KI in der Filmbranche: Zwischen reproduzierten Stereotypen und neu entfachter Kreativität
von Ann-Cathrin Schürholz, 11. Dezember 2023
Filme sind weitaus mehr als bloße Unterhaltung. Sie fungieren als Spiegel unserer Gesellschaft – doch wer gestaltet diesen? Und welche Geschichten bleiben unerzählt? Um diese Fragen drehte sich die Tagung „Teilhabe im Film (Vol. 2)“, veranstaltet vom FILMFEST MÜNCHEN und der Evangelischen Akademie Tutzing. Ein Schwerpunkt der Diskussionen: Wie kann künstliche Intelligenz in den Prozess der Ermöglichung von mehr Teilhabe eingebunden werden? In seinem Workshop führte unser Vernetzer und KI-Experte Jim Sengl anschaulich vor, wie Sprachmodelle Stereotypen reproduzieren und wie nicht.
Wenn die Vision zur Realität wird
Insbesondere in diesem Jahr sind die Entwicklungen rund um KI rasend schnell vorangeschritten. Wie weit wir bereits sind, zeigte Jim Sengl, Teamlead Vernetzung und strategische Partnerschaften, gleich zu Beginn seines Workshops anhand des Films „HER“ (2013). In einer markanten Szene, in der Theodore Twombly gespielt von Joaquin Pheonix das neue Betriebssystem installiert, entsteht ein Gespräch mit der Maschine namens Samantha, das in der Form beinahe real stattfinden könnte. Die Vision des zehnjährigen Films ist heute längst Realität.
Während Unterhaltungen mit digitalen Assistenten wie Siri und Alexa schon seit geraumer Zeit etabliert sind, markieren Konversation in natürlicher Sprache mit generativen künstlichen Intelligenzen eine neue Dimension. Der wesentliche Unterschied: Während Siri und Alexa auf vordefinierte Inhalte zurückgreifen und damit eher als Befehls- und Steuerungszentralen fungieren, generieren ChatGPT und Co. mit jedem Impuls eine völlig neue Antwort – Wort für Wort. Dadurch gleicht keine Antwort der anderen. Übrigens: Die Tatsache, dass Siri und Alexa auf vorher eingepflegte Antworten zurückgreifen, führt auch dazu, dass sie gelegentlich humorvoll agieren, während ChatGPT (noch) Schwierigkeiten hat, Humor und Ironie zu erfassen.
Large Language Models als Treiber der aktuellen Entwicklungen
Das Ganze wird verständlicher, wenn man die Funktionsweise genauer betrachtet. Denn hinter KIs verbergen sich Large Language Models, kurz LLMs. Diese Modelle basieren auf neuronalen Netzen, mit deren Hilfe sie riesige Textdatenmengen verarbeiten und Muster in der Sprache erkennen können. „Man kann sich das wie ein digitales Gehirn vorstellen, das Eingaben empfängt, diese transformiert und Antworten ausgibt“, erklärte Jim Sengl.
LLMs sind auch die treibende Kraft hinter vielen Technologiesprüngen, die wir im Jahr 2023 erlebt haben und die uns als Gesellschaft fragen lassen: Wie gehen wir mit diesen neuen Möglichkeiten um? Was bedeutet der breite Einsatz von generativer KI für unser Zusammenleben? Insbesondere aus Sicht der Kreativwirtschaft ist der Umbruch, den wir gerade erleben, enorm. Schließlich galt die menschliche Kreativität in der digitalen Revolution lange Zeit als das wichtigste Gut, das uns Menschen klar von den Maschinen trennte. Diese Trennung gerät nun ins Wanken. Hinzukommt, dass der Einsatz von KI nicht nur Vorteile mit sich bringt. Neben datenschutzrechtlichen und ethischen Bedenken, dominiert vor allem die Bias-Problematik.
KI und Bias: Als Daten noch Mangelware waren
Die Wurzel des Bias-Problems liegt darin, dass die moderne KI auf Machine Learning basiert und die Leistungsfähigkeit dieser KI-Programme stark von der Menge und Qualität der Trainingsdaten abhängt. In der Vergangenheit gab es jedoch einen Mangel an großen und digitalisierten Datensätzen, die für die Entwicklung von KI unerlässlich sind. Die NIST Special Database 32 – Multiple Encounter Dataset (MEDS), die aus FBI-Fotos von Straftäter:innen bestand, war in den 1990er Jahren beispielsweise ein häufig verwendeter Datensatz, den nahezu alle Entwickler:innen und Forscher:innen auf diesem Gebiet nutzten. Dadurch waren die Anfänge und ersten Fortschritte der KI-Forschung stark eingeschränkt und von amerikanischen Daten geprägt.
Um zu verhindern, dass Biases in KI zur Reproduktion von Stereotypen und zur Verstärkung von Diskriminierung bestimmter Personengruppen und Minderheiten beitragen, sieht Jim Sengl Medienschaffende in zweifacher Verantwortung:
- Sie sollten sich informieren, wie und wo KI eingesetzt werden kann.
- Sie sollten sich dafür sensibilisieren, was ein Bias ist, und die Ergebnisse einer KI kritisch hinterfragen, anstatt sie einfach zu reproduzieren.
Prompt-Crafting-Tipps für Filmschaffende
Wichtig sei außerdem der richtige Umgang mit der KI. Die Bedienung von KI-Tools wie ChatGPT sei zwar einfach und niederschwellig, unterliege aber dem Prinzip „Garbage in, garbage out“ (kurz: GIGO). Das bedeutet, dass die Qualität der Ergebnisse stark davon abhängt, welche Art von Daten und Anweisungen in das System eingegeben werden. Eine effektivere Nutzung der Werkzeuge ist möglich, wenn bei der Erstellung spezifischer Eingaben – so genannter Prompts – grundlegende Prinzipien berücksichtigt werden.
Vier Tipps fürs Prompt Crafting
1) Kontext/Rolle: Welche Rolle/Haltung soll das LLM einnehmen?
- Du bist Expert:in für XY.
- Du bist kritischer Kinogänger.
- Du bist eine erfahrene Drehbuchautorin.
2) Aufgabe: Was soll das LLM konkret tun?
- Schreibe eine wissenschaftliche Einschätzung zu X.
- Verfasse einen Erfahrungsbericht, was dir als Kinobesucher in der Szene gefallen hat und was nicht.
- Mache mir Vorschläge, wie ich den dramaturgischen Ablauf der Szene beschleunigen kann.
3) Handlungsanweisung: In welcher Form soll das LLM antworten?
- Formuliere deine Antworten in Bullet Points.
- Gib mir eine ausführliche Erklärung.
- Erkläre es mir, als wäre ich 5 Jahre alt.
4) Verfeinern: Gehe auf die Ergebnisse ein, die das LLM produziert hat.
- Schreibe die Antwort in Bezug auf XY ausführlicher.
- X ist für uns aus Grund Y nicht möglich. Was können wir stattdessen tun.
Wie Filmschaffende von KI profitieren
KI birgt vielversprechende Potenziale für die Zukunft der Filmbranche, betonte Jim. Besonders hervorzuheben sei die Funktion „MyChatGPT“ in der neuesten Generation des OpenAI-Tools. Diese ermögliche es, eigene Daten zu hinterlegen, auf die ChatGPT zurückgreifen kann. Ähnlich einer Assistenz könnten so Inspirationen und Vorarbeiten geliefert werden, die eigentliche Gestaltung obliege aber nach wie vor den Nutzer:innen selbst.
Ein weiterer Bereich, den Filmschaffende, laut unseres Vernetzers, auf dem Schrim haben sollten, sind Audio-KIs. So bieten Tools wie ElevenLabs der Filmindustrie beispielsweise die Möglichkeit, Stimmen in Sekundenschnelle zu synchronisieren und in andere Sprachen zu übersetzen. Die Qualität der hochgeladenen 10-sekündigen Dateien sei dabei von entscheidender Bedeutung, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Bereits heute gibt es KI-generierte Trailer, wie die Beispiele „Heidi“ und „Barbenheimer & The Seven Space Jesters“, die die Potenziale für den Bewegtbildmarkt aufzeigen. Auch wenn hier noch Verbesserungspotential besteht, wird deutlich, wohin die Entwicklung geht.
KI in der Filmbranche – aktuelle Stolpersteine
Weniger geeignet erweise sich die KI hingegen für die Recherche von Drehbüchern. Die Halluzinationen der KI und ihre oftmals fehlerhafte Wissensbasis machen sie für diese Aufgabe weniger praktikabel. Ein besserer Ansatz könnte darin bestehen, durch die eigene Recherche verschiedene Varianten für einen Film zu identifizieren und die KI die beste auswählen zu lassen, so der KI-Experte. Ein wesentliches Hindernis für den breiten Einsatz von KI in der Filmbranche sei aktuell noch der Datenschutz und die Schwierigkeit der Kennzeichnung. Zwar gebe es den EU AI Act, aber die Umsetzung sei schwierig, insbesondere was die Nachvollziehbarkeit von Textproduktionen durch KI angehe. Die Zukunft wird zeigen, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann.
Die Entwicklungen werden sich nicht aufhalten lassen. Grundsätzlich lässt sich alles, was Muster aufweist, irgendwann von einer KI reproduzieren lassen
Jim Sengl, MedienNetzwerk Bayern
Nichtsdestotrotz ist sich unser Vernetzer Jim sicher: „Die Entwicklungen werden sich nicht aufhalten lassen. Grundsätzlich lässt sich alles, was Muster aufweist, irgendwann von einer KI reproduzieren lassen“. Für Filmschaffende sei es daher entscheidend, sich frühzeitig mit diesen Technologien vertraut zu machen. Ein bewusster und verantwortungsvoller Umgang könne nicht nur möglichen Biases entgegenwirken, sondern auch die filmische Kreativität fördern.
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