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Christian Montag: „Es ist an der Zeit, Social Media neu zu denken“

von Lisa Pandtle

Sich den Herausforderungen der Zeit stellen und die neuen Möglichkeiten der digitalen Welt ausprobieren – darauf zielen die Chiemgauer Medienwochen in diesem Jahr ab. Vom 23. März bis 14. April dreht sich in Traunstein alles um die Themen Digitalisierung, Fake News und Medienpädagogik. Den Einführungsvortrag zum Thema „Psychologische Strategien von Facebook, TikTok und Co“ hält Prof. Dr. Christian Montag, Autor und Professor für Molekulare Psychologie in Ulm. Welche Gefahren Social Media mit sich bringen, wie wir uns davor schützen können und welche positiven Aspekte trotz allem bleiben, hat er uns vorab im Interview erzählt.

Christian, in einem SPIEGEL-Interview meintest du, dass wir Social Media dringend neu denken müssen. Wieso?

Prof. Dr. Christian Montag: So wie Social-Media-Plattformen aktuell konstruiert sind, hat sich ein Plattform-Design durchgesetzt, das für die Online-Nutzenden nicht gut ist. Es basiert auf einem Daten-Geschäftsmodell. Wenn Unternehmen wie META oder TikTok unsere Onlinezeiten verlängern wollen, damit sie mehr digitale Fußabdrücke sammeln können, dann birgt das einige Gefahren – zum Beispiel in den Bereichen Onlinesucht, Mental Health und Privacy. Wir hatten schon genügend Data Leaks, die zeigen: Unsere Daten sind nicht sicher bei den Tech-Plattformen. Das sind alles Bereiche, die lange Zeit nicht richtig ernst genommen wurden. 

Was genau hat es mit dem Daten-Geschäftsmodell auf sich? 

Montag: Ich kann das an einem Design-Element festmachen, das wir alle kennen: dem personalisierten Newsfeed. Der funktioniert im Prinzip so, dass die digitalen Fußabdrücke der Online-Nutzenden ausgewertet werden, um ihre Vorlieben genau herausarbeiten zu können. Darauf basierend kann eine Art personalisierte Online-Tageszeitung ausgeliefert werden. Gepaart mit einem Endless Streaming Feature hält das die Menschen bei der Stange. Die Logik dahinter: Wir sollen in den Fängen der Tech-Unternehmen bleiben, immer mehr Engagement mit der Plattform zeigen und so immer mehr digitale Fußabdrücke hinterlassen. Aber was bedeutet das für den politischen Diskurs, für Radikalisierung und Meinungsvielfalt, wenn wir im Newsfeed nur noch unser eigenes Weltbild widergespiegelt bekämen?

Filterbubbles fördern Fake News


In deinem Buch „Du gehörst uns“ hast du die Frage untersucht, ob Social-Plattformen demokratiegefährdend sind. Wie ist deine Antwort?

Montag: Zwar gab es schon früher das Bestreben von Konsument:innen, sich Medien je nach Gesinnung auszusuchen, in der Onlinewelt läuft das aber etwas anders. Die Vorselektion der Inhalte wird durch die Tech-Unternehmen vorgenommen, der Algorithmus entscheidet. Vielen ist das nicht bewusst. Sie gehen nach dem Lesen ihres personalisierten Newsfeeds vielleicht davon aus, dass alle so denken wie sie und ihre Meinung deshalb richtig sei. Auf diese Weise werden gerade im Zeitalter der Fake News in der eigenen kleinen Filterblase dann auch noch Unwahrheiten durch die Gegend gepostet.

Leute, die Nachrichten nur über Social Media konsumieren, wären dieser Logik nach maximal anfällig für Miss-Informationskampagnen, weil es kein Regulativ durch das Radio oder andere öffentlich-rechtliche Nachrichten gibt. Resilienz gegenüber Fake News und Co. kann es nur geben, wenn der Medienkonsum über möglichst viele unterschiedliche seriöse Medienarten und Formate stattfindet. Aber: Das Konzept der Filterblase wird nach wie vor sehr kontrovers diskutiert und die Realität ist etwas komplexer als ich es gerade geschildert habe.

Sticht eine bestimmte Social-Plattform in diesem Kontext besonders positiv oder negativ hervor?

Montag: Man kann die Plattformen nicht problemlos vergleichen, weil sie unterschiedlich designt sind. Für unabhängige Akademiker wie mich ist es extrem schwierig, diese Designs zu untersuchen. Wir kommen häufig nicht an die Daten ran. Darüber hinaus muss man sagen, dass unterschiedliche Social-Media-Plattformen unterschiedliche Menschen anziehen. Wir wissen, dass TikTok eher eine junge Plattform ist. Facebook ist ein Dinosaurier. Ein großer Unterschied zeigt sich zwischen LinkedIn oder der Kommunikation auf Twitter und Instagram – auch weil wir dort andere Rollen einnehmen. LinkedIn ist eine Job-Plattform, wo man über berufliche Inhalte spricht, sich aber auch promotet. Dort findet ein ganz anderer Diskurs statt als bei einem kurzen Tweet, bei dem schnell die Emotionen überschwappen.

Personalisierte Werbung ist nicht per se schlecht


Was machen denn eigentlich die Tech-Unternehmen mit unseren Daten?

Montag: Tatsächlich ist es nicht grundsätzlich angedacht, dass die Tech-Unternehmen Geld mit dem Verkauf unserer Daten verdienen. Sie werten diese aus, um einzuschätzen, wer wir sind – unsere psychologischen Eigenschaften, unsere Vorlieben. Dann können sie für Marktforschung und Marketeers die Türen öffnen: Guckt mal, wir bieten das größte Biotop von gut charakterisierten Menschen, das online unterwegs ist. Facebook hat über drei Milliarden Online-Nutzer:innen auf allen Plattformen. Man muss sich erstmal klar machen, dass dort ein Drittel der Menschheit unterwegs ist. Wenn du ein bestimmtes Produkt bewerben willst, hat Facebook die Möglichkeit, genau die passende Zielgruppe dafür ausfindig zu machen und sie mit einer bestimmten Werbebotschaft zu microtargeten – also eng definierte Zielgruppen mit maßgeschneiderter Werbung anzusprechen

Wenn wir nun zum Beispiel ein Abomodell für Social-Media einrichten und die Tech-Unternehmen unsere Daten im Gegenzug nicht mehr sammeln würden, was hieße das für Werbungtreibende?


Montag: Auf der einen Seite würde das bedeuten, dass wir wieder in ein Vor-Internet-Werbemodell zurückgehen würden – zur Werbung an der Litfaßsäule, die am besten jede:n ansprechen muss. Das wäre für Werbungtreibende eine gravierende Veränderung. Auf der anderen Seite glaube ich: Microtargeting ist nicht per se verwerflich. Ich finde, es gibt einen Unterschied, wenn ich tatsächlich vorher bewusst in solch eine Werbung eingewilligt habe, und zwar nicht auf ‚Seite 47 von 150 Seiten AGB’. Außerdem müssen Menschen darüber informiert werden, dass ein bestimmter Inhalt Werbung ist, und für die Nutzenden muss die personalisierte Werbung auch als ‚personalisiert’ gekennzeichnet werden.


Das Einzige, was ich aktuell fundamental ablehne, sind Microtargeting-Prozesse im politischen Bereich. Man könnte anmerken, dass vor Trump bereits Obama erfolgreich in seinen Kampagnen Microtargeting-Maßnahmen eingesetzt hat. Das Thema ist also nicht ganz neu. Aber die Gefahr bleibt extrem hoch, dass durch Microtargeting im politischen Bereich Dinge passieren, die wir in einer Demokratie nicht haben wollen. Jeder, der sagt, es gäbe keine negativen Einflüsse von Social Media, wurde spätestens durch den Sturm auf das US-Kapitol belehrt. Das, was online passiert, kann sehr wohl auf die Realität überschwappen. Da haben die Tech-Unternehmen eine riesige Verantwortung, der sie über die Jahre zu wenig gerecht geworden sind.

Den digitalen Fußabdruck kleinhalten


Solange ein solches Abo-Modell nicht existiert: Wie können wir unsere digitale Selbstständigkeit wahren?

Montag: Es gibt zwei Perspektiven, um auf das Thema zu schauen: Was kann das Individuum tun und was ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe? Über die gesellschaftspolitischen Aufgaben haben wir gesprochen: Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie wir vom Daten-Geschäftsmodell wegkommen. Vielleicht sollten wir noch größer denken: Social Media könnte zum öffentlichen Gut werden, das über die GEZ finanziert wird. Das halte ich für absolut möglich.


Im privaten Bereich ist das schwieriger: Es gilt, den digitalen Fußabdruck möglichst klein zu halten. Wir müssen bewusst darüber nachdenken, auf welcher Plattform wir überhaupt unterwegs sein wollen und wem wir unser Vertrauen schenken. Man sollte sich außerdem durch bestimmte Standardeinstellungen mehr Privatsphäre schaffen. Das heißt: Am besten mit Tools surfen und arbeiten, bei denen der digitale Fußabdruck klein bleibt. Das beginnt schon bei der Suchmaschine. Es ist außerdem wichtig, dass man sich mit Internet Literacy beschäftigt, also die Mechaniken der Online-Welt durchdringt, um die Dinge des digitalen Zeitalters besser zu verstehen. Man sollte beispielsweise keinen anonymen Tor-Browser nutzen und sich darüber bei Facebook einloggen. Dann ist die Anonymität weg.

Sollten wir Social Media also ab sofort den Rücken kehren und unsere Profile von allen Apps löschen? Oder gibt es trotz alldem noch positive Aspekte?

Montag: Social Media konnte meines Erachtens nur so groß werden, weil es basale Bedürfnisse der Menschheit befriedigt. Wir haben das Grundbedürfnis, uns unterhalten zu lassen und das Grundbedürfnis nach Bindung, nach Austausch mit Menschen – auch über große Distanzen hinweg. Natürlich gibt es auch die utilitäre Form der Nutzung: Social Media kann ein Werkzeug sein, das ich beruflich einsetze. So wie Influencer:innen das tun. Es ist aber jetzt an der Zeit, Social Media neu zu denken, neu zu starten und all das, was nicht funktioniert hat, offenkundig abzustellen – und dafür zu sorgen, dass das, was an Social Media gut ist, bleibt.

  • Mehr Infos zur Anmeldung und dem Programm der Chiemgauer Medienwochen gibt es hier.
  • Wer mehr über sein eigenes Internetverhalten erfahren möchte, sollte sich die SCAVIS Studie genauer ansehen, bei deren Entwicklung Prof. Dr. Montag mitgewirkt hat. Der E-Health-basierte Versorgungsansatz zur Prävention und Behandlung Internet-bezogener Störungen verhilft zu einer gesünderen Online-Nutzung.


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