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Medientrends 2022 – Medien und Gesellschaft im Wandel

Trends sind der Treibstoff der Medienwelt. Rund ein Dutzend Entwicklungen könnten die Branche in besonderem Maße prägen, darunter synthetische Medien, Creatfluencer oder auch die Hypegier. Zusammen mit Expert:innen aus Medien und Media hat das MedienNetzwerk Bayern im Rahmen des Events „Medientrends 2022“ die Veränderungen vorgestellt und diskutiert, die für die Branche im kommenden Jahr eine maßgebliche Rolle spielen werden.

Über ein Jahrzehnt hinweg hat die Digitalisierung mit einer immer besseren Auswertung der Daten, die Nutzer:innen bei allen Aktivitäten im digitalen Raum hinterlassen, die Medienwelt beschleunigt und geprägt. Seit Beginn der Corona-Pandemie legte die Geschwindigkeit zu und läutete eine generelle Phase der Veränderung ein.

Magnus Gebauer, Trendexperte beim MedienNetzwerk Bayern, verwies bei „Medientrends 2022“ darauf, was sich innerhalb von nicht einmal zwei Jahren getan hat in der Gesellschaft: Dazu zählen das Bemühen um Nachhaltigkeit, die Kluft, die sich zwischen Arm und Reich vertieft hat, eine fortschreitende Digitalisierung, die viele auch zunehmend ermüdet sowie eine zunehmende Spaltung im Miteinander der Menschen. Aus Sicht Gebauers lassen sich die massiven Verschiebungen in Gesellschaft und Medien vier Bereichen zuordnen, die über den Trends der kommenden Zeit prangen: Content & Storytelling, Technologie & Innovation, Mensch & Gesellschaft und Prozesse & Entwicklungen.

KI, Technologien, Daten, aber auch Leidenschaft, Empathie, Rückbesinnung

Eva Deinert, Creative Producerin für digitale Entwicklungen beim Bayerischen Rundfunk, machte deutlich, wie beim öffentlich-rechtlichen Sender mit den Trends Interactive ExperienceEmpathy Movement und Data-inspired Storytelling in der Praxis umgegangen wird. Demnach lautet die zentrale Frage in ihrem Team: „Sind die Daten gut genug, um jemand darauf anzusetzen?“ Dabei stehe im Vordergrund, sich zu fokussieren und die User:innen nicht zu überfordern. Wie nützen die Daten den User:innen und was bedeuten sie für ihre Lebens- und Nahwelt konkret? Deinert verwies auf das Tagesspiegel-Projekt zum individuellen Impfstatus. Dieses sei ein „ganz spannender Ansatz“.

Lukas Schöne aus dem Vernetzer-Team des MedienNetzwerk Bayern ergänzte, dass stets die Frage nach der Relevanz gestellt werden müsse, um aus der Fülle der Datenmenge das herauszufiltern, was den User:innen nützt. Eine wichtige Aufgabe, die im Ansatz des datengetriebenen Storytellings stecken müsse. Er hob die Relevanz von Fakten hervor sowie die richtige Gewichtung von Themen und Expert:innen. Transparenz, Haltung und Werte, die auch intern gelebt werden müssten, müssten für die Arbeit in Redaktionen selbstverständlich werden.

Eve Deinert betonte: „Was auch immer sehr hilft, ist, die Nutzer:innen zu fragen. Es ist erstaunlich, was man zurückgespiegelt bekommt.“ Man sollte nicht einfach etwas ins Netz stellen und darauf warten, dass Zielgruppen reagieren. User:innen sollten vielmehr „sehr früh“ im Prozess eingebunden werden.

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„Man muss Daten analysieren und verstehen können, um sie greifbar zu machen.“

Lukas Schöne

Sind wir alle bald im Metaverse?

Daran glaubt Dirk von Gehlen nicht. Der Leiter Social Media und Innovation bei der Süddeutschen Zeitung nannte unter Hinweis auf die Facebook-Strategie das Metaverse als digitales Paralleluniversum mit Avataren eine „spannende PR-Geschichte“. Dahinter liege eine Trendentwicklung, „die wir in den vergangenen 20 Jahren mehrmals gesehen haben – ein Trend, den Facebook derzeit für sich besetzen will“. Sich damit zu beschäftigen und eine tiefere Ebene für Inhalte zu schaffen, mache jedoch Sinn. Von Gehlen legte einen Fokus auf die Frage, wem künftig die Medieninfrastruktur gehören soll – wirklich einem Mark Zuckerberg? „Man muss sich sehr wohl überlegen, ob man sich in eine solche Abhängigkeit begeben möchte“, ergänzte Jim Sengl vom MedienNetzwerk Bayern. Der Media-Tech-Experte plädierte dafür, diese Infrastrukturfrage auch von Seiten der Medienanbieter zu lösen.

Von Gehlen wies rund um die Trends Next Level Internetsynthetische Medien und Community Centricity den einstigen Ansatz der Kommunikationswissenschaft zurück, wonach ein neues Medium ein altes vollkommen ersetzt: „Wir werden damit leben müssen, dass diese Trends ganz oft parallel existieren werden.“ Als Beispiel führte er das erfolgreiche Fortentwickeln von Musikstreaming parallel zum guten alten Radio an. 

Sengl und von Gehlen waren sich einig, dass der Nutzerseite eine stärkere Bedeutung als früher zukommt, als allein klassische Medien mit ihren Gatekeepern Informationen lieferten. User:innen müssten heute oft selbst darüber entscheiden, wo Sinnvolles zu erkennen ist und wo neue Angebote auch mal abgelehnt werden sollten, so Sengl. Der SZ-Digital-Chef von Gehlen hob hervor: „Die Medien-Journey beginnt heute auf der Nutzerseite.“ Er setzte auf mehr Kompetenz bei User:innen, um etwa Fakes jeglicher Art identifizieren zu können.

Dem Community-Gedanken konnte Dirk von Gehlen viel abgewinnen. Übertragen auf Medien sei „das Festhalten an Peers“ als Identitätsbestätigung der zentrale Punkt, um erfolgreich neue Produkte wie bezahlte Newsletter oder Discord Communities zu launchen. Sein Tipp: „Ich glaube, dass die Communities gut funktionieren, bei denen es Creators gelingt, den Mehrwert zu kommunizieren.“

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„Community Building wird eine bedeutsame Erweiterung des klassischen journalistischen Berufsbilds.“

Dirk von Gehlen

Corona hinterlässt eine Gen C mit Sehnsucht nach Werten

Die Pandemie hat zunächst einmal den Bereich Mensch und Gesellschaft massiv verändert, hat das tägliche Leben und das soziale Miteinander auf den Kopf gestellt. Das wurde auch beim Event „Medientrends 2022“ des MedienNetzwerk Bayern deutlich. Entstanden ist in dieser Zeit eine bisher undefinierte Generation der Jungen, die Generation Corona oder Gen C. Sie reicht von der Gen Z über die Generation Alpha bis hin zu den Kleinsten, die während der Pandemie geboren sind. Sie eint eine durch die Pandemie-Phase besonders ausgeprägte Medienaffinität. 

Martina Vollbehr, Co-Founder & Managing Director der pilot Agenturgruppe, und verantwortlich für die Themen Insights und Strategie, konnte auf Basis einer pilot-Studienreihe seit Start der Pandemie erste Antworten rund um die Gen C geben: Die Jungen treibe vor allem der Verlust von Social Engagement in der realen Welt um. „Derzeit nimmt die Sorgenlast generell wieder zu“, so Vollbehr. Ein Beispiel: Alles, was weit weg sei von der aktuell realen Lebenswelt, funktioniere werblich derzeit nicht. Aus Vollbehrs Sicht wird es für Werber:innen und Planer:innen aktuell noch schwieriger, die jungen Zielgruppen mit Werbung zu erreichen. Situative Haltungskampagnen, Durchhaltekampagnen: „Sie funktionieren jetzt nicht mehr.“ Ihr Tipp für Werbungtreibende lautete„Ganzheitlichkeit“: Das Produkt und die Aussage müssten relevant sein und zum Anbieter passen. „Bei Greenwashing strafen vor allem junge Zielgruppen sofort ab“, weiß Vollbehr.

Jacqueline Hoffmann aus dem Vernetzer:innen-Team des MedienNetzwerk Bayern hob als Besonderheit der Corona-Zeit das Ausblenden der Realität hervor. Das Versinken in Social Media und Netflix gerade bei der Gen C führte sie als Gründe für die spürbare Rückbesinnung an. Das Reinkuscheln ins gute Alte, die Suche nach Struktur, Werten und moralischen Aspekten präge die Gesellschaft und führe etwa zu einer Rückkehr von Vinyl, zum Besuch beim Buchhändler um die Ecke oder zum Konsum wiederaufgelegter TV-Shows.

„Die ganzen Qualitäten müssen erst einmal verschwinden, bevor wir sie wieder schätzen können.“

Jacqueline Hoffmann

Neben der Generation Corona und Revivalism diskutierten Martina Vollbehr und Jacqueline Hoffmann mit Moderatorin Sara Weber auch über die Bedeutung des Trends Creatfluencer. Beide stuften die kreativen Internet-Vorbilder für junge Zielgruppen als sehr wichtig ein, „weil sie ein hohes Maß an Identifikation bieten“, so Vollbehr. Doch beide sahen auch die Gefahr in der großen Beeinflussung junger Menschen und hoben die Notwendigkeit von Authentizität und Empathie bei den digitalen Stars hervor. Die pilot-Chefin warnte vor der „Blasenkommunikation“, wenn Creators, Medien und Werbung es nicht schaffen würden, über den eigenen Bereich hinaus zu senden. 

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Wie Trends Prozesse und Entwicklungen prägen

Mit HypegierTransformational TV und War for Talents wurden im Rahmen von „Medientrends 2022“ auch Veränderungen angesprochen, die direkt auf Organisation und Struktur der Anbieter einwirken. Stephanie Schettler-Köhler, COO und seit diesem Jahr auch Vorständin der Produktionsgesellschaft PANTAFLIX, nannte Hypes einen „wichtigen Motor“. Doch das Produktionshaus prüfe immer genau, ob der Trend zum Markenkern passt und ob das Businessmodell stimmt. Ein Hype wurde als sinnvoll und passend erachtet: Ab Januar startet Pantaflix eine eigene Podcast-Firma. Und: „Pantaflix Studios widmet sich dem Modell, reichweitenstarke Influencer:innen zu nehmen und Produktionen mit ihnen aufzusetzen, zum Beispiel in der Produktion ‚Das Internat‘ bei Joyn.“ Von Seiten des MedienNetzwerk Bayern wies Petra Schwegler auf positive Effekte der Entwicklung hin. „Hypes beflügeln viele, inspirieren Bestehendes und zeigen auch, wer sich bewährt und einen roten Faden für User:innen bietet.“

Zu den Hypes zählt sicher auch der Boom von Dokus und Nachrichtenformaten im TV, der unter anderem dem Mehrbedarf an Information durch die Unwägbarkeiten der Pandemie geschuldet ist. Schnell stand beim Event fest: Mittlerweile gibt es viele Info-Mischformen: Was früher der Nachrichtenmann mit der Krawatte war, können nun auch „die Influencer des Privatfernsehens, Joko und Klaas“ sein, die ihre erspielten 15 Minuten bei ProSieben mit ernsten Inhalten füllen. Schettler-Köhler nannte diese Entwicklungen „sehr positiv“, da so auch für die privaten Sender das Thema Seriosität geöffnet werde. 

Gerade im News-Bereich zeichne sich laut Moderatorin Sara Weber ein War for Talents ab, ein selten dagewesener Wechsel der Seiten wie etwa bei Linda Zervakis und Jan Hofer, die sich zu ProSieben und RTL abwerben ließen. Ein Grund dafür seien mehr Freiräume, betonte die PANTAFLIX-Vorständin. Man müsse als Unternehmen attraktiv sein, sich entsprechend aufstellen und interessant werden. Auch betonte Schettler-Köhler die Relevanz von Initiativen wie Start into Media, die junge Menschen für die Medienbranche begeistern.

„Ich glaube schon, dass unsere Branche eine große Strahlkraft hat. Wie man dahin kommt, wissen aber die meisten erstmal nicht.“

Stephanie Schettler-Köhler

Als weitere Facetten der „Sexyness“ eines Arbeitgebers führte Schettler-Köhler Entwicklungsmöglichkeiten an oder die Notwendigkeit, junge Talente mit Themen abzuholen, die ihnen wichtig sind. Dazu könnte zum Beispiel das Angebot eines Jobrads zählen. Bei anderen Punkten machte die PANTAFLIX-Managerin Abstriche: „Gerade im Produktionsbereich ist Work Life Balance und Familie gar nicht machbar. Gerade, wenn beide Partner:innen in der Branche tätig sind, muss man sich abwechseln.“ Daran müsse die Branche noch dringend arbeiten. Doch klar wurde beim Trendevent auch: Corona machte deutlich, dass Remote Work und agiles Arbeiten funktioniert, was die Familientauglichkeit von Jobs deutlich erhöht. Ein nachhaltiger Trend? Stephanie Schettler-Köhler: „Wir werden in einer Mischform, einem hybriden Modell bleiben.“

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Magnus Gebauer, der Experte für Medientrends beim MedienNetzwerk Bayern, fasste seinen Ausblick so zusammen: „Auch wenn wir 2022 nicht komplett in das Metaverse abtauchen, werden Medien für die User:innen immer immersiver und durch Daten und KI-Technologien auf ihre Interessenschwerpunkte und Bedürfnisse angepasst. Es wird jedoch nicht nur um Technologien gehen, sondern auch um Leidenschaft – Leidenschaft für Retro, News-Formate und Empathie-Themen wie Gender, Diversity & Co.“

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