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Heute die inklusive Gesellschaft von morgen mitgestalten

von Lisa Pandtle

Durch Leichte Sprache können alle Menschen Medieninhalte verstehen. So steigen Reichweiten. Sprachliche Barrierefreiheit und wirtschaftlicher Vorteil werden kombiniert. Trotzdem ist die Sprachform noch nicht in der Masse angekommen. Lukas Paul, Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien, und Flora Geske, SUMM, haben dem Thema bei „Media Insights: Leichte Sprache“ Antrieb verliehen.

Die Vorteile und Chancen von Leichter Sprache? Über diese Frage ist die Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien (abm) längst hinaus. Als Fernsehredaktion gegründet, bietet die abm bis heute nach eigenen Angaben das einzige deutschlandweite TV-Format in Leichter Sprache an – darunter Dokumentationen, Reportagen, Talkshows und Reisemagazine. „Von der Infosendung bis zur Unterhaltung ist alles dabei“, so Lukas Paul, Projektkoordination & Strategie bei MEDIEN BARRIEREFREI, eine Abteilung der abm.

„Bei MEDIEN BARRIEREFREI geht es um die vollinklusive Aufbereitung von Inhalten, immer. Es geht uns um individuelle und bedarfsgerechte Lösungen, keinesfalls um Standardisierung. Leichte Sprache erhält aktuell noch viel zu wenig Aufmerksamkeit“, findet der Projektkoordinator.

Wir wollen schon heute die inklusive Gesellschaft von morgen mitgestalten.

Lukas Paul

Was ist Leichte Sprache?

  • Leichte Sprache hält sich an das Sprachniveau A1: Sie besteht aus einfachen und sehr kurzen Sätzen. Schwierige Wörter werden umgeschrieben oder ersetzt.
  • Sie richtet sich an Menschen mit Lernschwierigkeiten, ist jedoch auch individuell einsetzbar für Personen, die zum Beispiel keine Muttersprachler:innen sind.
  • Es gibt Übersetzer:innen für Leichte Sprache. Im Anschluss an die Übersetzung muss eine Prüfungskommission aus Menschen mit Lernschwierigkeiten die Ergebnisse freigeben. Erst dann gibt es das Qualitätssiegel.

Einfache Sprache dahingegen hat kein festes Regelwerk und wird in den etwas höheren Sprachniveaus A2 bis B1 formuliert. Sie sei eine Art Fortführung der Leichten Sprache, so Paul.

Das Google Translate für Leichte Sprache

Bei Flora Geske, CEO und Gründerin des Tech-Startups SUMM, kam die Inspiration für ihre Gründung aus dem Familienkreis. Gemeinsam mit Absolvent:innen und Studierenden der TU München hat sie SUMM, Teil des Media Startup Fellowship im Media Lab Bayern, gegründet. Ihr KI-basiertes Tool übersetzt automatisch komplizierte Texte in Leichte Sprache. Dabei orientiert es sich an den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache – ein 2006 gegründeter Verein, der die Leichte Sprache fördert.

Mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland seien aus unterschiedlichen Gründen im Alltag auf Leichte Sprache angewiesen, so die CEO: Menschen mit Lernschwierigkeiten, ältere, kranke oder bildungsbenachteiligte Menschen sowie Menschen, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Durch SUMM komme der Kern des Inhalts viel besser und klarer heraus, erklärt Geske.

Unsere Mission ist es, die Welt für jede:n verständlich zu machen. Wir haben deshalb das Google Translate für Leichte Sprache entwickelt.

Flora Geske

Laut Rundfunkstaatsvertrag sind alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verpflichtet, Inhalte auch barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Angebote in Leichter Sprache seien jedoch kaum vorhanden, so die Gründerin, vor allem, wenn es um Alltagsnachrichten gehe.

KI-basiertes Übersetzen

Bei Fremdsprachen sind 1-zu-1-Übersetzungen meist möglich. „Bei KI-gestützten Tools ist das nicht der Fall. Das ist eine technisch facettenreiche Herausforderung“, erklärt die SUMM-Gründerin. Sie zeigt ein mehrdimensionales Problem auf: Beachten müssen die Entwickler:innen das Abstraktionslevel (Welche Details werden weggelassen, um konkreter und einfacher zu formulieren?), den Sprachstil (Welche Wörter werden ersetzt oder erklärt?) und die Formatierung.

„Der maschinenerstellte Chat macht Abstriche bei der Textqualität, das ist klar“, ergänzt Geske. „Wir sind jedoch bereits bei 85 Prozent Verwertbarkeit der Texte. Das ist eine erste Lösung und ein Ansatz, um Angebot zu schaffen – weitaus besser als gar nichts.“z

Screenshot eines Zoom-Fensters: Links oben mit Jim Sengl, rehts Lukas Paul und unten ist Flora Geske zu sehen.
Screenshot (v.l.n.r.): Jim Sengl (MedienNetzwerk Bayern), Lukas Paul (abm), Flora Geske (SUMM)

Maschine und Mensch müssen zusammenarbeiten

„Es ist nicht der richtige Ansatz, den Adressat:innen selbst das Tool in die Hand zu geben, sondern denjenigen, die den Text veröffentlichen. Ihre Aufgabe ist es, den Text barrierefrei zu machen“, erklärt Flora Geske. Diese Review-Funktion sei wichtig. Ein Mensch müsse den Fakten-Check machen und sich mit der Zielgruppe auskennen: Gibt es neue Wörter im Text, die erklärt werden müssen, oder sind sie der Zielgruppe bereits bekannt? SUMM verfügt über eine Glossarfunktion mit Konzepterklärungen, die allgemein anerkannt und verwendbar sind. Nutzer:innen können das Glossar im Post-Editing-Prozess selbst anreichern.

Auch Lukas Paul sieht Potenzial in den technikbasierten Tools: „Wir müssen mit der Digitalisierung gehen und KI-basierte Softwarelösungen auf jeden Fall nutzen. Man darf aber die Betroffenen selbst nicht vergessen. Sie müssen eingebunden und mit der Technik vertraut gemacht werden.“ Nur so könne man eine inklusive Gesellschaft gestalten, manifestiert der Projektkoordinator.

„Wir alle sollten an einem Strang ziehen. Professionelle Übersetzer:innen für Leichte Sprache haben auf jeden Fall ihre Berechtigung und sollen mit unserem Tool nicht ersetzt werden. Wir haben alle dieselbe Mission, dasselbe Fundament: mehr barrierefreie Inhalte und Texte, mehr Inhalte in Leichter Sprache“, stimmt Flora Geske zu. SUMM sei für erste Ideen und gute Versionen von Texten gedacht. Bei längeren Stücken komme man mit händischen Übersetzungen nicht mehr hinterher, ergänzt die Gründerin. „Wir versuchen hierfür eine schnelle, kostengünstige und bequeme Lösung anzubieten – die eine menschliche Prüfungsinstanz braucht.“

Stichwort Skalierung: Zahlen Inhalte in Leichter Sprache auf die Reichweite ein?

Anhand von Klickzahlen könne man messen, ob mehr Menschen mit Inhalten in Leichter Sprache erreicht werden oder nicht, erläutert Geske. Die Impf-Informationen des RKI waren beispielsweise in Alltags- und in Leichter Sprache verfügbar: Beide Versionen wurden laut Geske gleichermaßen geklickt, waren ergo akzeptiert und gefragt.

Die Möglichkeit, seine Reichweite zu vergrößern und ein Angebot für Zielgruppen zu schaffen, die sonst gar kein Angebot haben, stellt für Medien eine große Chance dar.

Flora Geske

„Aktuell sagt niemand: ‚Ich will mit Leichter Sprache mehr Geld mit neuen Zielgruppen machen.‘ Das fände ich auch sehr problematisch. Im Zentrum sollten Inklusion und Barrierefreiheit stehen – und dass man etwas für die Gesellschaft tut“, das ist Geske wichtig. Es gebe dennoch langfristig wirtschaftliche Effekte: Texte werden in Suchmaschinen besser sichtbar, weil sie verständlicher sind. So erhöht sich die vermarktbare Reichweite.

„Gerade in der Werbung wird Leichte Sprache häufig genutzt, weil Texte schnell und einfach verständlich sein und im Kopf bleiben müssen“, ergänzt Lukas Paul. „Aber solange die große Nachfrage nicht da ist, wird es auch nicht mehr Prüfgruppen und Inhalte in Leichter Sprache geben.“

Im privatwirtschaftlichen Bereich komme das Thema viel zu kurz, ergänzt Geske. Noch. Doch 2025 tritt eine neue Regelung für Produkte und Dienstleistungen in Kraft. „Wir hoffen, dass dieser Zeitgeist in die Unternehmen getragen wird und die intrinsische Motivation, Inhalte in Leichter Sprache umzusetzen, größer wird.“ In den allermeisten Fällen sei Leichte Sprache nämlich ein Zusatzangebot und kein Ersatz für Alltagssprache – auch diese müsse erhalten bleiben, so Flora Geske.

Die gesellschaftliche Verantwortung in Frage stellt Lukas Paul zu Ende des Events: „Wollen wir schnell und kostengünstig Produkte online stellen oder eine diverse und inklusive Gesellschaft vorantreiben? Dann müssen gewisse Kosten in die Hand genommen werden, um im Zusammenspiel von digitalen Lösungen und menschlichen Prüfgruppen wahre Inklusion zu leben.“

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