KI im Drehbuchmarkt: Revolution oder das Ende menschlicher Kreativität?
Von Chris Schinke, 3. Juli 2023
Haben menschliche Autor:innen angesichts der KI-Konkurrenz auf dem Drehbuchmarkt eine Zukunft? Oder scheitert die KI an der menschlichen Einfallsgabe? Um nicht weniger als diese Diskussionspunkte ging es bei „This Writer Does Not Exist“, unserer Kooperationsveranstaltung mit dem FFF, im Rahmen des FILMFEST MÜNCHEN.
Existiert der Autor dieser Zeilen wirklich? Darüber durfte das Publikum gleich zu Beginn der Veranstaltung rätseln. Denn das launige Intro, das der Filmwissenschaftler Urs Spörri und Olga Havenetidis vom FilmFernsehFonds Bayern präsentierten, wurde nicht eigens von den beiden Moderator:innen geschrieben, sondern stammte aus der Feder einer Künstlichen Intelligenz. Per „One shot prompt“ hatte die KI vorab die Aufforderung erhalten, ein Eingangsstück für eine Doppelmoderation zum Thema KI im Drehbuch zu konzipieren. Der Auftakt zur Diskussionsrunde unter dem Titel „This Writer Does Not Exist“ gelang so maschinenbedingt noch ein wenig hölzern, doch überaus schwungvoll.
Im gut besuchten Rund der Filmfest-Location Pavillon333 hatten sich Interessierte zusammengefunden, um mit Expert:innen verschiedener Fachgebiete unter anderem den Fragen nachzugehen: Was passiert, wenn uns Maschinen Geschichten erzählen? Was macht es mit uns, wenn wir nicht wissen, ob uns eine Geschichte von einer Maschine oder einem Menschen erzählt wird? Und werden wir Menschen in Zukunft überflüssig?
Perspektive der Drehbuchautorin: KI wird uns in Teilen ersetzen
Den ersten Impulsvortrag zur Materie lieferte die junge Drehbuchautorin Luisa Nöllke. Die HFF-Absolventin gab an, bei ihrer Arbeit bereits KI zu verwenden. ChatGPT begleite sie dabei als Redaktionstool und persönlicher Assistent. Besonders wenn es um das Entwerfen von Handlungsszenarien gehe, greife sie auf die generativen Fähigkeiten von ChatGPT zurück. „Schreibe die Story zu Ende“, kann einer ihrer Prompts lauten. Nicht immer sei das Ergebnis, das die OpenAI-Anwendung liefere, verwendbar. Viele der Entwürfe seien nicht sehr originell und klischeehaft, aber oftmals seien die Outputs Ausgangspunkt, um von ihnen ausgehend weiter an der Story zu feilen. Luisa Nöllke ist überzeugt, dass KI in Teilen die Arbeit von Drehbuchautor:innen ersetzen wird: „Ein bahnbrechendes Drehbuch aber wird sie nicht verfassen können“.
Ein bahnbrechendes Drehbuch wird die KI nicht verfassen können.
Luisa Nölte, Drehbuchautorin
Glaube an menschliche Kreativität
Unter dem Stichwort Originalität ergab sich im Anschluss an Nöllkes Beitrag eine erste rege Diskussion im Publikum, die um die Frage kreiste, ob der menschliche Faktor in naher Zukunft noch eine maßgebende Rolle spielen werde. Die Kulturwissenschaftlerin Nathalie Weidenfeld hielt in ihrem Impulsvortrag fest: „Der Mensch ist ein Homo Creativus“. Wie bei allem im Leben, so wolle er auch in der Kunstrezeption und -produktion vor allem eines: Ernst genommen werden. Die Stärke des Menschen sei dabei eine wertbasierte Kommunikation. Weidenfelds Ausführungen waren geleitet von einem unbedingten Glauben an das Lebendige im Menschen. Aus dieser Lebendigkeit ergebe sich eine Lebenslust, die per se von keiner Maschine geteilt werden könne.
Kann KI scheitern lernen?
Der zunehmenden Bedeutung von KI gegenüber betont gelassen zeigte sich dagegen der Religionswissenschaftler, Theologe sowie Zen- und Yogalehrer Michael von Brück. Ihn bekümmere nicht so sehr die Künstliche Intelligenz, sondern vielmehr die vermeintlich natürliche Intelligenz des Menschen. In seinem ideenreichen Beitrag beleuchtete von Brück das Konzept der Autorschaft aus einer nichtwestlichen, buddhistischen Perspektive. Der fernöstlichen Lesart zufolge seien zusammengesetzte Strukturen immer als etwas Vorläufiges zu betrachten – so auch das menschliche Ich. In einer Kultur, für die die Frage nach Identität keine zentrale Rolle einnimmt, sei auch die Frage nach einer möglichen Überlegenheit der KI nicht von Bedeutung. Es stelle sich aber in existenzieller Hinsicht die Frage nach dem Scheitern. Für von Brück ist die Möglichkeit des Scheiterns die Keimzelle jeder Kreativität – und kann KI scheitern?
Vom drohenden KI-Kollaps
Nimmt man den anschließenden Impulsvortrag des Journalisten und Medienredakteurs der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Harald Staun als Grundlage, lässt sich die Frage nach einer möglicherweise scheiternden KI nur bejahen. Staun ließ KI-erzeugte Bilder projizieren, die bei der Bildgebung immer wieder Fehler, Anomalien und bizarre Glitches aufwiesen. Einen beinahe surrealen Eindruck machten die Aufnahmen, widersinnig und hyperreal zugleich. Staun unternahm einen ideengeschichtlichen Ausflug in die Postmoderne und ihr Spiel der Differenzen. Er verwies in der Folge auf die reale Gefahr eines Modellzusammenbruchs der KI, der eintrete, wenn KI nur mit ihren eigenen Outputs gefüttert werde. „Wenn KI nur noch von KI lernt, droht dann der Kollaps?“, warf Staun in diesem Zusammenhang in den Raum.
Wenn KI nur noch von KI lernt, droht dann der Kollaps?
Harald Staun, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Das menschliche Bewusstsein: Zu komplex für die KI?
Der Psychologe Ernst Pöppel betonte in seinem Vortrag die Bedeutung der Komplexitätsreduktion für das menschliche Bewusstsein. Diese sei notwendig, um unseren Alltag zu bestreiten. Geleitet von Erkenntnissen der Neurowissenschaft ging Pöppel bei seinen Ausführungen der Beschaffenheit des menschlichen Wissens nach. Gerade im Hinblick auf Künstliche Intelligenz sei es entscheidend, explizites Wissen von implizitem zu unterscheiden. Von diesem tacit knowledge sei der Mensch – anders als die Maschine – besonders geleitet. Angesichts von 100 Millionen Gehirnzellen, über die der Mensch verfüge, ergebe sich eine schier unendliche Anzahl möglicher Funktionszustände seiner Nervenzellen. An diesen Komplexitätsgrad reiche, so Pöppel, im Moment keine KI heran. Der Mensch sei in Bezug auf die Informationsverarbeitung unberechenbar.
Die inhaltlich anspruchsvolle, pointenreiche wie auch heitere Veranstaltung fand ihren Abschluss in einer KI-generierten Schlussmoderation, in deren Skript die Maschine festhielt, dass Menschen wohl auf absehbare Zeit die besseren Witze liefern würden. Ein versöhnlicher Ausklang dieses diskussionsfreudigen Nachmittags, nach dem eines feststand: Die eine oder andere Drehbuchzeile wird in Zukunft aus der Feder einer Künstlichen Intelligenz stammen.