
„Games ernst nehmen – wie jede andere Branche auch.“
Von Giulia Neumeyer, 01. Juli 2025
Prof. Dr. Dr. Rudolf Thomas Inderst lehrt Game Studies an der Hochschule Neu-Ulm, ist Autor zahlreicher Bücher und Podcast-Host. Im Vorfeld der Veranstaltung MEDIA meets GAMES spricht er über die Rolle von Games in der Gesellschaft, das Verhältnis klassischer Medien zur Spielkultur und die Potenziale für Austausch und Zusammenarbeit. Wie Medien und Games voneinander profitieren können und welche Voraussetzungen es braucht, damit sich beide Branchen auf Augenhöhe begegnen, beleuchtet er im Interview.
Games als Leitmedium?
Herr Prof. Inderst, Games gelten schon länger als eine Art Leitmedium der jungen Generation. Aber warum tun sich gerade traditionelle Medien noch schwer, sich in die Games-Kultur einzudenken und diese kreativ aufzugreifen?
Rudolf Inderst: Ehrlich gesagt, die These vom Leitmedium müsste man kritisch betrachten. Also wenn man sich die Zahlen ansieht, ist es natürlich sehr beeindruckend. Wir stellen fest, dass Spiele in so gut wie allen Altersgruppen gespielt werden – egal ob Mann, Frau, Jung, Alt, egal ob zu Hause oder mobil. Aber reicht das, um von einem Leitmedium zu sprechen? Ein Leitmedium sollte ja auch Diskurse anstoßen und begleiten – da bin ich mir bei Games nicht so sicher.
Das heißt nicht, dass nicht viele Game-Designer:innen wirklich tolle, reflektierte, kritische Arbeit leisten, die weit über diese typische Anspruchshaltung von alleiniger Unterhaltung und Spannung und Spaß hinausgeht. Aber ob das wirklich dann als klassisches Leitmedium bezeichnet werden kann, da würde ich ein Fragezeichen setzen.
Warum sich klassische Medien mit der Spielkultur schwertun
Inderst: Themen wie Gamification, Serious Games oder Health Games tauchen inzwischen auch in traditionellen Medien auf. In Deutschland fragt man allerdings oft: „Wozu ist das gut?“ – eine sehr pädagogische Perspektive. Spielen als Selbstzweck hat es schwer. Spielen ist okay, solange Kinder es tun, weil man dadurch ja lernt. Ein klassisches Beispiel ist auch das Tierreich, wo Tiere, wenn sie aufwachsen, spielen um zu lernen. Aber Erwachsene? Ab einem gewissen Zeitpunkt merkt man, dass sich so ein bisschen die Stirnfalten runzeln. Sag mal als Über-40-Jähriger bei einer Dinnerparty: „Ich spiele Videospiele.“ Oder sogar: „Ich bin so froh, ich kann dieses Wochenende einfach mal die Rollläden runter machen und mindestens zwölf Stunden spielen.“ Wenn dann keine Augenbrauen hochgehen, dann hätten wir es sozusagen geschafft. Die Berührungsängste sind also auf jeden Fall noch da.
Es hilft, an Traditionen anzuknüpfen, zum Beispiel das gemeinsame Spielen bei Brett- oder Kartenspielen.
Prof. Dr. Dr. Rudolf Thomas Inderst
Man darf da als Gamer aber nicht gleich beleidigt reagieren und sich als missverstandene Minderheit fühlen. Viel besser ist es, inklusiv zu denken und andere mitzunehmen. Es hilft, an Traditionen anzuknüpfen, zum Beispiel das gemeinsame Spielen bei Brett- oder Kartenspielen. Die Spieleabende in Familien, auch unter Erwachsenen, sind einfach mit einem anderen „Stigma“ behaftet – nämlich einem Positiven. Daran kann man andocken, auch in Gesprächen mit älteren Generationen.
Community als Erfolgsfaktor
Communities sind bei Games ein großes Thema. Wie wichtig könnte das auch für Medien sein – Stichworte Co-Creation, Audience Engagement?
Inderst: Grundsätzlich ist es natürlich so: Wenn ein Spiel es schafft, eine starke Community aufzubauen und diese auch zu pflegen und zu behalten, hat es mehrere Vorteile. Zum einen bleibt der Titel länger in der Rotation. Es wird einfach länger gespielt. Und die Wahrscheinlichkeit ist auch sehr hoch, dass zum Beispiel für extra Inhalte tatsächlich Geld ausgegeben wird. Gleichzeitig hat man dadurch, dass man eine starke Community aufbaut, natürlich auch Fürsprecher. Das heißt, wenn es mal zu Krisensituationen kommt, gerade Stichwort Krisen-PR, dann ist es oft so, dass man die eigene Community fast schon ein bisschen bremsen muss, damit sie nicht allzu euphorisch in die Diskussion reinspringt.
Aber: Man muss sie pflegen. Und man muss lernen, Verantwortung zu teilen. Wer Aufgaben an Community-Mitglieder übergibt, muss das bewusst tun. Community Management wird leider oft belächelt. Wenn da jemand sitzt, der damit bisher keine Erfahrung hat, können Dinge schneller mal aus dem Ruder laufen oder schief gehen.
Eins ist natürlich auch an der Stelle kritisch anzumerken, das ist mir ganz wichtig: Orte, wo Community sich bildet – auch mit Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Kindern – sind mittlerweile auch ein Einfallstor für politische Einflussnahme, zum Beispiel durch rechtsextreme Gruppen auf Plattformen wie Steam. Das ist kein Problem der Games an sich, sondern eines dort, wo eine junge, lebendige Community von jungen Menschen ist, die man glaubt beeinflussen zu können. Deshalb: Aufmerksames, kritisches Community Management ist Pflicht.
Games in klassischen Medien?
Welche Rolle könnten Games für klassische Medien spielen?
Inderst: Eine große Herausforderung ist, wenn versucht wird, in klassischen Medien Spiel darzustellen. Da steht man immer grundsätzlich vor einer Herausforderung und zwar: Wie kann man denn dieses interaktive Element – die Begeisterung dafür, selbst zu spielen, dieser Spielvorgang, was ja das Wesen des Spiels ist – in Fernsehen, Radio oder Print abbilden? Das ist wie 3D-Werbung in einem 2D-Medium: Es funktioniert nur bedingt.
Man muss die Begeisterung der Spielenden ins Zentrum stellen.
Prof. Dr. Dr. Rudolf Thomas Inderst
Ich glaube, dass wir da, um den Bogen zum Thema davor zu schlagen, ganz gut über das Thema Communities arbeiten können. Also wenn man die Begeisterung der Spielenden selbst ins Zentrum stellt und sieht, wie engagiert sie sind. Thema Cosplay zum Beispiel: Was für Energien dieses Hobby freisetzen kann. Dann ist man da auf einem ganz guten Weg.
Auch wirtschaftlich sind Games ein Thema: Große Teams, Umsätze, Besucherzahlen zum Beispiel auf der GamesCom. Aber: Es gibt nicht die eine Industrie. Die Landschaft ist sehr heterogen. Die bisherigen Versuche, Gaming im öffentlichen Rundfunk zu etablieren, sind oft gescheitert. Da hat man vielleicht einfach noch nicht den goldenen Hebel gefunden. Was nicht heißen soll, dass man es nicht weiter probieren soll. Ich glaube, wenn der Erste oder die Erste dies schafft, der hat dann auch eine gute Marktstellung.
Medien und Games verbinden
Vielleicht kann unser Event MEDIA meets GAMES genau da anknüpfen, um diese Welten zusammenzubringen?
Inderst: Definitiv. Gerade technologisch gibt es Berührungspunkte, zum Beispiel wenn Serien wie Star Wars auf Games-Technologie zurückgreifen. Oder organisatorisch: Die Art, wie Studios mit globalen Teams arbeiten, ist auch für Medienproduktionen interessant. Da sind viele Transfermöglichkeiten denkbar.
Viele Designer:innen haben das Gefühl, als Regenbogeneinhorn mit Exot:innenflagge betrachtet zu werden. Das hilft niemandem.
Prof. Dr. Dr. Rudolf Thomas Inderst
Was wäre Ihr Wunsch an die Medienbranche?
Inderst: Man kann sich eigentlich erstmal nicht mehr wünschen, als dass sie Games ernst nimmt – als Branche wie jede andere auch. Und wenn Medien begreifen, dass sie dann mit den Leuten auch genauso umgehen, wie sie das auch beim Mittelstand oder bei anderen DAX-Unternehmen machen und dann, größer gedacht, dieses Gefühl von Augenhöhe entsteht – das ist, glaube ich, etwas, das auf jeden Fall sehr wichtig ist. Viele Designer:innen haben das Gefühl, als Regenbogeneinhorn mit Exot:innenflagge betrachtet zu werden. Das hilft niemandem. Wichtig wäre ein echtes Gespräch auf Augenhöhe, unabhängig davon, ob man Games nun als Kunst oder Industrie sieht.
Ausblick auf MEDIA meets GAMES
Zum Abschluss: Worauf freuen Sie sich bei MEDIA meets GAMES?
Inderst: Ich habe ja schon gesehen, welche Speaker:innen und welche Moderatorin anwesend sein werden. Auf die freue ich mich schon. Es ist natürlich auch ein kleines Branchentreffen, aber gleichzeitig nehme ich das Motto schon wörtlich. Ich möchte auf jeden Fall viele Gespräche vor Ort führen und dieses Missionar:innen-Tum, das ich vorher so eingefordert habe, muss ich mir natürlich auch selbst auf die Regenbogenflagge schreiben – vielleicht um das Eis zu brechen. Wichtig ist es, sich aktiv und proaktiv einzubringen. Und wer zu dieser Veranstaltung kommt, hat ja schon ein Grundinteresse. Ich glaube, dass da ganz spannende Gespräche entstehen werden – spätestens zwischen Häppchen und Prosecco.
Mehr zu MEDIA meets GAMES
Die Veranstaltung bringt Akteur:innen aus der Medien- und Gamesbranche zusammen und beleuchtet konkrete Schnittstellen, Praxisbeispiele und Perspektiven. Neben Talks und Panels mit Expert:innen wie Rudolf Inderst bietet das Event Raum für Austausch und Vernetzung.
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