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Innovationsschub für Dokumentarfilme: Streamingdienste bringen den Markt in Bewegung

Von Katrin Reichwald

Dokumentarfilme und -serien boomen: Streaminganbieter setzen auf kreative neue Formate und emotionale Stoffe. Wie das ehemalige Nischen-Medium die Masse bewegen kann und worauf es bei der Entwicklung innovativer Produktionen ankommt, stand im Mittelpunkt des Doku Lab-Workshops von RTLZWEI im Eventspace des MedienNetzwerk Bayern.

Mit dem Doku Lab fördert RTLZWEI zehn Doku-Produktionen junger Kreativer nicht nur finanziell, sondern auch mit Know-how. Noch nie war die Branche so offen für Experimente und mutige Ideen. „Einen solchen Innovationsschub gab es zum letzten Mal, als das Privatfernsehen aufkam“, sagt Christian Beetz, mehrfacher Grimme-Preisträger und Geschäftsführer der gebrueder beetz filmproduktion, in seinem Impulsvortrag über die Entwicklung des Dokumentarfilmbereichs. Zu Beetz‘ eigenen Erfolgen gehören mehrere preisgekrönte Formate wie etwa der Dokumentarfilm „The Cleaners“ oder die Serie „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“, das erste in Deutschland produzierte Netflix-Original.

Bewegung im Doku-Markt

Noch vor wenigen Jahren liefen ein Großteil der Dokumentarfilme auf den öffentlich-rechtlichen Sendern. Die Studie „Deutschland – Dokuland“ der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm untersuchte 2018, wie sich der Markt entwickelt, welchen Stellenwert Dokumentarisches im Programm der Öffentlich-rechtlichen einnimmt und welche Formate besondere Berücksichtigung finden. Dabei zeigte sich: 2017 und 2018 wurden die meisten Doku-Produktionen erst ab 23:00 Uhr ausgestrahlt. Zur Primetime um 20:15 Uhr war es lediglich ein Drittel.

Allerdings ließ sich bereits ein Trend aus den USA beobachten, der auch in Deutschland immer stärker wird: sogenannte Presenter-Reportagen. Das Konzept stellt den oder die Reporter:in selbst in den Mittelpunkt und lässt ihn bzw. sie vor die Kamera treten. Prominente Beispiele sind etwa Thilo Mischke oder Jenke von Wilmsdorff.  

Extremer Wandel durch Streamingdienste

Seit die großen Streamingdienste wie Netflix Doku-Formate für sich entdeckt haben, erfährt das Medium einen extremen Wandel: „Wir sind jetzt in einer Phase, in der kein Stein auf dem anderen bleibt“, glaubt Beetz – und spricht aus eigener Erfahrung. Mit „The Cleaners“, einer bildgewaltig produzierten Mischung aus Dokumentarfilm und Investigativ-Journalismus oder auch der neuen gebrüder beetz-Produktion „Viral Dreams“, die komplett aus dem Footage-Material von YouTuber:innen komponiert ist und so auf eine neue Art des Storytellings setzt, zeigt Beetz, dass nicht nur experimentiert werden darf, sondern auch muss. „Es geht nicht mehr nur um das Thema, es kommt sehr stark auf die Machart an“, beschreibt der Experte die Anforderungen von Streamingdiensten.

Was für die Streaming-Riesen zähle, sei die Qualität, gerade auch visuell. Vor allem im Highend-Bereich gebe es riesiges Wachstumspotenzial und noch unerreichte Zielgruppen.

Für Dokumentarfilmer:innen bedeute das, sich ihres Zielpublikums von vornherein bewusst zu sein und die Machart entsprechend zu schärfen – auch, weil das Lizenzmodell, Vorablizenzen im Ausland zu verkaufen, immer populärer wird. Um den Produktionen den richtigen Sendeplatz zuordnen zu können, muss bereits im Entwicklungsstadium sehr klar sein, um welche Art von Produkt es sich handelt: Was erzähle ich, wie erzähle ich es und vor allem: für wen?

Neue Formate setzen Maßstäbe

Laut Beetz gibt es mehrere Innovationstreiber für die Entwicklungen in der Dokumentarfilm-Landschaft:

  1. Character Driven: Dokuserien wie „Chef’s Table“ zeigen, wie Netflix durch emotional aufgeladenes Storytelling Standards setzt. Die Produktion arbeitet mit starken Bildern, viel Musik und Slow Motion Aufnahmen und erzählt so vor allem eins: Dreams and Passion. Charaktere werden in all ihren Schattierungen gezeigt.
  2. Unterhaltsames Desaster: „FYRE Island“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man es durch geschicktes Storytelling schafft, einen Film aus etwas zu machen, das überhaupt nicht stattgefunden hat.
  3. Politische Stoffe: Werden politische Stoffe groß erzählt und auf Internationalität ausgerichtet, können sie einen riesigen Impact erzielen. Beispiele sind Produktionen wie „The Social Dilemma“ oder die Netflix-Doku über Jeffrey Epstein, die die #MeToo Debatte global gemacht hat.  

Die lokalen Plattformen ziehen nach

Wie viel Potenzial tatsächlich im Dokumentarbereich steckt, zeigt ein Blick auf die anderen Streaminganbieter. Neben Netflix fange nun auch Disney+ in Deutschland an, dokumentarische Stoffe umzusetzen, so Beetz. Auch bei Prime Video gebe es erste Ansätze und neue Impulse, etwa durch die erfolgreiche spanische Dokuserie ETA – Die Herausforderung.

Dazu öffnen sich auch klassische Sender stark: „Die Macht der Mediathek nimmt rasant zu.“ Immer mehr setze sich das Modell „Mediathek first“ durch.

Mit dem vom MedienNetzwerk Bayern unterstützten Doku Lab möchte RTLZWEI eine Innovationswerkstatt für kreative Dokumentarfilmer:innen schaffen. Im besten Fall mündet das Lab in die tatsächliche Umsetzung eines oder mehrerer Stoffe. Konstanze Beyer, Leiterin der Abteilung Wissen & Dokumentation bei RTLZWEI, sieht den Workshop als Aufbruch zu einer vielversprechenden Reise: „Für RTLZWEI ist das Doku Lab eine Möglichkeit, neue Autorinnen und Autoren zu erreichen, die uns bisher noch gar nicht auf dem Schirm hatten. Wir wollen ihnen dabei helfen, die Frage zu beantworten: Wie kriege ich die Geschichte erzählt? Was muss ich weglassen, wie setze ich den Stoff auch visuell optimal um? Das haben wir heute im Workshop schon an der Oberfläche angekratzt und es wird noch ein wahnsinnig spannender Prozess.“

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