Newsletter erhalten

Ursula Münch: „Wir haben aus gutem Grund ein sehr weitgehendes Recht auf Meinungsfreiheit“

Von Petra Schwegler, 12. Februar 2025

Professorin Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und unter anderem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung. Als Expertin spricht sie regelmäßig über Wahlen, Parteien und politische Prozesse – in Nachrichten, Hintergrundberichten oder Talkrunden im TV. Wie sie die politische Kommunikation rund um die Bundestagswahl in Zeiten von Social Media, Desinformation und Populismus bewertet, erklärt sie im Interview. 

Frau Prof. Münch, Sie haben für Wahlen das Phänomen ins Spiel gebracht, dass in der öffentlichen Kommunikation der Parteien über Medien und digitale Plattformen das „Mainstreaming“ von extremistischen Positionen zunehmen dürfte. Sehen Sie Ihre Prognosen mit dem Bundestagswahlkampf bestätigt?

Ursula Münch: Der Begriff „Mainstreaming“ bezeichnet eine Strategie extremistischer Akteure gerade in der Online-Kommunikation. Das Ziel besteht darin, die eigenen radikalen Ideen in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren und „hoffähig“ zu machen. Ja, meines Erachtens hat sich diese Prognose bestätigt.

Im Januar letzten Jahres löste eine Veröffentlichung von Correctiv, in der über einen „Geheimplan gegen Deutschland“ berichtet wurde, große öffentliche Empörung aus. Die damaligen Proteste und Demonstrationen richteten sich nicht zuletzt gegen die „Remigrations“-Pläne des Führers der „Identitären Bewegung“. Während die AfD anfänglich ihre Verbindung nicht nur zu diesem Treffen, sondern auch zum Begriff bestritt, brüstet sich die Kanzlerkandidatin der Partei inzwischen geradezu damit.      

Allmählich tritt auch wegen der ständigen Begriffsverwendung in den digitalen Netzwerken ein Gewöhnungseffekt ein.

Professorin Ursula Münch

Das heißt: Die „Grenze des Sagbaren“ wird spürbar verschoben. Mit welchen Folgen? 

Münch: Man setzt Themen und nutzt Begriffe, die immer wieder Grenzen überschreiten: die Grenzen des guten Geschmacks, des Anstands, des demokratischen Verfassungsstaates. Für den Fall, dass die Kritik auch derer, die man erreichen will, sehr groß ist, fängt man an zu relativieren: So habe man es gar nicht gemeint, man sei falsch verstanden worden, etc.. Dieses Vorgehen wiederholt man immer wieder – mit unterschiedlichen Begriffen, durch unterschiedliche Absender, über unterschiedliche Kanäle. 

Allmählich tritt auch wegen der ständigen Begriffsverwendung in den digitalen Netzwerken ein Gewöhnungseffekt ein. Immer weniger Leute erkennen noch, dass der scheinbar alltägliche Ausdruck eigentlich völkisch-autoritär „kontaminiert“ ist. Die ursprünglich mehrheitliche Kritik am Begriff und vor allem an den damit verbundenen Ideen wird zur Minderheitenposition.

Sie werden die Chiemgauer Medienwochen rund um medienpädagogische Themen mit einem Impulsvortrag eröffnen. Wie ist es zu bewerten, dass die Einflussnahme in Social Media subtiler wird? Gerade junge Menschen sind vermehrt Kommentaren ausgesetzt, die konkrete Parteien-Empfehlungen mittransportieren …

Münch: Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass solche Kommentierungen tatsächlich durch individuelle Nutzerinnen und Nutzer erfolgen, dass es sich also nicht um eine gezielte Kampagne handelt. Ich sage bewusst „grundsätzlich“ – naiv sollte man nicht sein. Es spricht viel dafür, dass es womöglich gesteuerte Kampagnen sind, die bewusst auf Manipulation setzen. Aber selbst wenn dieser Verdacht zutrifft, ist das noch nichts, was die Plattformbetreiber auf Geheiß staatlicher Stellen womöglich regulieren oder gar entfernen dürfen. 

Wir haben uns als Gesellschaft bewusst für das Mühsame entschieden – nur in Autokratien sind Kontrolle und Verbieten einfach.

Professorin Ursula Münch

Bei allem Ärger über derartige Einwirkungen müssen wir bedenken, dass wir in Deutschland aus gutem Grund ein sehr weitgehendes Recht auf Meinungsfreiheit haben. Alle staatlichen oder europäischen Bemühungen, Desinformation und Propaganda abzuwehren, müssen an diesem Grundrecht gemessen werden. Wir wollen schließlich nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“ – also in einer Weise überreagieren, die dann genau das verletzt, was wir eigentlich schützen wollen. Das ist ein mühsamer und aufwendiger Spagat. Aber wir haben uns als Gesellschaft bewusst für das Mühsame entschieden – nur in Autokratien sind Kontrolle und Verbieten einfach.

Professorin Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing über politische Kommunikation in Zeiten von Social Media, Desinformation und Populismus

Als besonders wirkmächtige Form, wenn es um den Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung geht, führen Sie immer wieder Desinformationsseiten an. Wie fällt hier das Urteil für die aktuelle Wahl aus?

Münch: Die jetzige Bundestagswahl scheint in besonders hohem Maß von Manipulationsversuchen betroffen zu sein. Das braucht uns nicht zu wundern: Schließlich liegt es aus Sicht eines autoritären Staatschefs nahe, dass er die Wahlen in den Staaten, die den von ihm angegriffenen souveränen Nachbarstaat unterstützen, beeinflussen will.

Im Unterschied zu „Falschinformationen“, die unabsichtlich produziert werden – etwa durch schlampige Recherchen – , werden Desinformationen gezielt verbreitet. Mit ihnen will zum Beispiel der Kreml die ohnehin bestehende Unzufriedenheit innerhalb der deutschen Wählerschaft weiter schüren: Dazu werden beispielsweise Behauptungen über die angeblich unerträgliche Sicherheits- oder Wirtschaftslage in Deutschland verbreitet.

Das Ziel dieser Kampagnen, die dann häufig von unbedarften Nutzern weiterverbreitet werden, besteht darin, Ängste zu schüren und den deutschen Staat als schwach darzustellen. Auf diese Weise will man erreichen, dass die Wählerinnen und Wähler aus Angst und Sorge vor Flüchtlingen, vor einer Ausweitung des Kriegs und vor einer weiteren Steigerung der Energiepreise die Parteien wählen, die Russland vor Kritik in Schutz nehmen.

Wie stellen sich aus Ihrer Beobachtung Art und Umfang der „Cyberangriffe“ von außen auf unsere politische Meinungsbildung und letztlich auch auf unsere Demokratie dar? 

Münch: Unsere Sicherheitsbehörden sprechen von „hybrider Kriegsführung“ gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere Unterstützer der Ukraine. Damit ist die Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen und Desinformationskampagnen in den sozialen Netzwerken gemeint. 

Diese Cyberangriffe gehören inzwischen zur Tagesordnung: Dass immer mehr Behörden damit beschäftigt sind, diese Form der kommunikativen Angriffe abzuwehren, gehört zur Strategie dazu: Wir müssen sehr viele Ressourcen für diesen Kampf aufwenden und dieses Fachpersonal und das notwendige Geld dazu fehlt natürlich an anderen Stellen.  

Sie heben in Ihrer Arbeit hervor, dass das Wahlergebnis eines Landes auch psychologische Auswirkungen auf andere Gesellschaften haben kann. Wird die deutsche Wahl zum Bundestag, auch abseits direkter Einmischung durch Akteure wie Elon Musk, vom ruppigen US-Wahlkampf beeinflusst?

Münch: Meines Erachtens ja, da schwappt etwas zu uns herüber. Inzwischen findet man selbst in gemäßigten Kreisen bei uns auf einmal Gefallen am selbstbewussten Auftreten dieses kongenialen Disruptionsteam „Mump“; so bezeichnet der US-amerikanische Historiker Timothy Snyer dieses Bündnis von Elon Musk und Donald Trump. 

Es gibt ein neues Schlagwort in der Politik: Disruption. Dass diese Idee des völligen Bruchs mit allem Überkommenen auf einmal Verbreitung findet, nutzt gerade der AfD. Wie keine andere deutsche Partei verkörpert sie diesen Gedanken der Zerstörung: nicht nur die Zerstörung der Unionsparteien, sondern aller etablierten und tradierten Kräfte und Strukturen, die Regeln setzen und die wissen, dass wir uns in Deutschland aus gutem Grund für ein gewaltenteilendes und machtbegrenzendes System entschieden haben.

Mehr zum Thema

Der aktuelle Bundestagswahlkampf – zum Teil deutlich geprägt von scharfer Rhetorik, emotional geführten Diskussionen und begleitet von Desinformationskampagnen – verdeutlicht den polarisierenden Einfluss bestimmter Social-Media-Plattformen und klassischer Medien auf die politische Meinungsbildung. Das hat Folgen für die Demokratie: die Vertiefung der Kluft zwischen Politik und den Menschen.

In ihrem Impulsvortrag bei der offiziellen Eröffnung der Chiemgauer Medienwochen am 25. März geht Professorin Ursula Münch der Frage nach, wie unter solchen Rahmenbedingungen ein respektvoller Umgang im politischen Diskurs noch gelingen kann.

Chiemgauer Medienwochen 2025

 

 

 

 

 

 

Mehr Infos zu den Chiemgauer Medienwochen

Abonniere jetzt unseren Newsletter
Bleibe auf dem Laufenden zu den Events und Projekten des MedienNetzwerk Bayern!