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Medientrend 2024: Medien-Bubble trifft Realität

Medien-Bubble trifft Realität

Wie Medien dem Digital Divide entgegenwirken können


von Nora Beyer, 22.01.2024

ChatGPT, Bard, Midjourney und Co. – 2023 war das Jahr der KI. Während sich viele Menschen durch die globale Corona-Pandemie gerade erst an Technologien wie Zoom und Slack gewöhnt haben und vielerorts der gesellschaftliche Wandel durch Social Media immer noch sortiert wird, wartet schon die nächste Digital(r)evolution: Künstliche Intelligenz ist Buzzword des Jahres. Und für Medienschaffende ein janusköpfiges Mega-Thema – für manche bedrohlich, für andere vielversprechend.

In Zeiten zunehmender Medienskepsis sieht sich die Branche vor der grundsätzlichen Herausforderung, die eigene Glaubwürdigkeit zu sichern. KI und Co. machen das nun noch herausfordernder. Dies wird umso mehr zum Kraftakt, als der pandemiebedingte Technologie-Boost nicht den erhofften Umbruch gebracht hat –  so die Gesellschaftsstudie D21-Digital-Index der Initiative D21. Viele Menschen stehen dem Thema KI ratlos gegenüber. Digitale Ungleichheit belegt regelmäßig die vorderen Plätze auf der Liste der größten Zukunftsrisiken im Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums. Gefährdet sind vor allem die, die ohnehin schon schlechter gestellt sind: ärmere, ältere Bevölkerungsschichten mit geringerem Bildungsgrad sowie marginalisierte Gruppen. Die soziodemographischen Spaltungen zeigen sich laut D21-Digital-Index deutlich in der digitalen Ungleichheit. Das ist ein Problem, weil der Digital Divide die gesellschaftliche Spaltung vorantreibt. Der Einsatz von KI verschärft dieses soziale Gefälle zusätzlich. Vorsprung werden zukünftig diejenigen haben, die KI-Tools souverän nutzen können, etwa, weil sie Zugang zu entsprechenden Bildungsangeboten haben und auch die Zeit und Ressourcen, diese wahrzunehmen. Auf der Strecke bleiben werden die ohnehin schon marginalisierten Gruppen.

 

Die Überforderung wächst und mit ihr die Verantwortung der Medien


Medienunternehmen sehen sich in Zukunft mit folgenden Fragen konfrontiert: Wie weit reicht die eigene Verantwortung, dem Digital Divide entgegenzuwirken? Und wie lassen sich Menschen medial überhaupt noch erreichen? Dabei ist zu berücksichtigen, dass digitale Ungleichheit ein äußerst komplexes, gesamtgesellschaftliches Thema ist, das nicht allein durch Medien aufgefangen oder kompensiert werden kann. Dennoch können Medienunternehmen einen Beitrag leisten, um digitale Ungleichheiten zu verringern und mehr Menschen zu erreichen. 

Im Bereich neuer KI-Technologien und personalisiertem Content kann dies etwa bedeuten, transparent und nachvollziehbar zu kommunizieren, wie und warum Inhalte entstehen, wem welche Inhalte ausgespielt werden und welche Mechanismen dabei zum Einsatz kommen. Ein transparenter Umgang wird für Medienschaffende auch deshalb zentral werden, um die eigene Glaubwürdigkeit zu schützen. Diese ist Voraussetzung, um Medienkonsument:innen an sich zu binden. Rechtliche Vorgaben wie etwa der unlängst beschlossene EU Artificial Intelligence Act werden hier zukünftig zwar einen Orientierungsrahmen vorgeben. Aber es wird auch in der Verantwortung der Unternehmen selbst liegen, auszuloten, wie transparent man sein will – und muss. Beispiele für transparenten Umgang mit neuen Technologien gibt es bereits. Die ProSiebenSat.1 Media SE mit Sitz in Unterföhring bei München kennzeichnet in ihren News-Angeboten etwa schon jetzt KI-generierte Inhalte. 

Digital Divide: Allgemeines Vertrauen in Nachrichten seit 2015 (in Prozent)
Gerade in Zeiten zunehmender Medienskepsis sehen sich die Medienschaffenden vor der Herausforderung, die journalistische Glaubwürdigkeit zu schützen. | Quelle: Reuters Institute Digital News Report 2023 – Ergebnisse für Deutschland

Anforderung an Medien: Wissensvermittlung und Zugänglichkeit


Um Menschen mit Medienangeboten zukünftig überhaupt noch zu erreichen, werden außerdem entsprechend inklusive Angebote notwendig. Etwa spezielle Medienformate, die aktuelle Tech-Themen verständlich und niederschwellig aufbereiten und erklären – wie zum Beispiel der KI-Podcast des ARD. Oder Angebote, die die Schärfung von Medienkompetenz zum Ziel haben. Ein Beispiel ist hier Legit.ng. Die nigerianische Webseite ist mit über dreizehn Millionen Nutzer:innen monatlich die führende News-Plattform in dem westafrikanischen Staat und wurde 2023 als Best Trust Initiative mit dem African Digital Media Award ausgezeichnet. Über multimediale Angebote wie Webinare, Gamification-Angebote und Kurzvideos wurden hier im Vorfeld der Präsidents- und Parlamentswahlen 2023 gezielt Bildungsangebote geschaffen, um die Medienkompetenz zu erhöhen. So wurden die Menschen selbst befähigt, Fake News zu erkennen und Information grundsätzlich kritisch zu hinterfragen. 

Über inklusive Angebote und spezielle Medienanwendungen können außerdem mehr Menschen erreicht werden. Ein gutes Beispiel ist etwa das KI-Language Tool des Münchner Unternehmens SUMM AI. Das übersetzt komplizierte Texte mithilfe von KI in leichte Sprache. Eine Anwendung, die Inklusion fördert und von Mediennutzenden wie -schaffenden gleichermaßen mit großem Mehrwert genutzt werden kann. Ein weiteres Beispiel ist die Kampagne „Morning Shanghai“. Um Senior:innen in der Metropole die Möglichkeit zu geben, sich mit der digitalen Welt zu verbinden, hat die Agentur Ogilvy in Kooperation mit der Shanghaier Stadtverwaltung ein WeChat-Miniprogramm zur Verbesserung der digitalen Kompetenz entwickelt. Die Initiative umfasst außerdem eine Lernplattform, auf der Senior:innen durch Video-Tutorials und interaktive Spiele ihr Medienwissen und ihre Medienkompetenz schulen können. Die mobile Programmier-App OctoStudio des MIT Media Lab ist hingegen ein kostenloses Tool, das Menschen weltweit eine kreative Nutzung ihrer Mobilgeräte ermöglichen soll. Vor allem Kinder, Jugendliche und Familien werden angesprochen. Statt passivem Medienkonsum sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, eigene digitale Inhalte zu schaffen und zu gestalten – etwa ein Mini-Game oder eine animierte Geburtstagskarte- und so digitale Problemlösungskompetenzen zu erwerben. Zentral dabei: Die App wurde vor allem für Menschen entwickelt, die nur eingeschränkten Computer- und Internetzugang haben und kann daher Menschen auch in entlegenen Gebieten oder in prekären Verhältnissen erreichen.

Auch diversere Redaktionen können, etwa durch einen niederschwelligen Zugang zu Medienausbildungen, (mehr) Menschen erreichen, neue Zielgruppen erschließen und ein breiteres Publikum generieren. Insbesondere angesichts der neuen KI-Technologien wird das zukünftig relevant. Denn: KI reproduziert in vielen Fällen Stereotypen, da sie mit problematischen Daten trainiert wird und somit etwa rassistischen Bias fortschreibt. Dagegen können entsprechend divers aufgestellte Redaktionen und Medien helfen, die stereotype Darstellungen erkennen und benennen. Dafür setzen sich Verbände wie die Neue deutsche Medienmacher*innen e.V. ein. 

 

Dem Digital Divide entgegenwirken


Durch den KI-Boom werden Medienschaffende in 2024 also noch mehr als bislang vor der Herausforderung stehen, wie sich Menschen medial erreichen lassen und wie sie ihrer Verantwortung in der pluralistischen Gesellschaft gerecht werden können. In vielen Medienhäusern werden neue Technologien bereits genutzt, etwa zur Optimierung von Arbeitsprozessen oder um das Medienangebot zu erweitern und neue Services anzubieten, zum Beispiel via Text-to-Video Generatoren. Um dem Digital Divide entgegenzuwirken und Menschen weiterhin erreichen zu können, wird es zukünftig notwendig sein, neue Technologien nicht nur intern zu nutzen, sondern auch nach außen zu tragen. Etwa, wie beschrieben, durch entsprechende mediale Bildungsangebote, niederschwellige Anwendungen oder diversere Redaktionen. Das Wissen um digitale Mechanismen und technologische Prozesse wird zunehmend zum Machtfaktor. Es gilt zu verhindern, dass Teile der Gesellschaft immer weiter digital abgehängt werden. Die Frage, wer in der KI-Welt mithalten kann und wer nicht, wird zukünftig zentral nicht nur für die journalistische Glaubwürdigkeit, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In Bayern, Deutschland und der ganzen Welt. 


Quellen & nützliche Links


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