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Papierkrise: Strategien für mehr Nachhaltigkeit und Resilienz

Kajsa Schwerthöffer: „Eine Neuausrichtung mit Fokus auf nachhaltige Beschaffung ist dringend erforderlich“

von Katja Schwengler, 27. Februar 2023


Die Papierkrise wird für Printmedien ein zentrales Thema der nächsten Jahre sein. Die Materialbeschaffungs- und Herstellungsprozesse haben sich für Verlage und Medienhäuser dadurch völlig geändert. Bei unserem Media Date „Ressourcenknappheit – Mehr Resilienz in der Publishing-Branche“ präsentiert Kajsa Schwerthöffer, Nachhaltigkeitsexpertin beim oekom verlag, bewährte und neue Strategien für mehr Nachhaltigkeit. Im Interview verrät sie bereits im Vorfeld, auf welche Stellschrauben es ankommt.

Kajsa, welche Herausforderungen stehen dem nachhaltigen Publizieren hauptsächlich im Wege?

Kajsa Schwerthöffer: oekom bewegt sich in einem schwierigen Marktumfeld. Trotz allem nimmt der Verlag seit Jahren erhebliche Mehrkosten in Kauf für eine umweltschonende und nachhaltige Produktion seiner Publikationen. Aktuelle Preissteigerungen und Lieferengpässe insbesondere beim Recyclingpapier, das mit dem Blauen Engel zertifiziert ist, sind für für den Verlag eine zusätzliche Herausforderung.

Die größte Herausforderung für nachhaltiges Publizieren – und das gilt für die gesamte Branche – ist, dass sich die Mehrkosten in höhere Ladenpreise übersetzen lassen, die von Kund:innen anerkannt und akzeptiert werden müssten. Hier gilt es, ein Bewusstsein für nachhaltiges Publizieren in der breiten Öffentlichkeit zu schaffen, um so eine gewisse Preisakzeptanz zu fördern.

Eine digitale Publikation als Alternative zu Print ist nur unter bestimmten Voraussetzungen ökologisch sinnvoller.

Kajsa Schwerthöffer

Welche Stellschrauben für eine bessere Ökobilanz gibt es in der Publishing-Branche?

Kajsa Schwerthöffer: Betrachtet man zunächst die beiden umweltrelevantesten Bereiche der Wertschöpfungskette, das Papier und den Druck, sind die Kriterien für ein umweltschonendes Printprodukt mit den Kriterien des Blauen Engel für Druckerzeugnisse (UZ 195) sehr klar benannt. Dazu zählen unter anderem der Einsatz von zertifiziertem Recyclingpapier sowie gesundheitlich und ökologisch unbedenkliche Farben und Zusatzstoffe beim Druck, regionale Stoffströme, das Vorhandensein eines Umweltmanagementsystems in der Druckerei sowie eine maximale Senkung der klimaschädigenden VOC-Emissionen (Volatile Organic Compounds) und ein geringer Energie- und Wasserverbrauch.

Weitere Stellschrauben bei den Publikationen wären eine absatzgesteuerte Auflagenplanung – gerade im Zeitschriftenbereich keine Selbstverständlichkeit –, eine Verringerung von Grammaturen oder die Einführung von Standardformaten. Eine digitale Publikation als Alternative zu Print ist nur unter bestimmten Voraussetzungen ökologisch sinnvoller.

Für die effektive Planung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen ist die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle im Unternehmen, die ganz oben in der Unternehmenshierarchie verankert ist, sinnvoll. Falls das organisatorisch (noch) nicht möglich ist, sollten zunächst Verantwortliche für Umweltschutz und Nachhaltigkeit benannt werden, die über die Ausstattung der Bücher entscheiden können.

Wie kann man das Bewusstsein für Nachhaltigkeit im Publishing stärker fördern?

Kajsa Schwerthöffer: Gegenwärtig fluten verschiedenste Label zu Umwelt und Nachhaltigkeit die Branche. Was allerdings dahinter steckt und welche Kriterien den jeweiligen Labeln zugrunde liegen, darüber wissen selbst die Anwender oft kaum Bescheid. Die Branche muss sich also erst einmal selber darüber klar werden, welche Zertifizierungen und Label die Ökobilanz einer Publikation tatsächlich verbessern. In einem Zusammenschluss könnten engagierte Vertreter ihr Wissen öffentlichkeitswirksam verbreiten, etwa in Form eines gemeinsamen Commitments zum nachhaltigen Publizieren. Nachhaltigkeitsberichte wie zu den Kriterien des Deutschen Nachhaltigkeitskodex schaffen hierfür die nötige Transparenz und Glaubwürdigkeit. 

Wichtig ist auch die Rolle des Buchhandels als Multiplikator, der das Wissen zu nachhaltigem Publizieren direkt an die Kund:innen weitergeben kann und damit mehr Bewusstsein für das Thema schafft. Aber auch die Politik ist gefordert, sich klar zu positionieren, zum Beispiel zur vermehrten Verwendung von Recyclingpapier anstelle von Papier aus Frischfasern.

Letztlich sollte die Branche ihr Potential nutzen, sich politisch Gehör für ihr Anliegen des nachhaltigen Publizierens zu verschaffen und Regularien einzufordern.

Kajsa Schwerthöffer

Welche langfristigen Strategien gibt es, um der Beschaffung – auch im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte – einen Rahmen zu geben?

Kajsa Schwerthöffer: Im Angesicht knapper werdender Ressourcen und drängender Umweltprobleme ist eine Neuausrichtung der Branche mit Fokus auf nachhaltige Beschaffung dringend erforderlich. Eine zentrale Frage wäre zunächst: Welche Publikation hat es wirklich verdient publiziert zu werden?

Zudem wird es immer wichtiger werden, sich mit anderen Branchenvertretern zusammenzuschließen, um Synergien bei der Beschaffung zu nutzen. Durch einen gemeinsamen Einkauf von Recyclingpapier mit Blauem Engel etwa ließen sich Kosten reduzieren. Durch die Einführung von Standardformaten ließe sich Papier einsparen, das andernfalls in der Druckerei während der Umrüstung auf andere Formate als Abfall anfallen würde. Auch gilt es, gemeinsam eine Nachfrage nach ökologischen Alternativen zu kommunizieren und damit den Wettbewerb auf dem Markt zu stimulieren.

Letztlich sollte die Branche ihr Potenzial nutzen, sich politisch Gehör zu verschaffen und Regularien für nachhaltiges Publizieren einzufordern. Über all diese Themen wird derzeit in der Interessensgemeinschaft Nachhaltigkeit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels lebhaft diskutiert.

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