media.innovations 2022: Innovation ist kein Selbstzweck
von Lisa Pandtle
Wie können Medienhäuser mit neuartigen Herausforderungen und außergewöhnlichen Nachrichtenlagen umgehen? Am 5. April fand der 9. Medieninnovationstag media.innovations der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) statt. Wie das Vertrauen in journalistische Angebote gestärkt werden kann, wie Medieninnovationen generell und gerade in Krisenzeiten aussehen und was das mit digitaler Kompetenz zu tun hat, erläuterten unter anderem SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer und Johannes Ott, Geschäftsführer Radio Gong.
Was sind eigentlich Innovationen? Jedenfalls kein reiner Selbstzweck, sondern eine Entwicklung relevanter Angebote für Einzelne und die Gesellschaft, erläuterte Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der BLM, bei seiner Einführung zu media.innovations: „Innovationen bringen einen Mehrwert für alle.“
Durch den Ukraine-Krieg habe sich die Arbeit der Medien generell verändert. Wichtig sei es, schnell und einfallsreich auf Krisen zu reagieren, aber auch den langfristigen Blick nicht zu verlieren. Vor allem digitale Kompetenz sei hierfür nötig – ein Thema, das sich durch den Veranstaltungsnachmittag zog.
Was lokales Radio erreichen kann
Wie genau der Krieg in der Ukraine die Arbeit der Medienhäuser verändert hat, machte Johannes Ott, Geschäftsführer Radio Gong, deutlich.
Als sehr schnelles, aktuelles Medium eignet sich Radio besonders gut, um in solchen Krisen zusammen mit der Community, mit den Menschen, viel zu bewegen.
Johannes Ott, Geschäftsführer Radio Gong
Mit Radio Gong baute der Audiomanager eine Vermittlungsplattform auf, die in den ersten beiden Wochen nach Kriegsbeginn 5000 Menschen – teils mit speziellen medizinischen oder räumlichen Ansprüchen – aus der Ukraine in ein vorläufiges, neues Zuhause gebracht hat. Der Münchner Lokalsender machte zudem Büroräume im eigenen Sendezentrum frei und richtete dort eine Art Ankunftszentrum ein.
Generell bedeuten große Krisen für den Journalismus ein großes Umdenken in der täglichen Arbeit, bei der Auswahl von Informationen, bei der Bebilderung der Nachrichten. Für Judith Wittwer, Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, stellte sich zu Kriegsbeginn die Frage: „Was machen wir als Medienhaus, wie berichten wir? Und welche Verantwortung tragen wir als Chefredaktion – auch gegenüber unseren Mitarbeiter:innen?“ Der Kiew-Korrespondent der SZ sollte das Land sofort verlassen, da die Lage im Kriegsgebiet nicht sicher erschien. Was die Arbeit des Zeitungsteams zusätzlich erschwerte: In den Wirren des Krieges gibt es nur begrenzte Möglichkeiten, alle Informationen zu prüfen. Die Süddeutsche hat daher bereits Ende Februar ihr Personal aufgestockt und die Zahl der Schichten erhöht. Von Vorteil sei, so schilderte Wittwer, dass Journalist:innen für das Blatt arbeiten, die Russland und die Ukraine gut kennen. Ihr Einschätzungsvermögen zähle, um Information einzuordnen.
Es ist wichtig, dass wir vor Ort sind und uns selbst ein Bild machen. Wenn man nicht vor Ort ist, hat man nur eine begrenzte Möglichkeit zum Faktencheck.
Judith Wittwer, Chefredakteurin Süddeutsche Zeitung
Bei Fotos wie jenen aus dem verwüsteten Kiewer Vorort Bucha gilt aus Sicht der SZ-Chefredakteurin: Medienhäuser tragen eine große Verantwortung. Wittwer und ihr Team stellen daher stets die Fragen: Welche Bilder wählen wir aus? Verstören sie? Es gehe um die Würde der Menschen vor Ort und der Angehörigen, aber auch um die Würde der Leser:innen, betont die Journalistin.
Bei der Fülle an täglichen Themen dürfe zudem die Orientierung nicht verloren gehen, so Judith Wittwer. „Informationen müssen passend strukturiert und gebündelt werden, damit sie am Ende eine übersichtliche Einordnung hergeben, die über den reinen Informationsbedarf hinausgeht“, schloss die Chefredakteurin.
Journalism Trust Initiative
„Das Vertrauen in Nachrichten nimmt stark ab“, machte Thomas Rebbe deutlich. Der, Chefredakteur des Nachrichtenangebots der Mailportale web.de und GMX begründete seine These mit einer Umfrage der „Stiftung Neue Verantwortung“ zur digitalen Nachrichtenkompetenz. Demnach liest jeder dritte Mensch nie oder nur selten Nachrichten in klassischen Medien. „Wenn Sie die Breite der Gesellschaft erreichen wollen, müssen Sie das über web.de oder GMX tun“, so Rebbe.
Für den Medienmanager ein gewichtiger Grund, um sich der Verantwortung für Leser:innen bewusst zu sein: Daher wendet Rebbes Team das neue Online-Tool der Journalism Trust Initiative (JTI) der Organisation eReporter ohne Grenzen an. Mithilfe des Tools können Medien ihre Arbeitsweisen evaluieren, redaktionelle Prozesse transparent machen und es Nutzer:innen erleichtern, vertrauenswürdige Quellen zu erkennen. Bei der aktuellen Kriegsberichterstattung wird beispielsweise deutlich gemacht, bei welchen Quellen womöglich Unsicherheiten herrschen. Bilder aus der Ukraine werden zur besseren Einordnung mit Quelle, Datum und Ort ausführlich gekennzeichnet.
Vertrauen schaffen durch Innovation
Die Co-Founderin von Facts for Friends, Valerie Scholz, sprach ebenfalls die Herausforderungen der aktuellen „Infodemie” an, die der Krieg in der Ukraine mit sich bringt: „Sie erschwert es den Menschen extrem, nicht-objektive News von Fakten zu unterscheiden – vor allem über Social Media.“ So wurde Facts for Friends geboren – eine zentrale Plattform, auf der Nutzer:innen Fakten verschiedener Quellen schnell und übersichtlich vorfinden und teilen können. Zusammengearbeitet wird mit offiziellen Faktenprüfer:innen. „So entsteht ‚snackable’ Content – Inhalte, die glaubwürdig und qualitativ hochwertig sind“, erklärte Scholz.
Auch Communities schaffen Vertrauen
Von der Games-Branche lässt sich gerade einiges lernen. So setzt das Entwicklerstudio Niantic auf Community Building, um Vertrauen bei (Zielgruppen und) Nutzer:innen zu erreichen. Dominik Schönleben trägt bei Niantic den Titel „Global Community Manager”. Er fokussiert sich beim Thema Gaming auf Entdeckung, Bewegung und soziale Interaktion in der echten Welt. Seine wichtigsten Learnings:
- Für eine langfristige, starke Verbindung braucht eine Community einen Berührungspunkt in der echten Welt – wie das Pokemon-Go-Fest 2019 in Dortmund.
- Durch passende Rahmenbedingungen sollten Spieler:innen ermächtigt werden, eine Community zu erschaffen. Ein Unternehmen muss das nicht immer selbst machen, aber Gelegenheiten schaffen.
- Es gehört zum Lifestyle, Teil einer Community zu sein: Spieler:innen integrieren Spiele in ihren Alltag und engagieren sich. Entwickler:innen sollten auf diesen Lifestyle eingehen und Ideen annehmen.
- Die aktive Teilnahme durch die Community bereichert Games: Entwickler:innen sollten diese Teilnahmemöglichkeiten schaffen.
- Eine Community zu bauen, ist ein Investment in die Zukunft: Community Management braucht viel Zeit und ist erst nach rund einem Jahr messbar.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Hören plus X mit immersivem und interaktivem Audio-Content. Fabian Eck, CTO der SBAE (Situation Based Audio Experiences), setzt auf Audiowalks: Hörer:innen selbst sind hierbei die „Spielfiguren”. Ihnen werden Hörspaziergänge mit allen Sinnen in der eigenen Stadt ermöglicht. Vor allem während der Corona-Pandemie sei so ein abwechslungsreiches und neues mediales Erlebnis geschaffen worden, hob Eck hervor.
Wie steht es um die digitale Kompetenz in Deutschland?
Doch werden solche digitalen Angebote in Deutschland überhaupt ausreichend genutzt und verstanden? Wie gut die Arbeit im digitalen Raum aktuell funktioniert, stellte Dr. Roland Stürz vom Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) und Abteilungsleiter Think Tank vor: Laut bidt-Studien liegt die digitale Kompetenz in Deutschland bei 55 von 100 Punkten. Das Problem aus Sicht des Wissenschaftlers: „Menschen mit geringer digitaler Kompetenz arbeiten selten daran, diese zu verbessern.” Die jüngeren und höher gebildeten Generationen hingegen würden schon daran arbeiten. Laut Stürz entstehe so eine wachsende Kluft zwischen digital Fitten und online Überforderten in der deutschen Gesellschaft.
Dass lebenslanges Lernen ein wesentlicher Faktor von digitaler Kompetenz ist, weiß auch Dirk von Gehlen, der Director Think Tank des neu gegründeten SZ-Instituts: „Wir brauchen einen umgekehrten Generationendialog.“ Gemeint ist: Die digitalen Kompetenzen müssten von Jung nach Alt transportiert werden. Die Forderung von Sabrina Hoffmann, Chefredakteurin BuzzFeed DACH: „Qualitätsmedien könnten sich noch mehr hineinversetzen in sozial benachteiligte oder bildungsfernere Menschengruppen und ihre Inhalte dahingehend anpassen, sonst verlieren wir sie.“
Wie kann KI unterstützen?
Am wichtigsten ist es, problemgetrieben zu denken. Von der Lösung her anzufangen ist meist eine schlechte Idee.
Steffen Kühne, Tech Lead AI & Automation Lab, BR Data
Steffen Kühne zeigte sich beim Event sicher, dass Künstliche Intelligenz digitale Prozesse verbessern kann. Die Hauptarbeit liege am Ende darin, das Produkt in die bestehende Infrastruktur eines Unternehmens einzubauen und die Akzeptanz von allen Mitarbeitenden zu erlangen, betonte der Entwicklungsleiter BR Recherche/BR Data/AI + Automation Lab. Was bei der Einführung von KI am besten hilft? Für Kühne sind das KI-Richtlinien oder zumindest eine offene Debatte darüber, welche Standards bei der Automatisierung eingeführt werden sollen.
Best Case Landwirtschaftsverlag: Wie ein Medienhaus sich multimedial für die Zukunft rüstet
Für Print bringt digitale Kompetenz ganz klar neue Chancen mit sich. Das machte Ludger Schulze Pals, Geschäftsführer des Landwirtschaftsverlags in Münster, bei media.innovations deutlich. Das Haus arbeite durchweg an seiner digitalen Kompetenz. Der Verlag zählt zu den zehn größten deutschen Fachverlagen und besteht bereits seit 1844. Und wirkt in der Ära Schule Pals alles andere als angestaubt.
Digitalisierung ist aktuell DAS Thema bei uns! Wir haben lange den Fehler gemacht, zu sehr von Print her zu denken.
Ludger Schulze Pals, Geschäftsführer Landwirtschaftsverlag
Ein erfolgreicher Printtitel sei nicht gleich ein erfolgreicher Online-Titel, erklärte Schulze Pals. Aktuelle Herausforderungen auf dem Weg hin zu neuen Produkten seien vor allem die digitalen Erlöse, effiziente Workflows und eine agile Unternehmenskultur. Ein Umdenken finde beim Verlag bereits seit Jahren statt. Der Verlagsmanager führte beim Event in München funktionsübergreifende Gespräche und neue Lösungen an: So wurden in Münster beispielsweise ein Innovationslabor und diverse Fortbildungsprogramme eingerichtet. Daneben wurden Innovationsmanager:innen eingestellt und ein Innovationslab mit externen Expert:innen aufgestellt.
Deutlich wurde: Mit digitaler Kompetenz kann der Landwirtschaftsverlag neue Potenziale ausschöpfen – die Basis für die Zukunft von Medienhäusern.
Das gesamte Event gibt es hier zum Nachschauen: