Untergangsstimmung oder Fortschrittsglaube? Kreative Ansätze für KI
von Chris Schinke, 29. November 2024
Die rasante Entwicklung von KI bringt Gefahren mit sich. Andererseits liegen in der künstlichen Intelligenz große Potenziale für einen gestalterischen Wandel im Zusammenspiel aus Technologie und Gesellschaft. Karen Palmer, Künstlerin und „Geschichtenerzählerin aus der Zukunft“, ging mit dem Hack the Future Lab im Rahmen des Filmschoolfest München auf beide Sichtweisen ein.
„The future is not something that happens to us, but something we create together.“: Dieses Motto stand für drei ganze Tage voller Inspiration beim Lab im Rahmen des Filmschoolfest München, das vom MedienNetzwerk Bayern gefördert wurde. Was mit der zunächst wolkig klingenden Ansage gemeint war, davon konnten sich die Workshop-Teilnehmenden im Laufe des abwechslungsreichen Labs einen ganz praktischen Eindruck machen.
Eigens für das Lab angereist war Karen Palmer. Sie nennt sich selbst „Geschichtenerzählerin aus der Zukunft“ und ist ein bereits bestens bekannter Gast des Filmschoolfest. Die britische Künstlerin, die in ihrer Arbeit gerne Film, KI, bildende Kunst, Gaming und Verhaltenspsychologie vereint, reiste anlässlich der diesjährigen Ausgabe des Filmschoolfest nicht allein, sondern mit einem eigenen, kleinen Kreativ-Team an.
Ausgangspunkt des Hack the Future Labs: There is no future!
Neben der technologieaffinen Palmer, der Fachfrau fürs immersive Geschichtenerzählen, fanden sich auch der Projektentwickler Mario Márquez Lartigue, der KI- und Datenexperte Nigel Guy sowie David Bassuk, Professor für Theater, Transmedia und immersives Erlebnisdesign am Purchase College, State University of New York, im gut besuchten Workshop ein.
Auftakt der Veranstaltung waren eine Reihe von „Provokationen“, von Impulsen und Redebeiträgen, kuratiert von der Lab-Leiterin Palmer, die mit ihrem Eröffnungsvortrag selbst für eine kleine Provokation sorgte. Angesichts unseres Zeitalters des rasanten technologischen wie politischen Wandels ergebe sich ein dystopisches Szenario, das durch künstliche Intelligenz zusehends beschleunigt und zugespitzt werde – unsere Realität. Auf die Frage, ob es für uns darin noch eine Zukunft gebe, fand Palmer die vorläufige, doch niederschmetternde Antwort: „There is no future“.
Gesellschaft und KI: Nur radikale Akzeptanz kann zu kreativem Wandel führen
So ernüchternd dieser Befund zunächst klingen mochte: Ausgehend von einem Ansatz der „radikalen Akzeptanz“, wie es David Bassuk später am Tag formulieren sollte, machte sich das Hack the Future Lab im Laufe des Workshops daran, aus Palmers Zustandsbeschreibung ein Denk- und Handlungsvermögen zu entwickeln, das den gegenwärtigen Verhältnissen angemessen ist. Eines, das zudem neue kreative Potenziale freisetzen sollte.
Doch zunächst gab es weiteren Input, unter anderem von einer jungen Aktivistin aus Hongkong, die von der Repression des chinesischen Staatsapparats berichtete und schilderte, wie die kommunistische Partei mittlerweile systematisch das Bildungswesen zerstöre. Die Folge: eine verzweifelte und hoffnungslose Hongkonger Jugend. Die Psychologin Dr. Kasturi Torchia sprach hingegen von der Notwendigkeit neuer Bewältigungsmechanismen in einer von technologischem Wandel und politischer Instabilität geprägten Ära. Und Buchautor und Lecturer Dan McQillan („Resisting AI“) lieferte Anstöße für einen antifaschistischen Umgang mit künstlicher Intelligenz und ihren – wie McQuillan betonte – „negativen Auswüchsen“, die zu einer Verschärfung der sozialen Lage führten.
Von der Analyse zu kreativen Lösungen
Ziel des Hack the Future Labs war es jedoch nicht, bei einer negativen Zustandsbeschreibung zu verharren. Es galt, den Teilnehmenden über die Analyse hinaus geistiges wie praktisches Rüstzeug an die Hand zu geben, um die gegenwärtigen Zustände zu transzendieren und vor allem auch (kreativ) zu gestalten. Von diesen Gestaltungsspielräumen hinterließ der kollaborative Kreativworkshop des Theaterregisseurs, Worldbuilder und Produzenten David Bassuk einen bleibenden Eindruck.
Ausgehend von der Annahme, dass vorherrschende gesellschaftliche Paradigmen auch auf Klischees im Storytelling zurückzuführen seien, animierte Bassuk die Workshop-Teilnehmenden zu kreativeren Denkformen jenseits von dystopischen und auch utopischen Weltsichten – also zwischen Untergangsstimmung und Fortschrittsglaube.
Seinen inkrementellen Ansatz der „Protopie“, der sich jenseits falscher Versprechen und ideologischer Vorstellungen verwirklichen soll, lernten die Teilnehmenden in einem praktischen Teil kennen, der alternative Storytelling-Konzepte mithilfe generativer Bild-KI-Tools zum Leben verhalf. Die in Midjourney entstandenen Fantasie-Kreaturen und Weltentwürfe wussten die Teilnehmenden zu begeistern und vermittelten einen greifbaren Eindruck vom Potenzial der KI-Technologie. Bassuks auf Storytelling basierende Protopie verwirklicht sich jenseits der Gewinnmodelle von Big Tech und dem Missbrauch von KI-Systemen durch autoritäre Akteure.
Empowerment und Demokratisierung von KI
Die Frage „Haben wir eine Zukunft?“ bekam im Anschluss eine ganz neue Wendung. Eine „radikale Akzeptanz“ unserer Situation, wie sie auch der Vortragende Mario Márquez Lartigue formulierte, sollte zu einem selbstbestimmten Gestalten führen. Wie die Zukunft aussieht, liegt auch in unseren Händen, so die Botschaft. Sie vermochte mögliche Ohnmachtsgefühle angesichts des radikalen Wandels zumindest zeitweise zu verdrängen.
Der kenianische Techworker und Gewerkschaftsgründer Mophat Okinyi rüttelte das Publikum am Folgetag auf. Das Schicksal so vieler seiner Landsleute, die im Auftrag großer Tech-Unternehmen generative KI trainieren und soziale Netzwerke von anstößigen Inhalten befreien, ist vielen im Westen noch immer unbekannt. Mophat Okinyis Ruf nach einer gerechteren KI und damit auch gerechteren Verhältnissen auf dem afrikanischen Kontinent bewegte.
Zum Abschluss bat KI- und Datenexperte Nigel Guy die Workshop-Teilnehmenden zum „Reality Check“. Guy formulierte von allen Vortragenden die wohl optimistischste Vision in Bezug auf KI und ihr gestalterisches Potenzial. Die Konvergenz von Technologie und Gesellschaft trage ein transformatives Versprechen in sich. Entscheidend dabei sei eine „Demokratisierung der künstlichen Intelligenz“. Das ungeheuer dichte wie inspirierende Programm des Hack the Future Labs ließ eine lebendige Vorstellung davon zu, wie eine selbstbestimmte und gemeinsam gestaltbare Zukunft auch mit KI möglich ist.