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Julia Leeb

Julia Leeb: „Virtual Reality ist wie Träumen“

von Richard Löwenstein

Eine von Gewalt und Bürgerkrieg geprägte Region im Kongo. Erreichbar nur nach einem Gewaltmarsch durch den Dschungel. Vor Ort gibt es weder Internet noch Strom, dafür Terror. Die Schauplätze für die Arbeiten von Julia Leeb liegen in Nordkorea, in Syrien, im Kongo. Die Münchner Filmemacherin und Journalistin fängt das Leben von Menschen in Ausnahmesituationen ein – seit einigen Jahren in 360°. Im Interview erzählt sie über ihre Passion, technische Herausforderungen und was sie dazu bringt, 360°-Dokumentationen in Krisengebieten zu drehen. 

Julia, du berichtest über Menschen, die in Diktaturen und Krisengebieten leben. Warum ist dir das ein Anliegen?

Julia Leeb: Ich möchte das Leben von Gesellschaften veranschaulichen, die von unserer eigenen Gesellschaft abgeschnitten und vergessen sind. Diesen Wunsch spüre ich schon seit meiner Jugend. Als Teenager war ich in Burma, damals eine abgeschottete Militärdiktatur. Seitdem bin ich unterwegs, dokumentiere und erstelle Augenzeugen-Berichte aus schwer zugänglichen Regionen. Um die Tiefe und Dynamik einer Situation zu verstehen, muss ich vor Ort sein.

Ich möchte das Leben von Gesellschaften veranschaulichen, die von unserer eigenen Gesellschaft abgeschnitten und vergessen sind.

Julia Leeb

Dein aktuelles Werk ist die 360-Grad-Dokumentation „Brave New Realities“. Der Film zeigt Menschen im Sudan, in Uganda, Chile und auch Deutschland. Welches Anliegen steckt hinter dem Film? 

Leeb: Der Film beschäftigt sich mit der Frage: Was passiert, wenn unser Alliierter USA seinen europäischen Freunden den Rücken zuwendet und Separationswünsche die zentrifugalen Kräfte innerhalb Europas demaskieren? Was, wenn die Karten der Weltordnung neu gemischt werden? Der Zuschauer erlebt Menschen, die außerhalb schützender politischer Allianzen leben.

Julia Leeb. Foto: Julia Leeb

In den abgelegenen Nuba Bergen zum Beispiel, wo die eigene Regierung das Volk attackiert. Im Kongo, wo ein grausamer Krieg seit Jahrzehnten wütet und wo vor allem Frauen schutzlos ihren Peinigern ausgesetzt sind. Bilder aus einem zerstörten Hotel in Kroatien zeigen, wie schnell eine Situation eskalieren kann. Der Film erinnert daran, wie privilegiert wir sind in einer Union zu leben, die uns vor kriegerischen Auseinandersetzungen schützt. Am Ende stellt sich die Frage: Wer sind wir, und wohin geht Europa?

Für Bilder aus der Bürgerkriegs-Region Kongo läufst du schon mal drei Tage durch den Dschungel und fängst im Hinterland ein Rebellendorf mit deiner 360-Grad-Kamera ein. Welche Wirkung versprichst du dir davon? 

Leeb: Einen Perspektivenwechsel. Die Zuschauer können das Thema mit anderen Augen betrachten, besonders wenn sie den Film per Virtual-Reality-Headset erleben und sich in der Szene umschauen. So werden sie für kurze Zeit Teil einer anderen Welt, die ihnen sonst verschlossen bliebe. Auf diese Art kann ich komplexe Situationen nachvollziehbar machen. Eine abstrakte Erzählung wird persönlich und fühlbar.

Welche technischen und logistischen Herausforderungen sind mit dem Einsatz von 360-Grad-Kameras verbunden?

Leeb: Ich muss enorme Datenmengen handhaben, und die Postproduktion ist aufwändiger als bei herkömmlichen Filmen. Ich habe schon sehr früh mit 360-Grad-Kameras und Virtual-Reality-Headsets gearbeitet und musste anfangs viel experimentieren. Im kongolesischen Dschungel gab es zum Beispiel keinen Strom. Deshalb mussten wir eine Autobatterie tagelang durch den Dschungel schleppen. Ein Einheimischer hielt die Kameravorrichtung für Hexenwerk und schlug auf sie ein. In den Gebieten, in denen ich arbeite, wissen die Menschen nichts mit solchem Equipment anzufangen. Sie verhalten sich skeptisch.

Menschen im kongolesischen Dschungel mit einer 360-Grad-Kamera. Foto: Julia Leeb
Menschen im kongolesischen Dschungel mit einer 360-Grad-Kamera. Foto: Julia Leeb

Wie gehst Du mit Angst vor eskalierenden Situationen um?

Leeb: Manchmal ist die Angst ein guter Ratgeber. Manchmal muss ich sie überwinden und gegen meine Gefühle agieren. Es ist eine Gratwanderung.

Virtual Reality-Headsets isolieren den Menschen, der sie benutzt, von seiner Umwelt. Gemeinschaftliches Erleben deiner Filme ist damit de facto ausgeschlossen. Ist das nicht schade, für dich als Filmemacherin?

Leeb: Anders als beim Fernsehen, wo man nebenbei bügeln oder lesen kann, isoliert man sich bei Virtual Reality visuell komplett von seiner Umwelt, ja. Aber das ist eine bewusste Entscheidung. Man taucht in eine andere Welt und erlebt sie alleine, kann seine Erfahrungen aber anschließend mit seiner Umwelt teilen. Das erinnert mich ans Träumen. Auch das erleben wir alleine.

Bei Virtual Reality taucht man in eine andere Welt und erlebt sie alleine, kann seine Erfahrungen aber anschließend mit seiner Umwelt teilen.

Julia Leeb

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