„Wir müssen den eigenen USP stärken“
Von Ann-Cathrin Schürholz, 29. Oktober 2025
Ein Jahr nach der ersten Diskussion über die Zukunft der Online-Suche stand das Thema erneut im Fokus der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Die Bilanz fiel deutlich aus: KI-Antwortmaschinen wie Googles AI Overviews oder der neue KI-Modus verändern die Spielregeln der digitalen Reichweitenökonomie. Suchmaschinen verweisen nicht mehr nur auf Inhalte, sie liefern Antworten direkt. Was bedeutet das für Sichtbarkeit, Traffic und Geschäftsmodelle von Medienhäusern?
Diese Frage stand im Zentrum des Panels „Future of Search: KI-Antwortmaschinen sind da, Medienhäuser müssen reagieren“, das vom MedienNetzwerk Bayern Thinktank organisiert wurde. Die Diskussion zwischen Moderator Wolfgang Kerler (1E9), Uli Köppen (Bayerischer Rundfunk), Jens Redmer (Google), Dr. Richard Weber (BurdaForward) und Eric Kubitz (Wort & Bild Verlag) zeigte, dass Medienhäuser zwischen Sorge und Aufbruchstimmung schwanken: Die Reichweiten sinken, aber gleichzeitig entstehen neue Möglichkeiten, journalistische Inhalte intelligenter zu positionieren.

Weniger Klicks, mehr Antworten
Moderator Wolfgang Kerler, Chefredakteur und Co-Founder der Denkfabrik 1E9, verwies zunächst auf aktuelle Zahlen: Laut einer Studie des Analytics-Dienstleisters Authoritas haben Websites mit Top-Platzierungen bei Google seit Einführung der AI Overviews im Schnitt bis zu 79 Prozent ihres Such-Traffics verloren. Diese Zahlen berücksichtigen jedoch noch nicht die neuesten Entwicklungen. Der neue KI-Modus von Google, der seit dem 15. Oktober verfügbar ist, sei eine „natürliche Weiterentwicklung der AI Overviews“, erklärte Jens Redmer, Principal New Products bei Google. Der Modus ermögliche mehrere parallele Suchanfragen im Hintergrund und eigne sich damit insbesondere für komplexe Fragestellungen.
Das Geschäft mit Google wurde mit der Einführung der KI-Tools aufgekündigt.
Uli Köppen, Chief AI Officer des BR
Die Vertreter:innen der Medienhäuser bewerteten dies kritisch. So stellte Uli Köppen, Chief AI Officer des Bayerischen Rundfunks (BR), fest: „Das Geschäft mit Google wurde mit der Einführung der KI-Tools aufgekündigt.“ Denn: Der klassische Deal – Medienhäuser liefern geprüfte Inhalte, Suchmaschinen verweisen darauf und generieren so Reichweite – funktioniere immer schlechter. Grund dafür ist, dass Suchmaschinen wie Google durch KI-generierte Antworten viele Nutzer:innen gar nicht mehr zu den Originalquellen weiterleiten. Aus Sicht von Google sei die Entwicklung nachvollziehbar, aber für Medienhäuser dennoch problematisch. Weniger Klicks bedeuten weniger Werbeeinnahmen, während die KI-Modelle auf journalistische Inhalte zugreifen, ohne sie zu vergüten. Zudem sei beinahe die Hälfte aller Antworten fehlerhaft, wie eine aktuelle Studie der European Broadcasting Union (EBU) belegt.
Dr. Richard Weber, Managing Director von BurdaForward, bestätigte deutliche Rückgänge, insbesondere bei Ratgeberthemen: „Fragen wie ‚Wie pflege ich meinen Rasen?‘ wurden früher auf Portalen wie CHIP.de beantwortet. Diese Reichweiten brechen nun weg.“ Etwas optimistischer bewertete Eric Kubitz, Head of AI beim Wort & Bild Verlag, die Lage: Die Quellenangaben neben den AI Overviews seien ein kluger Zug, der für zusätzliche Sichtbarkeit sorge. Dennoch beobachte auch er einen Rückgang von etwa zwanzig bis dreißig Prozent des organischen Traffics. Sollten AI Overviews oder der KI-Modus zum Standard werden, könne dieser Anteil jedoch deutlich steigen.
Sinkende Reichweiten bei Medienhäusern
Kerler verwies auf eine Analyse des Wall Street Journal, wonach große US-Medien wie The Washington Post, Business Insider und HuffPost seit 2022 etwa die Hälfte ihres organischen Such-Traffics verloren hätten. Weber bestätigte, besonders betroffen seien sogenannte Evergreen-Inhalte wie Wissenschaft, Finanzen und Service – also Themen, auf denen viele Geschäftsmodelle, wie auch das von BurdaForward, aufbauten. Der Traffic bei News-Inhalten sei weitestgehend unangetastet.
Köppen betonte, dass der BR etwa sechzig Prozent seines Traffics über Suchmaschinen generiere. Neue KI-Funktionen erschwerten das Monitoring erheblich, und es neu aufzusetzen, verursache hohe Kosten: „Wir müssen künftig nachvollziehen können, wo unsere Inhalte auftauchen – und ob sie korrekt wiedergegeben werden.“ Redmer entgegnete, die Verteilung von Such-, Direkt- und Social-Traffic habe sich kaum verändert. Allerdings wachse die Zahl der Suchanfragen und das Volumen des nutzergenerierten Contents.
Zwischen Regulierung und Kooperation
Ein weiteres Diskussionsthema waren rechtliche und strukturelle Reaktionen auf die neue Suchrealität. Nach ersten Klagen gegen OpenAI, die im vergangenen Jahr diskutiert wurden, geraten inzwischen auch Google und andere Plattformen stärker in den Fokus. Weber brachte es auf den Punkt: „Als Medienunternehmen habe ich heute die Wahl: Sichtbarkeit über Search und den KI-Modus – oder keine Sichtbarkeit.“ Redmer entgegnete, dass Publisher das Crawlen ausschalten könnten. Dann habe der KI-Modus keinen Zugriff auf Inhalte. Köppen forderte in diesem Zusammenhang mehr Transparenz und räumte ein, dass die Entscheidung für oder gegen Crawler immer auch Reichweitenverluste bedeute.
Als Medienunternehmen habe ich heute die Wahl: Sichtbarkeit über Search und den KI-Modus – oder keine Sichtbarkeit.
Dr. Richard Weber, Managing Director von BurdaForward
Als möglichen Ausweg stellte Kerler das Modell Really Simple Licensing (RSL) vor. Über erweiterte Funktionen der robots.txt-Datei könnten Publisher künftig festlegen, unter welchen Bedingungen KI-Crawler Inhalte nutzen dürfen. Weber begrüßte die Idee eines klaren Regelwerks.
Köppen bezeichnete das Modell als fair für die Urheber und hob hervor: „Wir müssen unseren eigenen USP stärken: Trusted Content.“ Beim BR entstünden derzeit gemeinsame „Trusted Content Pools“ auf Basis von Public-Value-Kriterien, so genannte Datenbanken mit geprüften Inhalten verschiedener Qualitätsmedien. Auch Kubitz sprach sich für gemeinsame Content-Pools aus, um journalistische Qualität zu bündeln. Denn: Je mehr Medien sich beteiligen, desto wertvoller würden die Pools.

Die Zukunftsstrategien der Medienhäuser
Zum Abschluss richtete sich der Blick nach vorn: Jens Redmer berichtete, dass Google bereits eine Reihe von Tools für die Medienbranche und insbesondere für Redaktionen bereitstelle – etwa für Trendanalysen und Stimmungsbewertungen. Uli Köppen erklärte, dass sich der BR als Knowledge Service verstehe: „Das übersetzen wir ins KI-Zeitalter.“ Dieses Vorgehen beinhalte beispielsweise Personalisierungen und Schritte, um herauszufinden, wie die Menschen die Inhalte konsumieren wollen. Auch BurdaForward wolle sich in Richtung Personalisierung entwickeln, berichtete Weber. „Statt viel anonymen Traffic wollen wir hin zu mehr echten Verbindungen.“ Eric Kubitz plädierte dafür, journalistische Inhalte stärker dialogisch zu denken: „Wir müssen vom journalistischen Ross heruntersteigen und näher an die Nutzer:innen heranrücken.“ Künftig solle es weniger, aber dafür klarer strukturierte Artikel mit Informations-Chunks geben.
Wir müssen vom journalistischen Ross heruntersteigen und näher an die Nutzer:innen heranrücken.
Eric Kubitz, Head of AI beim Wort & Bild Verlag
Auf die abschließende Frage, ob Publisher Inhalte künftig gezielt für KI optimieren sollten, reagierten die Teilnehmenden der Diskussion zurückhaltend. Laut Redmer geht es auch in Zukunft primär um „guten, relevanten Content“. Köppen stimmte zu: „Es geht um klares Schreiben und journalistisches Handwerk.“ Weber erklärte, BurdaForward optimiere derzeit nicht gezielt für KI, solange die Rankingfaktoren unklar seien. Ein „Jein“ gab es vom Vertreter des Wort & Bild Verlags: „Wir wollen weiterhin über Google gefunden werden. Wir wollen für GEO optimieren und gleichzeitig Teile vor Google verstecken.“
Guter, relevanter Content bleibt entscheidend.
Jens Redmer, Principal New Products bei Google
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Der neue Deepdive des MedienNetzwerk Bayern Thinktank knüpft an die erste Ausgabe zum Thema „Future of Search“ an. Während im Herbst 2024 noch viele Prognosen und Annahmen im Vordergrund standen, liegen nun erstmals konkrete Daten und Erfahrungen mit KI-Suchmaschinen und insbesondere den AI Overviews von Google vor.
Die neue Ausgabe beantwortet Fragen wie:
- Was bedeuten KI-Suchmaschinen für Publisher und ihre Reichweiten?
- Wie können Medienhäuser auf die neue Situation reagieren?
- Was sind mögliche Kompromisse zwischen KI-Unternehmen und Medien?
- Welche KI-Suchmaschinen gibt es derzeit?







