Kunst, die analoge und virtuelle Welten verbindet
Von Anja Kummerow
Kunst, die Grenzen überwindet – nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Form. Evelyn Hribersek entführt mithilfe verschiedener Medien in andere Welten, sogar bis in den Hades hinab. Der Einsatz von Virtual und Augmented Reality macht es möglich. Mit den Überschreitungen auf verschiedenen Ebenen macht die Künstlerin von sich reden – auch in der Games Branche. Die hat sie für ihr zweites Werk „Eurydike“ erneut für den Deutschen Computerspielpreis nominiert.
Leuchtreklame in Neonpink schreit ihren Namen von der Wand: EURYDIKE. Es wird Zeit, die griechische Nymphe aus ihrem Schattendasein herauszuholen, ihre Tragik ans Licht zu bringen und den Menschen etwas zum Nachdenken mit auf den Weg zu geben. Das findet Evelyn Hribersek und widmet der mythologischen Figur ihr zweites Werk. Und es scheint zu gelingen. Mehr als das. Denn so unterschiedlich die Reaktionen der Besucher auch ausfallen – irgendeine gibt es immer. „Manche sind sehr euphorisch herausgekommen, andere haben geweint“, so Hribersek. All das ist gewollt. „Gute Kunst muss ihre Kratzer hinterlassen, im Kopf und im Herzen.“ Wer sich darauf einlässt, sollte allerdings in „guter geistiger Verfassung“ sein – das ist ihre Bedingung.
Wie schon bei ihrer Installation „O.R.Pheus“ entführt Hribersek die Betrachter mit „Eurydike“ in die griechische Mythologie, die sie nicht nur gegenständlich erlebbar macht, sondern auch mithilfe von Virtual und Augmented Reality, mit drastischen Bildern und sphärischen Klängen. Um nichts weniger als die existenziellen Fragen des Lebens geht es in den Werken der Künstlerin: Leben. Tod. Transformation. Transzendenz.
Für „O.R.Pheus“ schuf Hribersek 2012 in einem leeren Bunker eine retro-futuristische Krankenhausatmosphäre: Mit Behandlungsstühlen und Badewannen, gefüllt mit pinkfarbener Flüssigkeit, deren Geheimnisse es mit Hilfe von Smartphones und AR zu ergründen galt. Für das zweite Projekt der Serie – „ich arbeite gerne in Dreiteilern“ – hat sie sich die Frau hinter Orpheus ausgesucht: Eurydike.
Eine Welt voller Rätsel ergründen
Die Angetraute von Orpheus stirbt an einem Schlangenbiss, als sie vor Aristaios flieht, der sie zu vergewaltigen versucht. Ihr Gemahl folgt ihr ins Totenreich Hades, aus dem er sie wieder zurückholen darf. Unter einer Bedingung: Orpheus darf sich nicht nach ihr umsehen. Doch er schafft es nicht und so wird sie ihm entrissen – für immer. „Wahrscheinlich hat sich Orpheus nicht versehentlich umgedreht, sondern ganz bewusst. Vielleicht brauchte er den Tod eines geliebten Menschen, um sich transformieren zu können“, sagt Hribersek. Und: „Mit dieser wilden These stehe ich nicht alleine da.“
Der Degradierung Eurydikes zur Randfigur, ihrer Tragik und der ausgesetzten Willkür will sie etwas entgegensetzen. „Deshalb ist das neue Stück etwas ganz anderes, Eigenständiges geworden, wesentlich radikaler. Es polarisiert sehr viel stärker“. Als Ort des Geschehens hat die Künstlerin für „Eurydike“ eine Feuerwache in München ausgewählt, zwei Räume von je 500 Quadratmetern. Hier begibt man sich in den Hades – nicht ohne vorher mit Schutzanzug, Headset und VR-Brille ausgestattet zu werden. Mit der Brille sucht man Symbole, die als Orientierungshilfen dienen in einer Welt voll Dunkel und Rätsel.
„Neu ist dieses Mal die Möglichkeit, die Technologie mit geringem Aufwand ins komplette Gesichtsfeld zu importieren.“ Damit könnten sich die Besucher viel freier bewegen – jeder für sich. Denn mit dem Ticket kauft man ein Zeitfenster von 30 Minuten, innerhalb dessen man den Raum allein und nach Belieben nutzen kann. „Manche nehmen die Welten komplett auseinander, andere wollen gar nichts anfassen. Wie jemand damit umgeht, hat viel zu tun mit Neugier, Spieltrieb, Experimentierfreude und auch persönlicher Veranlagung.“ Und es sind nicht nur junge, technik-affine Menschen, die kommen. Im Gegenteil. 85 Jahre zählte der älteste Besucher. Unter denen, die den Abstieg in den Hades wagen, sind auch einige Wiederholungstäter.
Das Beste aller Welten zusammenbringen
„Meine Kunst ist ein Hybrid“, sagt Hribersek über ihr Mixed-Reality-Werk. „Sie bringt das Beste aller Welten zusammen. Aber man kann sie nicht erklären – man muss sie erleben.“ Vier bis fünf Jahre arbeitet sie jeweils an einem Projekt, für das sie sich auch Unterstützung holt, bei der Software-Entwicklung etwa oder beim Bühnenbild. Der Sound für die musikalisch-theatralische Rauminstallation, „die dieses Mal komplett ohne Sprache auskommt“, stammt von der dänischen Klangkünstlerin SØS Gunver Ryberg.
Doch nicht nur ihr Kunst ist vielseitig – auch Evelyn Hribersek selbst ist es: So ist sie als Regisseurin und Autorin einerseits in der Theaterszene zuhause. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sie sich zudem mit den neuen Technologien AR, VR und Wearables. Und wirkt ebenso in der Computerspiel-Industrie.
Die ist schon mit „O.R.Pheus“ auf sie aufmerksam geworden. Mit „Eurydike“ ist Hribersek nun erneut für den Deutschen Computerspielpreis nominiert, dieses Mal in der frisch eingeführten Kategorie „Beste Inszenierung“. Keine der bisherigen Kategorien wollte so recht passen für „das freie Projekt“, wie Hribersek ihr Werk nennt. „Wollte man es kategorisieren, wäre es ein Independent-Spiel, eine Mischung aus Oper, Theater und Game.“ Sollte Evelyn Hribersek den Preis am 10. April bei der Verleihung in München mit nach Hause nehmen können, dann zugleich ein Preisgeld von 40.000 Euro. Geld, das neben dem Crowdfunding helfen könnte, die Werke zu einer Trilogie abzurunden.