
Haltungsspaltung
Zwischen Haltung und Neutralität: Der Zeitgeist kippt
von Lisa Priller-Gebhardt, 17. Januar 2025
2025 stehen Unternehmen vor einer Entscheidung: Viele fahren Haltungskampagnen zurück, kürzen DEI-Programme und setzen auf Neutralität. Gleichzeitig zeigt die Marktforschung, dass Werte wie Diversität und Inklusion Konsumierende weiterhin ansprechen und Wachstum fördern können. Zugleich werden parteiische Informations-Ökosysteme genutzt, um Macht zu sichern. Dieses Spannungsfeld aus Verantwortung, Neutralität und medialer Einflussnahme verlangt neue strategische Ansätze.
Die Menschen finden es im Allgemeinen gut, wenn Marken Haltung zeigen. So bleiben auch 2025 entsprechende Kampagnen wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg. Laut Kantar Marketing Trends 2025 beeinflusst die Wahrnehmung der Diversitäts- und Inklusionsbemühungen einer Marke die Kaufentscheidungen von fast 8 von 10 Menschen weltweit. So haben sich im vergangenen Jahr für die Kampagne „Made in Germany – Made by Vielfalt“ 50 Familienunternehmen zusammengetan, um gemeinsam für mehr Toleranz und Weltoffenheit zu trommeln, darunter namhafte Unternehmen wie Hipp, Otto, Vorwerk, Würth. Eine Kampagne als Zeichen gegen eine immer aggressivere Stimmung gegen Migrant:innen und andere Minderheiten. Die Botschaft: „Es hat einen Grund, dass es Made in Germany und nicht Made by Germans heißt.“
Doch nicht für alle Haltungskampagnen gibt es Lob. So musste Edeka für seine Anti-AfD-Kampagne, aufgrund ihres polarisierenden Inhalts, sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei Marktbetreibern Kritik einstecken. Sie war ein Beispiel dafür, dass Haltungskampagnen zwar Aufmerksamkeit erregen, jedoch nicht immer uneingeschränkt funktionieren und zum Boomerang werden können.

Haltung hat den geringsten Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft
Wie eingangs erwähnt, finden Verbraucher:innen Haltung zwar primär gut, doch wenn es ums Bezahlen geht, herrscht bei vielen eine gewisse Diskrepanz zwischen der Absichtsbekundung und dem tatsächlichen Handeln. Dann sind andere Aspekte plötzlich deutlich relevanter. In einer Studie der Markenberatung Brands on Mars antwortet auf die Frage, wann Verbraucher:innen bereit sind, mehr für eine Marke zu zahlen, mehr als jede:r Zweite: Wenn die Marke einen Mehrwert für die Gesellschaft bietet (67 Prozent) oder wenn sie eine klare (gesellschaftliche) Haltung zeigt (59 Prozent). Über diesem kollektiven Nutzen stehen allerdings individuelle Vorteile, wie eine Verbesserung (87 Prozent) und Erleichterung des Lebens (86 Prozent). Ebenfalls gerne genannt: „Macht mich glücklich“ (82 Prozent).
Haltungskampagnen werden zunehmend als Risiko wahrgenommen
Dass gut gemeint nicht immer gut ankommt, weiß man inzwischen nicht nur bei Edeka. Vor allem im Heimatland des Purpose Marketing USA hagelt es Kritik aus allen Lagern. Neben konservativen Akteur:innen und „Anti-Woke“-Bewegung, kritisieren zunehmend auch linke Gruppen und junge Zielgruppen die mangelnde Authentizität oder den symbolischen Charakter solcher Programme. Deshalb rudern Unternehmen und Marken inzwischen zurück. Sie wollen sich wieder auf Leistung und Kernkompetenzen konzentrieren.
Auch, um die Balance zwischen Werten und wirtschaftlicher Effizienz zu finden, lösen Unternehmen wie Boeing ihre DEI-Abteilungen vollständig auf und setzen verstärkt auf betriebswirtschaftliche Ziele und „leistungsorientierte“ Ansätze. Auch Meta hat angekündigt, seine Programme für mehr Vielfalt und Inklusion zu beenden. Begründung: Die Entscheidung sei einer sich verändernden „rechtlichen und politischen Landschaft” geschuldet. Ähnliche Überlegungen dürften auch bei McDonalds eine Rolle gespielt haben. Das Unternehmen hat ebenfalls angekündigt, die Diversity-Ziele abzuschaffen.
Dagegen werben neue ETFs und Fonds inzwischen mit „Anti-Woke“-Strategien und versprechen höhere Renditen ohne vermeintlich kostentreibende Diversity-Programme.
Polit-Podcaster:innen lösen Zeitungen als Wahlpromoter ab
Das Thema Haltung treibt nicht nur Marken, sondern auch Medien um. Wie bei den letzten US-Wahlen zu beobachten war, hielten sich die Zeitungen mit klaren Empfehlungen zurück. Ein deutlicher Bruch zu vorangegangenen Wahlkämpfen.
Die Gründe: Die US-Blätter haben es mit einer zunehmenden Polarisierung und der Angst vor politischer Vergeltung zu tun. Außerdem gehören viele US-Zeitungen, die früher unabhängig oder in Familienbesitz waren, heute großen Zeitungskonzernen, deren Eigentümer:innen, oft Hedgefonds oder Private-Equity-Gruppen, beschlossen haben, auf Empfehlungen von Kandidat:innen zu verzichten. So erhielt Donald Trump von den 100 größten Zeitungen nur zwei Empfehlungen, von New York Post und La Vegas Review-Journal, beide im Besitz von Trump-Verbündeten. Bei der Wahl 2016 waren es dagegen noch sieben Zeitungen. Ein Trend, den die Nachrichtenwebsite Axios über einen Zeitraum von 20 Jahren genauer untersucht hat. Während im Jahr 2004 noch 90 der Top-100 Tageszeitungen die Präsidentschaftskandidaten durch Empfehlungen unterstützten, sank die Zahl in den folgenden 20 Jahren kontinuierlich. 2024 waren es nur noch knapp 30, wobei der Großteil der Empfehlungen auf die Kandidatin der Demokraten entfiel, Kamala Harris.

Inzwischen sind Podcaster:innen zu den neuen Machtspieler:innen in der Politik avanciert. Sie verfügen über eine direkte Verbindung zu einem Millionen-Publikum und sind damit in der Lage, politisches Bewusstsein zu schaffen und Wähler zu mobilisieren. Im vergangenen Wahlkampf nutzten beide Parteien diesen Medienkanal. So sprach sich der politische US-Podcaster Joe Rogan am Vorabend der Wahl offiziell für Donald Trump aus. Ein Schritt, den Trumps Team als großen Sieg wertete.
Wie sehr Haltungsspaltung auch deutsche Medienhäuser treffen kann, machte der Fall Elon Musk Ende vergangenen Jahres klar. Die Welt am Sonntag druckte einen Gastbeitrag des Tech-Milliardärs, in dem er für die AfD warb. Die Veröffentlichung führte zu massiven Spannungen sowohl in der deutschen Medienlandschaft als auch innerhalb der Redaktion. Die Meinungschefin der Welt-Gruppe legte anschließend ihren Posten nieder.
Aber auch in der Gesellschaft zeigt sich diese Spaltung. Die Leserschaft erwartet zunehmend, dass Medien entweder „klare Haltung“ zeigen oder sich strikt neutral positionieren, was diese zunehmend vor einen schwierigen Balanceakt stellt.
Quellen & nützliche Links:
- Axios: Newspapers rapidly kill off the presidential endorsement
- Berliner Zeitung: McDonals lässt Diveristy-Ziele fallen
- CNN: Joe Rogan endorses Trump on eve of the election
- Horizont: Warum Haltungsmarken mehr verkaufen
- Horizont: Wie sich die Marketingbranche gegen Rechtsextremismus formiert
- Horizont: 50 deutsche Familienunternehmen machen Made in Germany zum Toleranzsiegel
- Kantar: Marketing Trends 2025
- t-online.de: Edeka-Spitze zu Anti-AfD-Kampagne – "Es tut uns leid"
- Spiegel: »Welt«-Meinungschefin kündigt wegen Gastbeitrags von Elon Musk
- Welt: Warum Elon Musk auf die AfD setzt – und warum er dabei irrt
- Zeit: Meta beendet firmeninterne Diversitätsprogramme