerichteter steuern. Selbst Beschränkungen durch die DSGVO oder die wirtschaftliche Delle durch die Corona-Krise können den Trend nicht stoppen. Welche Bedeutung Data Science inzwischen für die bayerische Marketing- und Werbebranche hat, zeigen die bayerischen Unternehmen DEFACTO, emax.digital, Munich Digital Institute, OMD, pilot, Plan.Net Connect, rt1.media group und Traffective.

Lieber später lesen oder ausdrucken? Hier gibt’s den CONTENT DROP als pdf zum Download:

Wie Daten die Marketing- und Werbebranche verändern

Vor knapp einem Jahrzehnt tauchte der Begriff Big Data auf. Damals, im Jahr 2011, wurde das weltweite Datenvolumen auf über ein Zettabyte geschätzt – eine Maßeinheit für Speicherkapazität mit 21 Nullen. Bis 2025 sollen rund um die Erde bereits 175 Zettabyte an Datenströmen anfallen, wie Bayerns Verbraucherschutz-Ministerium schätzt. Weitere Korrekturen nach oben werden aufgrund der rasanten Entwicklung nicht ausgeschlossen.

Verbraucher*innen dienen als fleißige Lieferant*innen von Daten, die von Unternehmen genutzt werden: mit Aktivitäten in sozialen Netzwerken, mit Suchanfragen im Netz, mit dem Sammeln von Treuepunkten an der Supermarktkasse, mit dem Tragen von Wearables oder auch mit smarten Audio- und TV-Geräten.

„Daten sind das neue Gold“, lautete anfangs die Schlagzeile. „Informationen sind das neue Öl“, fügte die IT-Branche vor rund zwei Jahren hinzu. Denn inzwischen ist die Goldgräberstimmung der Anfangsjahre einem tiefgreifenden Analyseprozess und dem Verständnis gewichen, was die unzähligen Bits und Bytes über uns aussagen. Daten helfen Anbietern beim Durchleuchten des Konsumverhaltens, um uns dann auf möglichst vielen Wegen gezielt mit Werbung anzusprechen, passende Produkte zu entwickeln, zu bepreisen und sie anzubieten.

Daten im Marketingbereich: Ein Paradigmenwechsel

Einer, der mit gesammelten Informationen kluge Rückschlüsse auf Kund*innen und Kundensegmente zieht, ist Alexander Windhorst. Der Geschäftsführer der Agentur Plan.Net Connect in München und sein rund 50-köpfiges Team bieten „Data-Consulting, Lead Generation, E-Mail-Marketing, CRM Strategy, Customer Engagement“. Also alles, was sich aus Kundendaten erlesen, ableiten und einordnen lässt. 

Eine „sehr coole Lernkurve“ macht der Manager aus der Serviceplan Gruppe im Markt der Daten aus. Auch spricht er von einem Paradigmenwechsel bei der Frage, wie sich Marketingverantwortliche heute im Vergleich zur Anfangszeit dem Thema annähern. Stichwort „Customer Centricity“: „Der Mensch wird wichtiger als die Marke. Big Data entwickelt sich zum Mittel zum Zweck, um Kund*innen einerseits ein Markenerlebnis zu bieten und um andererseits den Verkauf anzukurbeln“, berichtet Windhorst.

Service-Orientierung made by Data

Am Beispiel des Auftraggebers Lufthansa schildert Windhorst, was datengetriebenes Marketing als „Surrogat einer zutiefst menschlichen Vorgehensweise“ ausmacht. Für die Kranichlinie hat die Agentur einen personalisierten Newsletter-Service aufgebaut. Weltweit werden Lufthansa-Kund*innen per E-Mail mit passenden Flugangeboten, mit Gepäckservices oder Sitzplatz-Optionen versorgt – jeweils zugeschnitten auf ihren Standort, auf bevorzugte Flugziele und auf Verhaltensmuster aus der Kundendatei.

„Sie kennen das Vorgehen aus dem täglichen Leben: Wenn mir die Stammbäckerei meine Nussschnecke reserviert, dann empfinde ich das als Service“, schmunzelt Windhorst. Gutes Daten-Management liefere weitere Absatzchancen. Als Bild ausgedrückt: Weiß das Autohaus um den Nachwuchs der Käufer*innen, dann können in der Folge Kindersitze angeboten werden.

Doch wie kommt es, dass Unternehmen trotz vieler Vorbehalte von Bürger*innen und trotz erschwerter Bedingungen für Datensammler seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 an intime Informationen ihrer Klientel kommen? Auch hier hat Plan.Net Connect eine Entwicklung festgestellt: Die Menschen würden zunehmend Datenweitergaben per Opt-In zulassen und damit in Kauf nehmen, „gekannt“ zu werden, führt Windhorst aus. Vorausgesetzt, es folge ein positives Produkterlebnis. Jetzt sei eine gute Zeit für Unternehmen, sich im Reich der Daten zu professionalisieren. Der Appell des Agentur-Lenkers an Marketingverantwortliche lautet: „Lasst uns mehr über Daten reden!“

Am Anfang steht die Analyse

Dieser Mann spricht mit Unternehmen über ihre Daten: Christian Henne entwickelt auf Basis vorhandener Kundeninformationen für Firmen wie Siemens, BMW oder DATEV Prognosemodelle für den künftig bestmöglichen Zugang zur Klientel, für mehr Kundenzufriedenheit und Umsatz. Der Geschäftsführende Gesellschafter des Munich Digital Institute liefert seinen Auftraggebern aus Wirtschaft, IT und Medien Antworten darüber, „in welchen Kanälen Informationen so ausgespielt werden, dass sie den Wert der Kommunikation steigern können“.

Bis er solche Aussagen treffen kann, hat der Digitalkenner Unmengen an Daten zu durchforsten. Das kann schon mal Monate dauern. Das Institut durchleuchtet dabei Marketing-Maßnahmen in klassischen Medien ebenso wie über digitale Kanäle oder Social Media. Hennes Team hält fest, wie die unterschiedliche Kommunikation jeweils auf Kund*innen wirkt, macht sichtbar, an welcher Stelle der „Customer Journey“ Käufer*innen auf die jeweiligen Angebote reagiert haben.

Er hat vor zwei Jahren zusammen mit der Hochschule Macromedia München eigene „Scoringmodelle“ entwickelt. Sie erlauben es, die ermittelten Daten neu zu bewerten, zu strukturieren und miteinander vergleichbar zu machen. „Predictive Marketing“ nennt Henne die Möglichkeit, auf Basis vorhandener Daten Kund*innen in Zukunft gezielter ansprechen zu können. Am besten hinterlegt in Open-Data-Lösungen wie Dashboards. So könnten Daten in Unternehmen an einem Ort verfügbar und abrufbar gemacht werden.

Die Geburtsstunde von Marketing Clouds

Die Medienbranche schätzt die voranschreitende Professionalisierung auf Unternehmensseite. Data Driven Marketing an sich sei kein neues Phänomen, betont Thomas Mautner: „Was sich verändert hat, sind allerdings die Möglichkeiten der Aufbereitung von Daten und der Zusammenführung im Hinblick auf eine bestmögliche Operationalisierung für die Mediaplanung.“ Für den Co-Geschäftsführer der Mediaagentur pilot in München lautet die zentrale Frage: „Wie stehen Werbetreibende zu diesem Thema? Setzen sie selbst konsequent auf ein offenes Set-Up, so dass eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Dienstleistern überhaupt möglich ist und das eigene Know-how auf Basis der vorliegenden Daten in einen ganzheitlichen Planungsansatz einfließen kann?“

Als Trend macht Mautner aus, dass sich Software-Anbieter daran versuchen, „möglichst viele Teilbereiche des Marketings zu vereinfachen und zu automatisieren“. Er nennt dies die „Geburtsstunde der Marketing Clouds“, in denen Daten vieler Speziallösungen kombiniert würden. Etablierten Playern wie Adobe, Oracle oder auch IBM gelinge dies inzwischen sehr gut, berichtet Mautner.

Daran interessiert, wie IBM mithilfe von Künstlicher Intelligenz Daten fürs Marketing transparent macht und neu bewertet? Am 8. Dezember erzählt Britta Daffner, Head AI & Data Science bei IBM, in einem Video-Vortrag mehr dazu. Den Beitrag finden Sie auf der MedienNetzwerk-Website.

Programmatic aus München

Machen Daten die Arbeit des Marketings kalkulierbar, so liefern sie im Medienbereich Komplettlösungen, um Werbung gezielt auszuspielen (Targeting). Ein solch datengetriebenes und automatisiertes Verfahren ist heutzutage Programmatic Advertising.

Bereits 2009 waren die Digital-Experten Heiko Staab und Sascha Schlüter davon überzeugt, dass der datenbasierten Online-Werbung die Zukunft gehört. Sie entwickelten eine eigene Technologie, die auf Basis von Daten Display-Werbung messbar und damit effizienter machte und gründeten im Münchner Osten Traffective. Heute zählt die GmbH zu den führenden Programmatic-Plattformen. Sie vermarktet rein programmatisch mehr als 300 qualifizierte Publisher-Webseiten. Traffective will im automatisierten Werbemarkt dabei für „hochwertige Publishing-Umfelder“ stehen. Das heißt: Qualität und Markensicherheit bei weiterhin lokaler Betreuung als Verkaufsargument bei Programmatic made in Munich.

Bayernweit haben sich fast alle Regional- und Lokalzeitungen Traffective angeschlossen, darunter Portale von Merkur oder tz. Insgesamt erreichen die auf der Plattform gebündelten Angebote laut Heiko Staab, Co-Founder & Director Business Development von Traffective, mehr als 40 Millionen Nutzer*innen. Hohe Reichweite sei schließlich Voraussetzung für konkurrenzfähiges Vermarkten im Digitalen, hebt er hervor. „Data braucht Größe“, betont Staab mit Blick auf US-Digitalriesen.

Als deutsches Technologie-Unternehmen verpflichtet sich Traffective den strengen deutschen und europäischen Datenschutzbestimmungen und hat für die „Third Party Cookies“ – also die umstrittenen Datenpakete von Drittanbietern – längst eine Lösung entwickelt. Das hauseigene „Traffective Consent Management Tool“ ist vom internationalen Branchenverband IAB (International Advertising Bureau) zertifiziert und will User*innen und Publishern über sämtliche datenschutzrechtliche Entwicklungen hinweg Rechtssicherheit bieten. Mit gutem Erfolg für die Publisher: Staab registriert höhere Erlöse, die angeschlossene Medienmarken mit digitaler Werbung erzielen können.

Datenschutz als Chance

Mehr Chance als Schaden erkennt auch Stephan Rau in der Entwicklung. Der Managing Partner der Mediaagentur OMD München zeigt sich davon „überzeugt, dass es bereits jetzt vielversprechende Alternativen des Data Driven Marketings im Markt gibt. Und wir haben auch noch etwas Zeit, bis der Third Party Cookie Vergangenheit ist. Zeit, die wir aktuell nutzen, um Alternativen zu entwickeln und somit gestärkt aus der vermeintlichen Krise hervorzugehen“, so Rau.

Er empfiehlt Unternehmen wie Medien, „mehr denn je“ auf Daten der eigenen Kanäle zu setzen, auf „First Party Data beziehungsweise Cookies“. Wie sollten sich User*innen dort vor dem Hinterlassen von Datenspuren identifizieren? Hier verweist der OMD-Manager unter anderem auf Login-Kooperationen, die anhand von eindeutigen „Identifiern“ wie E-Mail-Adressen oder Telefonnummern plattformübergreifend Informationen austauschen. Zudem werde Smart Data rund um bisher nicht verwertete Nutzerinformationen eine wichtige Datenquelle.

Den Trend zu mehr Professionalisierung und Unabhängigkeit in Sachen Data bestätigt Andreas Kleofas, CEO und Gründer des Münchner E-Commerce Analytics-Start-ups emax.digital. In immer mehr Unternehmen würden Customer Data Platform (CDP) bewusst aufgebaut, „um First Party Kundendaten mittels Data Clean Rooms schlauer zu nutzen“, so Kleofas.

Datengetriebene Angebote für lokale Medien

Auf den Weg zu verwertbaren Daten aus den eigenen Reihen machen sich in Bayern auch Vermarkter wie Studio Gong und mittelständische Medienanbieter. Dazu zählt die Augsburger rt1. media group mit ihren lokalen Radio- und TV-Aktivitäten. Geschäftsführer Dr. Bernhard Hock weiß: „Wir müssen vermehrt auf eigene Nutzerdaten setzen und unsere App- und Web-Angebote so attraktiv halten, dass Nutzer uns ihre Daten überlassen und darin auch einen Mehrwert für sich sehen.“

Mit der Gründung von Quantyoo als gemeinsamer Datenanalyse-Spezialist sei ein starker Zusammenschluss geschaffen worden. Hock: „Uns müssen künftig noch viel mehr dieser synergiegetriebenen und Qualität bringenden Zusammenschlüsse gelingen, ohne die eigene Marke aufgeben zu müssen.“

Hocks Appell an den lokalen Rundfunk hat gute Gründe; sein Haus verzeichne schon jetzt „eine konstant steigende Nachfrage aus dem lokalen Werbemarkt“. Vor Ort hat rt1. Kunden wie die Möbelkette Segmüller. Diese möchten „sowohl die breite Masse erreichen, was uns mit dem klassischen UKW-Programm sehr gut gelingt“. Jedoch reiche dies schon heute nicht mehr aus. „Der Kunde möchte seine Werbebotschaft verlängert in digitalen Angeboten erleben, am besten crossmedial aus einer Hand und zielgruppengenau platziert“, betont Hock. Dieser Trend habe enormes Wachstumspotenzial. Der rt1.-Chef sagt: „Wir sind als Medienhaus gut beraten, diese Zeichen sehr ernst zu nehmen.“ 2021 sollen neue crossmediale Plattformen und Geschäftsmodelle ausgerollt werden; geplant sind auch Partnerschaften mit anderen Radiosendern.

Wer bringt Data-Wissen mit?

Data Consulting, Analytics, Performance Marketing, Programmatic Advertising, Data Mining, etcetera – woher nimmt die Branche Spezialist*innen für diese Anforderungen? Student*innen bereits im Praktikum ans Unternehmen binden, empfiehlt Andreas Kleofas. Der Mann hinter emax.digital macht beispielsweise mit Studierenden der TU München aus dem Bereich Wirtschaftsinformatik sehr gute Erfahrungen.

Den Data-Standort Bayern mit zahlreichen Hochschulen und Universitäten nennt Jan Möllendorf „gut aufgestellt“. Der Gesellschafter des Beratungs- und Technologiedienstleisters DEFACTO aus Erlangen erkennt „viel Kompetenz für Künstliche Intelligenz und Data Intelligence, die sich günstig auf Medien und Werbung auswirken“. Spannende Entwicklungen erwartet er beispielsweise bei Connected TV, das Konzerne wie ProSiebenSat.1 und Familienunternehmen wie der Nürnberger Müller Verlag vorantreiben. Möllendorf glaubt, dass Bayern Vorreiter werden könnte beim zielgerichteten Ausspielen von smarter Fernsehwerbung, also beim Addressable TV.

Auf die Auswirkungen von Data auf die Branche angesprochen, wünscht sich Jan Möllendorf, dass Werbungstreibende ebenso wie Medien die wertvollen Opt-In-Daten der Nutzer*innen zum Anlass nehmen, diese „endlich“ als Kund*innen zu begreifen. Die Zeit unpersönlicher Massenkommunikation sei vorbei, betont der Unternehmer. Er fordert zum Umdenken auf.

Und für Andreas Kleofas schlummert das nötige technische Wissen dazu längst in den Unternehmen: „Verschließt euch nicht gegenüber dem Potenzial, das junge Menschen mitbringen.“

Abonniere jetzt unseren Newsletter
Bleibe auf dem Laufenden zu den Events und Projekten des MedienNetzwerk Bayern!