Mit KI-Suchmaschinen beginnt eine neue Ära
Von Ann-Cathrin Schürholz, 04. November 2024
Künstliche Intelligenz (KI) stellt die Google-Suche, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, in Frage. Was das für Medienhäuser bedeutet, diskutierten Sarah Stein (SWR), Dr. Dennis Ballwieser (Wort & Bild Verlag), Ole Reißmann (SPIEGEL-Gruppe) und Marcus Tandler (Ryte) im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Wolfgang Kerler (1E9) moderierte die vom MedienNetzwerk Bayern Thinktank initiierte Diskussionsrunde.
Startups wie Perplexity oder phind treten mit Hilfe von KI-Antworten gegen die Dominanz des Digitalriesen Google bei der Web-Suche an. Sie bringen damit aber digitale Geschäftsmodelle von Medienhäusern ins Wanken, die meist auf großen Online-Reichweiten basieren, die Googles Suchergebnisse bisher garantieren. Muss die Medienbranche bangen, dass der Traffic von Suchmaschinen wegbrechen wird, weil User:innen dank KI-Suche alle Antworten in gut formulierten Texten anstatt von Linklisten bekommen? Das sei die Frage, die über allem schwebe, berichtete Wolfgang Kerler, der den Thinktank inhaltlich betreut und Mitgründer der Community für Zukunftsthemen 1E9 ist.
Deepdive „Future of Search“
Welche KI-Suchmaschinen gibt es bereits, wie funktionieren sie und welche Vorteile haben sie für User:innen – unter anderem das beleuchtet der Deepdive des MedienNetzwerk Bayern Thinktank.
Klassischer Such-Traffic bleibt für Medienhäuser wichtig
Sarah Stein, Head of Search Experience beim SWR, konnte diese Befürchtung relativieren. Größte Traffic-Quelle für das gesamte Webangebot von ARD und SWR sei mit etwa 60 Prozent der Nutzer:innen nach wie vor die klassische Google-Suche. 50 Prozent dieser Kontakte wiederum stammen mittlerweile von Google Discover. Dieses Angebot ist der Teil der Google-Suche, in dem User:innen auf Grundlage ihrer Web- und App-Aktivitäten Inhalte angezeigt werden, die ihren Interessen entsprechen könnten. Ole Reißmann, Director AI in der SPIEGEL-Gruppe, unterstützte diese Einschätzung: „Es hilft nicht, in Panik zu verfallen. KI-Suchmaschinen sind auf die Inhalte der Medienhäuser angewiesen.” Sinnvoller sei es, Partnerschaften und Kooperationen einzugehen.
„Google bekommt massiv Konkurrenz”
„Google hat noch immer wahnsinnig viel Power”, beruhigte Marcus Tandler, Mitgründer und Chief Evangelist des SEO-Startups Ryte. Die Zahl der Suchanfragen bei KI-Suchmaschinen sei im Vergleich noch immer verschwindend gering, der Marktanteil von Bing seit der KI-Integration nur um einen Prozentpunkt gewachsen. Gefährlich werde es für Google erst, wenn die Menschen nicht mehr auf Links klicken würden – Stichwort „Zero-Click-Suche“.
Ich bin der festen Überzeugung, dass sich das durchsetzen wird, was Für die Masse an Nutzer:innen die beste Bequemlichkeit hat.
Dr. Dennis Ballwieser, Wort & Bild Verlag
Eine Zero-Click-Suche meint, dass die gesuchten Informationen unmittelbar erscheinen, ohne dass Nutzer:innen auf Websites zugreifen müssen. Damit würde ein Geschäftsmodell torpediert werden, das in den vergangenen Jahren eine Monopolstellung hatte. „Google bekommt massiv Konkurrenz“, räumte Stein ein. Beim Thema „Future of Search“ gehe es schließlich auch um Fragen der algorithmisch gesteuerten Suche in sozialen Online-Netzwerken, wie sie heute schon auf Instagram zu finden sei.
KI-Crawler: Zulassen oder nicht?
Auf die Frage, ob Medienunternehmen ihre Inhalte KI-Suchmaschinen zur Verfügung stellen sollten oder nicht, erntete Moderator Kerler ein geteiltes Echo. Auch wenn die Apotheken Umschau derzeit die Crawler von KI-Suchmaschinen ausschließe, sagte Dr. Dennis Ballwieser vom Wort & Bild Verlag, sei es das langfristige Ziel des Verlags, sinnvolle Kooperationen mit Tech-Unternehmen einzugehen. Die im September 2024 bekannt gegebene Partnerschaft mit You.com sei ein erster Schritt in diese Richtung.
Bei der öffentlich-rechtlichen ARD würden Crawler von KI-Suchmaschinen bereits „reingelassen” und könnten die Angebote durchsuchen, berichtete die SWR-Verantwortliche Sarah Stein. Das sei fair, denn die Menschen bezahlten für die Inhalte und da habe der einfache Zugang oberste Priorität. Zudem sei es angesichts des öffentlichen Auftrags und der öffentlichen Finanzierung besonders wichtig, dass öffentlich-rechtliche Inhalte in Zeiten von Fake News, Manipulation und Hate Speech in Trainingsdaten einfließen und den Menschen in Chatbots zur Verfügung stehen. „Wir müssen aber schauen, dass wir uns von den großen Tech-Unternehmen unabhängiger machen”, appellierte sie. Communities seien in diesem Zusammenhang ein relevantes Thema. KI könne dafür ein wichtiger Hebel sein.
Wir müssen schauen, dass wir uns von den großen Tech-Unternehmen unabhängiger machen.
Sarah Stein, SWR
„Was haben Medienunternehmen davon, wenn wir Crawler reinlassen? Sind Tech-Unternehmen bereit, sich auszutauschen? Und wo sind die Grenzen?”, warf dagegen Reißmann ein. Der Spiegel arbeite seit Ende Juli 2024 mit Perplexity zusammen. Dabei geht es nach Angaben des AI Director um eine fokussierte Partnerschaft für die Suche und nicht darum, alle Inhalte des Medienhauses in das Training der KI-Suchmaschine einfließen zu lassen. Paid Content sei derzeit davon ausgenommen. Tandler resümierte, dass Unternehmen wie Reddit, die über einen einzigartigen Datenschatz verfügten, derzeit gut daran täten, ihre Inhalte zu „gatekeepen”. Startups hingegen seien in einer anderen Position: Die Partnerschaft mit einer KI-Suchmaschine könne ihnen mehr Sichtbarkeit verschaffen.
Wie Medienunternehmen jetzt handeln sollten
Der Tenor der Diskussionsrunde im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN spiegelte sich in Reißmanns Aussage wider: „Es wird alles noch viel spannender werden.“ Denn derzeit befänden wir uns in einer Übergangsphase. Sollten Medienunternehmen alarmiert sein? Bei einer Bewertung mit einer Skala von eins bis zehn zeigten sich Stein und Reißmann mit einem Wert von vier eher gelassen. Ballwieser (sieben) und Tandler (elf) positionierten sich hingegen alarmierter in Bezug auf die Veränderung der Internetsuche. Für Medienunternehmen sei es in jedem Fall wichtig, sich frühzeitig mit den aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen.