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Medientrend 2024: Medienkonsum zwischen Detox und Sucht

Medienkonsum zwischen Detox und Sucht

Wie Medienunternehmen Nachrichtenmüdigkeit entgegenwirken können


von Nora Beyer, 24.01.2024

Kriege, Krisen, Katastrophen. Medial brennt die Welt. Die Folge, nur auf den ersten Blick paradox: Die Nachrichtenmüdigkeit nimmt zu. Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich psychisch überfordert, vermeidet Nachrichten gar aktiv und zieht sich ins Private zurück. Laut einer Studie des Rheingold Institute geben knapp 70 Prozent der Befragten auf die Frage, was sie tun würden, um mit den Problemen unserer Zeit im Alltag umzugehen, an, sich vermehrt auf ihr Privatleben zu konzentrieren und die Freizeit zu genießen. 

Gründe der News Fatigue sind unter anderem die ständige Konfrontation mit negativen oder belastenden Nachrichten, die allgemeine Überlastung durch die ständige Informationsflut, die mangelnde Fähigkeit, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden und der fehlende Bezug vieler Nachrichten zum eigenen Leben.

Medientrend: Medienkonsum zwischen Detox und Sucht - Hauptgründe für das aktive Meiden von Nachrichten
Warum werden zunehmend Nachrichten gemieden? | Quelle: GMX Newsroom: Studie zur Nachrichtenmüdigkeit


Diesen Trend der News Fatigue verzeichnen die jährlichen Studien des Reuters Institute Digital News Report bereits seit über fünf Jahren. Das Interesse an Nachrichten insgesamt sinkt. Von 57 Prozent im Jahr 2022 auf 52 Prozent im Jahr 2023. Zugleich steigt die Skepsis. Nur noch 43 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland glauben, man könne Nachrichten vertrauen. Das sind sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Zwar genießen die öffentlich-rechtlichen Sender nach wie vor ein vergleichsweises hohes Vertrauen. Nur: Für die jüngere Generation nimmt deren Relevanz stetig ab. Sie wandern zunehmen in die sozialen Medien ab und gestalten dort ihre eigenen, vorzugsweise nachrichtenfreien Medienrealitäten.

 

Mehr Social Media, aber anders


Denn: Die Belohnungsmechanismen der sozialen Medien funktionieren noch immer. So wird prognostiziert, dass die Zahl der Nutzer:innen in Deutschland bis 2028 weitere 17 Prozent steigen wird. Aktuell geht insbesondere der TikTok-Boom weiter: Mit einer monatlichen Nutzung von 23:42 Stunden ist die Nutzung der TikTok-App mittlerweile mehr als doppelt so hoch wie die von Instagram, Facebook, YouTube oder sogar Whatsapp.

Während also der Medienkonsum allgemein in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist, wird die Unzufriedenheit immer größer. Das Gefühl medialer Belastung wächst – und damit auch das Interesse an Themen wie Digital und Social Detox. Bedingt durch ein immer größeres Bewusstsein über psychologische Belastungen im Zusammenhang mit dem eigenen Mediennutzungsverhalten, sind beispielsweise App Stores voll von Digital-Detox-Anwendungen, Handykonsum-Kontroll-Apps und Co. Wo die Selbstregulation nicht gelingt, greifen selbst Erwachsene immer häufiger zu technologiegestützten Screen-Time-Limits.  

Medienkonsum: Digital & Social Detox
Steigendes Suchvolumen weltweit: Digital & Social Detox | Quelle: Google Trends


Wo können Medienunternehmen ansetzen und mit entsprechenden Angeboten diesem Belastungsgefühl und der Nachrichtenmüdigkeit entgegenwirken? Der Reuters Digital News Report liefert hier eine interessante Erkenntnis: Mehr als die Hälfte der Befragten geben an, sehr an positiven oder lösungsorientierten Nachrichten interessiert zu sein. 

 

Guten Journalismus und Medienkompetenz fördern


Ein Mittel gegen die Nachrichtenmüdigkeit könnte also eine Hinkehr zum konstruktiven Journalismus sein, der Lösungen diskutiert, der Komplexität der Themen gerecht werden will und oft einen lokalen Fokus setzt. Entsprechend geben die befragten Medienunternehmen für 2024 an, sich stärker auf die Erklärung komplexer Sachverhalte (67 Prozent), positive und lösungsorientierte News (44 Prozent) und inspirierende Storys, die Menschen ins Zentrum stellen (43 Prozent) konzentrieren zu wollen. 

Das gelingt etwa in Storytelling-Podcast-Formaten wie HITZE – Letzte Generation Close-Up oder Das Lederhosen Kartell, die sich auf bestimmte, oft auch lokale, Themen spezialisieren und Hintergründe entsprechend ausführlich beleuchten können. Ein Beispiel für lösungsorientierte Angebote ist das Projekt Media for Peace des Media Lab Bayern. Das Förderprogramm ermöglicht es, journalistische Angebote zu entwickeln, die friedensfördernd wirken. Aktiv unterstützt wird das Projekt derzeit im Libanon und in Afghanistan. Innovative Content-Formate werden entwickelt, mit denen Journalismus in den Regionen zum Frieden beitragen kann. Für Medienunternehmen sind solche Ansätze durchaus lohnenswert. Konstruktiver Journalismus schaffe Reichweite und wirke zusätzlich deeskalierend, so etwa Manuela Kasper-Claridge, Chefredakteurin der Deutsche Welle. 

News jenseits des üblichen Katastrophenjournalismus sind gefragt. Das zeigen auch Initiativen und Social-Media-Kanäle wie Good News Movement oder Global Positive News Network, die Follower:innenzahlen im Millionenbereich verzeichnen. Dabei geht es nicht um übersteigerten Positivismus, Ignoranz oder Verdrängung. Sondern um eine Balance zwischen Katastrophe und Chance – und darum, Menschen für die Zukunft digital resilient zu machen. Ein weiteres Beispiel: Die Medien-Initiative #usethenews hat 2024 zum Jahr der Nachricht ausgerufen. Damit soll auf die zentrale Bedeutung vertrauenswürdiger journalistischer Informationen, den richtigen Umgang mit Nachrichten und das Thema Desinformation aufmerksam gemacht werden. Über verschiedene Kampagnen, Camps und andere Projekte wird dazu Wissen vermittelt.

 

Alternativen bieten


Was zukünftig auch wichtig wird: Alternativen bieten. Denn: Die Mediennutzung verschiebt sich in neue Räume, Anwendungen und Angebote. Einstige Social-Media-Größen wie Facebook und X (vormals Twitter) werden laut Reuters Digital News Report als News-Plattformen weiterhin an Bedeutung verlieren. Für Medienunternehmen wird das zweierlei bedeuten: Einerseits wird es immer schwerer, Menschen, die nicht ohnehin schon im Wendekreis des eigenen Medienangebots sind, zu erreichen. Schließlich wird die Mediennutzung direkter und findet in vergleichsweise geschlossenen Räumen statt – allen voran WhatsApp. Hierauf sollten Medienunternehmen zukünftig den Fokus legen. Gerade WhatsApp wird in 2024 eine große Rolle spielen, nachdem Meta innerhalb der ehemaligen reinen Chat-Anwendung Broadcast-Kanäle eingerichtet hat. 

Andererseits haben  Medienschaffende aktuell die Chance, im Kontext der News- und Content-Produktion unabhängiger von großen Tech-Konzernen zu werden. Indem sie vermehrt auf direkte Kanäle wie WhatsApp setzen und ihre TikTok-Strategien darauf ausrichten, Menschen auf ihre eigenen News-Seiten zu lotsen, könnten sie (wieder) mehr Kontrolle bekommen. Das geht aber mit neuen Herausforderungen einher – die neuen Kanäle müssen sinnvoll genutzt und bespielt sowie neue Kundenstämme erst aufgebaut werden. ​​

Eine weitere Lösung, um Menschen trotz wandelndem Medienkonsum zu erreichen, könnte es sein, soziale Netzwerke neu zu denken. Die dänische Social App The Duckling, die demnächst an den Start geht, will beispielsweise Geschichten mit Tiefgang und Empathie erzählen. Jede:r kann dort Reporter:in werden – vorausgesetzt, dieser Anspruch ist erfüllt. Das nötige Handwerkszeug vermittelt die so genannte Duckling Online Academy. Dadurch, dass alles auf einer Blockchain-Infrastruktur beruht, können die User:innen ihre Stories monetarisieren.

 

Das könnte der veränderte Medienkonsum für Medienunternehmen bedeuten


Eine funktionierende demokratische Gesellschaft kann nur auf Basis informierter Bürger:innen existieren. Um der Nachrichtenmüdigkeit entgegenzuwirken, nehmen Medienschaffende deshalb eine zentrale Rolle ein. So gibt etwa ein Großteil der befragten Medienunternehmen (77 Prozent) an, in 2024 die direkte Kundenbindung durch Rundum-Pakete und Maßnahmen wie hauseigene Apps, Newsletters oder Podcast-Angebote steigern zu wollen. Darin wird auch Nicht-News-Content eine große Rolle spielen – siehe New York Times. Den Herausforderungen für 2024 können Medienunternehmen vielfältig begegnen: Etwa durch eine Erweiterung des Content-Angebots und entsprechender Abo-Pakete, Personalisierung und direkter(er) Ansprache in passenden Räumen (WhatsApp statt X) sowie durch das Eingehen auf die Bedürfnisse der Mediennutzenden – zum Beispiel durch personalisierte Inhalte, die verständliche Aufbereitung komplexer Inhalte und mehr lösungsorientierten Journalismus. 




Quellen & nützliche Links



 

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