
News-Oasen
Zukunft ohne Lokalmedien? Medienschwund schadet demokratischen Strukturen
von Lisa Priller-Gebhardt, 16. Januar 2025
2025 wird das Thema „News Deserts“ zunehmend auch in Deutschland relevant: Während zu urbanen Themen Nachrichtenflut herrscht, sind ländliche Gebiete medial unterrepräsentiert und schwach versorgt. Dieser Mangel erschwert den Zugang zu verlässlichen regionalen Informationen und kann Gemeinschaften weiter auseinanderdriften lassen. Gleichzeitig entstehen neue Ansätze, um diese Lücken zu schließen: Hyperlokale Plattformen, KI-gestützte Tools oder Podcasts bringen Nachrichten in schwach versorgte Regionen. Medienhäuser können hier Vertrauen aufbauen und neue Zielgruppen erschließen – durch lokale Inhalte, die Nähe schaffen und Relevanz garantieren.
In den USA macht sich ein trauriger Medientrend breit: In immer mehr Gegenden gibt es keine lokale Tageszeitung mehr. Aktuell ist das laut Expertenteam der Local News Initiative in 206 Counties der Fall. In über 50 Prozent der Counties gibt es nur noch eine einzige lokale Tageszeitung. Die bittere Bilanz: 3.200 lokale US-Tageszeitungen sind in den vergangenen 20 Jahren verschwunden, das sind zirka 168 pro Jahr.

Die Vielfalt vor Ort nimmt kontinuierlich ab
Eine Entwicklung, die in absehbarer Zukunft auch Deutschland erreichen wird: Es werden seit Jahren Lokalredaktionen zusammengelegt, verkleinert, Mitarbeitende entlassen oder Stellen nicht mehr nachbesetzt. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger, BDZV, hatte zwar im Jahr 2023 gewarnt, dass bis 2025 ganze 40 Prozent der Kommunen zur sogenannten Nachrichtenwüsten werden könnten. Doch das ist bis dato nicht eingetreten.
Dennoch lohnt sich ein Blick auf die aktuelle Situation. Die Hamburg Media School hat in Kooperation mit Netzwerk Recherche und Transparency Deutschland den Rückgang unabhängiger lokaler Print-Tageszeitungen in Deutschland genauer studiert. Eines der Ergebnisse, die in der Studie Wüstenradar zusammengefasst wurden: In Deutschland gibt es noch keine Nachrichtenwüsten auf Landkreisebene, wie das in den USA der Fall ist. Tatsache ist jedoch, dass der Schnitt von 2,26 Zeitungen pro Landkreisebene im Jahr 1992 auf 1,83 im Jahr 2023 gefallen ist. Außerdem ist der Anteil der Landkreise mit nur einer lokalen Tageszeitung im selben Zeitraum von 33,5 Prozent auf 46,75 Prozent gestiegen.

Gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren einige Blätter dazu übergegangen, ihre Printausgabe einzustellen und ihre lokalen Medien nur noch digital anzubieten. Dieser Umstieg fällt gerade einer alternden Leserschaft schwer – doch nicht nur ihnen. Für die Medienhäuser bedeutet die Umstellung auf die digitale Erscheinungsweise oft einen hohen finanziellen Invest. Nach Berechnungen des BDZV ist eine Übergangsphase von mindestens fünf Jahren erforderlich, um ein digitales Geschäftsmodell zu etablieren, was vor allem für lokale Kleinverlage eine enorme Belastung darstellt.
Einen ersten Schritt in Richtung „Digitale Zukunft” hat der Zeitungsverlag Waiblingen (ZVW) unternommen und Pop-Up-Redaktionen in vier Städten aufgezogen. Zum einen wollte der ZVW wieder näher an der Leserschaft sein, zum anderen wurde die Chance genutzt, der Leserschaft das erklärungsbedürftige Produkt E-Paper zu erklären, es besser zu vermarkten und neue Abonnent:innen zu gewinnen. Das Projekt hat sich für den Verlag gelohnt. In diesem Jahr sind 12 Pop-Up-Redaktionen geplant.
Aber auch in der Vermarktung lokaler Inhalte sind neue Konzepte gefragt. So nutzt die Nordwest Mediengruppe das Tool GeoPilot, eine geostrategische Standortanalyse, um für die Kundschaft Streuverluste zu vermeiden und die Umsätze zu steigern. Das Ergebnis: Eine zielgerichtete Kunden- und Werbefeldanalyse. Sollte sich herausstellen, dass für den Kunden Radiospots besser geeignet sind, als ein Prospekt-Beileger in der Zeitung, dann können sie auch Werbespots bei der Mediengruppe buchen, obwohl diese selbst keinen Sender besitzt.
Neue Angebote entstehen abseits der großen Häuser
Unterdessen belegen mehrere Studien, dass auch in einer zunehmend globalisierten Medienwelt nach wie vor große Nachfrage nach lokalen Nachrichten und Informationen besteht. Gleichzeitig macht sich bei einem wesentlichen Teil der Nutzer:innen eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit den bestehenden Angeboten breit, auch weil unabhängige Zeitungen aufgekauft und mit Inhalten bestückt werden, die dem Wunsch nach Lokaljournalismus nicht nachkommen.
Diese Lücke machen sich innovative journalistische Projekte zunutze. Beispiele für Neugründungen in Deutschland gibt es bereits einige, darunter RUMS in Münster, VierNull in Düsseldorf und KATAPULT MV in Mecklenburg-Vorpommern. Doch auch hier geht es immer wieder um die Frage der Finanzierung. Abomodelle und Förderung durch Stiftungen reichen nicht immer, um die Kosten zu decken. Staatliche Unterstützung wird laut Wüsternradar seit Jahren zwar diskutiert, aber nicht umgesetzt. Es brauche daher politische und zivilgesellschaftliche Maßnahmen, um Nachrichtenwüsten entgegenzuwirken und die Vielfalt im Lokaljournalismus zu fördern.
Aus Wüsten Oasen machen: Mögliche Lösungen durch KI
Der Hoffnungsschimmer am Horizont der Medienhäuser heißt KI. Sie bietet ein riesiges Spielfeld in den Bereichen Content-Erstellung, Aboverwaltung, Vertrieb und Marketing. So hat der Kölner Stadt-Anzeiger ein eigenes KI-getriebenes Empfehlungssystem entwickelt, das Rückschlüsse auf das Leseinteresse Einzelner zulässt. Das voll automatisierte Empfehlungssystem brachte nach A/B-Tests in allen KPIs bessere Ergebnisse als die manuelle Kuration von Inhalten durch die Redaktion. Das heißt: 80 Prozent höhere Click-Through-Rate und 13 Prozent mehr vollständig gelesene Artikel.
Ein weiteres Beispiel: 200 Sekunden Baden. Das KI-generierte Audioformat der Badischen Zeitung bringt regionale Nachrichten und bringt so zusätzliche Reichweite.
Das Haus Ippen Digital dagegen setzt auf agentische KI. Diese nächste Stufe der KI-Anwendungen, die auch komplexere, mehrstufige Aufgaben autonom lösen und im Prozess notwendige Entscheidungen selbst treffen können, können vor allem Lokalredaktionen viel Arbeit abnehmen. Auf den Befehl: „Durchsuche alle für meine Gemeinde wichtigen Websites und fasse mir relevante Informationen zusammen“, erhalten Redakteur:innen sofort einen Überblick über das, was wo passiert ist, und können sich zu einzelnen Aspekten auch kurze Artikel mit Video vorgenerieren lassen, beispielsweise zu Terminankündigungen.
Quellen & nützliche Links:
- Badische Zeitung: 200 Sekunden Baden
- BDZV: GEOIntelligence - Marketing von heute
- BDZV: KStA Man vs. machine – an AI approach to news publishing
- BDZV: Nova Innovation Award 2024
- Katapult MV
- Kress: Agentische KI als Zukunft des digitalen Lokaljournalismus? Ippen investiert massiv in neuen Trend
- Leipziger Zeitung: Prognose: Nachrichtenwüsten – bis 2025 sind rund 40 Prozent der deutschen Gemeinden ohne Lokalzeitung
- Local News Initiative
- RUMS
- ScienceDirect: When the local newspaper leaves town: The effects of local newspaper closures on corporate misconduct
- VierNull
- Wüstenradar: Zur Verbreitung des LOKALJOURNALISMUS in Deutschland und dessen Effekt auf die FUNKTIONSFÄHIGKEIT der DEMOKRATIE
- Zeitungsverlag Waiblingen (ZVW): Auszeichnung für Pop-up-Redaktionen des Zeitungsverlags Waiblingen