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Gemeinwohl: Der neue Wert des Arbeitens?

von Lisa Pandtle

Geld oder Gemeinwohl – oder doch beides? Kann der Fokus eines Unternehmens gleichzeitig auf Wirtschaft, Innovation und dem Wohl der Allgemeinheit liegen, ohne dass es dabei Gewinnverluste verzeichnet? Wie funktioniert das? Die Gemeinwohl-Ökonomie beschäftigt auch die Medienbranche und führt zu neuen Ansätzen mit viel Potenzial.

Die Vermehrung von Kapital und das Streben nach Gewinnmaximierung sind die obersten Ziele unserer Wirtschaft. Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) stellt im Gegensatz dazu Werte und weiche Faktoren in den Mittelpunkt, also eine ethische Marktwirtschaft statt der Vermehrung von Geldkapital. Gemeinwohlorientierte Unternehmen verpflichten sich, für das Wohl jedes und jeder einzelnen zu sorgen. Es geht dabei nicht nur um ökologische und nachhaltige Themen, sondern auch darum, eine faire Unternehmensstruktur und -kultur für die Mitarbeitenden zu schaffen.

Die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung

Die internationale Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung, zu der auch der eingetragene Verein Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e.V. gehört, möchte die gegenwärtige Wirtschaftsordnung umbauen. Sie initiiert, organisiert und fördert in Kooperation mit aktiven Mitgestalter:innen – darunter Bürger:innen, Unternehmer:innen und Politiker:innen – regionale und überregionale Aktivitäten zur GWÖ.

Die zentralen Werte der Gemeinwohl-Ökonomie:

  • Einhaltung der Menschenwürde
  • Solidarität 
  • Ökologische Nachhaltigkeit
  • Soziale Gerechtigkeit
  • Demokratische Mitbestimmung
Werte der Gemeinwohl-Ökonomie | Quelle: ecogood.org

Die GWÖ belohnt das ethische Handeln: Unternehmen, die gemeinwohlorientiert sind, sollen wirtschaftliche Vorteile erhalten. Gemessen werden kann das anhand der Umsetzung der zentralen Werte. Je mehr Themen umgesetzt werden und je mehr gemeinwohlorientierte Taten folgen, desto mehr Punkte sammeln Unternehmen – zum Beispiel durch faire Löhne. Diese Punkte ergeben eine Gemeinwohlbilanz. Wer eine gute Bilanz vorweist, bekommt Steuervorteile, günstigere Kredite oder Vorrang bei Einkäufen. Würde man die Bilanz zudem auf den Produkten der Unternehmen abbilden, könnten Konsument:innen selbst entscheiden, wessen Produkte sie kaufen.

Auf der Basis der Gemeinwohlbilanz baut zum Beispiel das Geschäftsmodell des Freiburger Startups silberzebra auf: Mithilfe der cloud-basierten Plattform goodbalancer können Unternehmen ihren Nachhaltigkeitsbericht auf Grundlage der Gemeinwohlbilanz erstellen.

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Mittlerweile ist die Gemeinwohl-Ökonomie weltweit in 35 Ländern vertreten. 2.430 Mitglieder unterstützen das Modell deutschlandweit, davon rund 850 Unternehmen. 660 Mitglieder hat der GWÖ Bayern e.V.. In Bayern haben 125 Organisationen bereits mindestens eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Auf Bundesebene sind es ca. 530 Organisationen, die Berichte oder Testate bei der GWÖ-Bewegung eingereicht haben (Stand: 18. Januar 2022).

Gemeinwohl-Bilanzierung kann Unternehmen finanziell stärken

2019 führte die Universität Valencia eine empirische Studie zu CSR-Modellen durch: Die Gemeinwohl-Ökonomie schnitt am besten ab. 95 Prozent der 206 befragten, gemeinwohlorientierten Unternehmen gaben an, dass die Auswirkungen der Gemeinwohl-Bilanzierung keinen negativen Einfluss auf Verkäufe mit sich bringen. 26 Prozent attestierten sogar einen positiven Einfluss auf die Verkaufszahlen. Über verbesserte Mitarbeitermotivation und -wohlbefinden am Arbeitsplatz berichteten 82 Prozent der befragten Unternehmen.

Auswirkungen der GWÖ auf Unternehmen | Quelle: Pressekonferenz 2019, eigene Darstellung
Auswirkungen der GWÖ auf Unternehmen | Quelle: GWÖ-Pressekonferenz 2019, eigene Darstellung

Gemeinwohl-Ökonomie in der Medienbranche

In der Bayerischen Verfassung steht: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ Trotzdem trägt das aktuelle Wirtschaften zu wachsenden Gefahren für die Menschheit bei – beispielsweise zum Klimawandel. Medien(unternehmen) spielen eine wichtige Rolle in der Gemeinwohl-Ökonomie, weil sie über Themen mit gesellschaftlicher Relevanz informieren und auch Missstände sowie Handeln weltweit sichtbar machen, das nicht gemeinnützig ist. Welche Inhalte im Mediendiskurs auftreten, zum Beispiel Nachhaltigkeit oder Soziales, darauf wirken Medienschaffende maßgeblich ein.

Das Forum Gemeinnütziger Journalismus fördert Medienvielfalt    

Das Forum Gemeinnütziger Journalismus hat das Ziel, den gemeinwohlorientierten, nicht kommerziellen Journalismus in Deutschland zu stärken. Medienprojekte wie netzpolitik.orgCORRECTIV oder Finanztip, Zusammenschlüsse von Journalist:innen wie Netzwerk Recherche und Hostwriter sowie Stiftungen engagieren sich. Sie setzen sich gemeinsam für bessere Rahmenbedingungen für den gemeinnützigen Journalismus in Deutschland ein, um ihn fest im Mediensystem zu verankern – als Ergänzung zum privatwirtschaftlichen Journalismus und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das Forum erarbeitet in einem transparenten Prozess gemeinsam mit allen Akteur:innen Kriterien, die als Grundlage für den gemeinnützigen Journalismus in Deutschland dienen können. Der Plan ist es, die Medienvielfalt in Deutschland zu wahren, die Kritik- und Kontrollfunktion des Journalismus zu stärken und so die öffentliche Meinungsbildung in der Demokratie zu beleben.

Die Leitlinien für gemeinnützigen Journalismus beruhen auf drei Säulen:

  1. Redlicher Umgang mit Recherchen und Veröffentlichungen
    (Orientierung am Pressekodex des Deutschen Presserats)
  2. Transparenz
    (Orientierung an den Kriterien der Initiative Transparente Zivilgesellschaft)
  3. Selbstlosigkeit
    (Orientierung an der Abgabenordnung, dem zentralen Steuergesetz)

Diese bayerischen Medienunternehmen setzen bereits auf Gemeinwohl-Ökonomie

Einige Medienunternehmen in Bayern beschäftigen sich bereits intensiv mit der GWÖ oder bauen ihr komplettes Geschäftsmodell darauf aus. Ein Blick auf die Best Cases zeigt: Die Gemeinwohl-Ökonomie ist branchenübergreifend relevant.

Vorreiter im Segment Audio

Der private Radiosender egoFM hat sich als eines der ersten Medienunternehmen dem Allgemeinwohl verschrieben und eine Gemeinwohlbilanz erstellt. Sie beinhaltet ökologische und soziale Gesichtspunkte in Bezug auf Mitarbeiter:innen, Lieferanten, Werbekunden und Hörer:innen. „Kooperation als Wirtschaftsprinzip ist deutlich wichtiger geworden und das Thema Konkurrenz im Wirtschaften hat eigentlich aus meiner Sicht ausgedient“, so Geschäftsführer Christian Strohmeier. Bei egoFM geht es laut Strohmeier in erster Linie um ein partnerschaftliches Wirtschaften mit Werbekunden, nicht um Gewinnmaximierung. Mithilfe einer To-do-Liste fürs Gemeinwohl steuert egoFM unter anderem die CO2-Neutralität des Unternehmens an. Außerdem gibt es für Hörer:innen einen direkten Rückkanal für Fragen und Anmerkungen via Internetseite, App und Social Media. Mehr zu nachhaltigem Journalismus erzählt er auch im Podcast der MEDIENTAGE MÜNCHEN.

Die Agenturwelt entdeckt die GWÖ

Die Designagentur bioculture aus München setzt vor allem auf Nachhaltigkeit und ist Münchens erste GWÖ-zertifizierte Marketingagentur: Sie bietet Lösungen für umweltbewusstes Marketing – Green Marketing – an. Druckprodukte und Kommunikationsmittel werden mit möglichst hohem ökologischem Anspruch hergestellt. Die Agentur achtet streng auf die Auswahl des Werbematerials, Produktionsbedingungen und Transportwege. Im Online-Marketing kooperiert das Unternehmen ausschließlich mit Webhostern, die transparent mit dem Energieverbrauch ihrer Rechenzentren umgehen und versuchen, ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Seit Anfang 2017 ist bioculture Teil der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ).

GWÖ als Alleinstellungsmerkmal in der Verlagswelt

In der Verlagswelt widmet sich vor allem der Münchner oekom-Verlag dem Thema Gemeinwohl. Er entstand aus dem Wunsch heraus, grünen Ideen und alternativen Konzepten eine publizistische Heimat zu bieten. Mit Büchern und Zeitschriften liefert der Verlag seit 1989 Denkanstöße für eine zukunftsfähige Entwicklung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ökologie und Nachhaltigkeit bilden das Fundament der Unternehmensphilosophie: Kooperation statt Egoismus, umweltschonende Produktion statt maximale Umsatzzahlen, Vielfalt statt Einfalt. Digitalpublikationen sind bei oekom oftmals gratis zugänglich, Printversionen nicht.

GWÖ bietet Perspektive – auch für andere Branchen

Die GWÖ ist ein langsam wachsendes Pflänzchen, allerdings lassen sich immer mehr Vorreiter und Best Cases auch in anderen Bereichen finden. Der Ort Kirchanschöring in Oberbayern beispielsweise hat 2018 als bundesweit erste Gemeinde eine Gemeinwohlbilanz erstellt und die gesamte Gemeinde sowie das Rathaus auf die Werte der GWÖ hin untersucht. Die Technische Hochschule Nürnberg hat 2020 als erste staatliche Hochschule in ganz Deutschland eine Gemeinwohl-Bilanz vorgelegt. Die Regensburg Tourismus GmbH erstellte ebenfalls eine Bilanz und erhielt 526 von 1.000 möglichen Punkten. Ihr Ziel ist es, 2022 ganz Regensburg als nachhaltiges Reiseziel zu zertifizieren. 

Die Gemeinwohl-Ökonomie hat das Potenzial, in die Fußstapfen der Nachhaltigkeitsbewegung zu treten: Das Thema Nachhaltigkeit kommt immer mehr im Mainstream an und verliert durch Greenwashing an Kraft. Gemeinwohlorientiert handeln wiederum die wenigsten Unternehmen. So kann die GWÖ zum entscheidenden, strategischen Alleinstellungsmerkmal werden – für neuen Content, die Unternehmensstrategie oder zur Gewinnung neuer Mitarbeiter:innen aus der Gen Z.

Mehr erfahren oder mitmachen?

  • Ausführliche Infos zur GWÖ und wie bayerische Unternehmen sowie Privatpersonen aktiv werden können, gibt es hier.
  • In einem Podcast vermittelt der Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e.V. Infos und Lösungsansätze. Zu Wort melden sich Menschen, die sich bereits für die Werte der GWÖ einsetzen.
  • Hier findet sich die im Frühjahr 2020 erschienene Publikation der ersten wissenschaftlichen Konferenz zur Gemeinwohl-Ökonomie.
  • Wer Interesse hat, sich mit der Regionalgruppe München auszutauschen, kann sich hier melden.

Quellen und nützliche Links

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