„Die Sache ist ernst”

Von Giulia Neumeyer, 09. Oktober 2025

Im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland 2025 erstmals aus den Top 10 herausgefallen und liegt auf Platz 11. Ein Grund dafür: Angriffe auf Journalist:innen in der Öffentlichkeit nehmen zu. Vor allem Demonstrationen werden immer mehr zur Gefahrenzone. Dabei sind Presse- und Meinungsfreiheit Grundrechte in Deutschland und müssen besonders geschützt werden. Denn es ist essenziell, dass Medienschaffende immer und überall frei berichten können.

Um den Austausch zu fördern, hat das MedienNetzwerk Bayern gemeinsam mit dem Bayerischen Journalisten-Verband (BJV) sowie dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration (StMI) und unterstützt von der Bayerischen Staatskanzlei bereits zum vierten Mal zum Round Table mit Journalist:innen und der Polizei eingeladen. Aus den drei Round Tables im Jahr 2023 ging bereits ein umfassender Bericht hervor, in dem verschiedene Spannungsfelder und erste Lösungsansätze herausgearbeitet wurden.

Der diesjährige Round Table knüpfte an die Gespräche über Sicherheit, Verständnis und Erkennbarkeit an.

Hier sitzen die Exekutive und die sogenannte vierte Gewalt gemeinsam an einem Tisch. Das ist angesichts der Lage weltweit gar nicht selbstverständlich. Es ist ein wichtiges Signal für den Stellenwert der Pressefreiheit.

Lukas Schöne, Senior Partner Manager für den Bereich Journalismus beim MedienNetzwerk Bayern

Andrea Roth, stellvertretende Vorsitzende des BJV, machte deutlich: „Die Sache ist ernst.“ Die Zahl verbaler und körperlicher Angriffe auf Medienschaffende sei seit der Corona-Pandemie gestiegen und erst im vergangenen Jahr musste ein trauriger Höchststand von 98 tätlichen Übergriffen in Deutschland verzeichnet werden.

Wenn Journalistinnen und Journalisten nicht mehr berichten, weil sie sich nicht sicher fühlen, verliert die Gesellschaft einen wesentlichen Teil ihrer Informationsgrundlage. Deshalb ist es entscheidend, dass wir gemeinsam daran arbeiten, die Rahmenbedingungen für freie Berichterstattung zu verbessern.

Andrea Roth, Stellvertretende Vorsitzende des BJV

Die Runde der Anwesenden zeigte die Vielfalt der Perspektiven: Foto-, Politik- und Lokaljournalist:innen trafen auf Polizeivertreter:innen aus Versammlungsbetreuung, Bereitschaftspolizei und Pressestellen. „Polizei und Journalismus sind zwei tragende Säulen unserer Demokratie“, fasste Thomas Hartmann, Leiter des Workshops, zusammen und betonte die Wichtigkeit des Zusammenkommens.

Sicherheit, Erkennbarkeit und Zeitdruck: Praktische Herausforderungen auf Demonstrationen

In Kleingruppen kamen Journalist:innen und Polizeivertreter:innen direkt ins Gespräch über Situationen, die in der Praxis zu Missverständnissen und Spannungen führen. Ein wiederkehrendes Thema war die Schwierigkeit, Journalist:innen eindeutig zu erkennen. Auf Demonstrationen sind immer häufiger auch aktivistische oder parteiische Medienschaffende anwesend.  Diese Personen geben sich als Journalisten aus, beachten allerdings keine journalistischen Grundsätze. Oft stören sie dabei seriöse Journalist:innen bei der Arbeit oder wechseln zwischen den Seiten der Berichterstattenden und Demonstrierenden hin und her. Die Polizei kann die Rolle dieser Personen dann nur schwer zuordnen. Doch das Neutralitätsgebot zwinge sie, alle gleich zu behandeln – mit der Folge, dass auch seriöse Journalist:innen manchmal zurückgedrängt würden. 

Ein Reporter schilderte zudem, dass ihm bei einer Demonstration drei Beamt:innen zur Seite gestellt wurden, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Die Maßnahme löste bei ihm jedoch ein unangenehmes Gefühl aus. Sein Wunsch: Die Polizei solle ihn nicht begleiten, sondern seine Situation beobachten – im Sinne eines gegenseitigen Lernens über Arbeitsweisen und Abläufe.

Auch die Polizei brachte ihre Perspektive ein: Manche Beamt:innen hätten Sorge, in emotional aufgeheizten Situationen unfair zitiert oder in falschem Kontext dargestellt zu werden. Sichtbar wurde hier ein Grundmuster: das Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen auf beiden Seiten.

Vertreter des Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration betonten die aus ihrer Sicht positive Sicherheitslage für Journalist:innen im Freistaat.

Im Jahr 2024 wurden der Bayerischen Polizei drei Körperverletzungsdelikte bekannt, die sich gegen Medienschaffende richteten. Doch auf diesen hervorragenden Zahlen wollen wir uns nicht ausruhen, weswegen wir weiterhin Projekte zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten in Bayern fördern.

Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration

Kontrovers diskutiert wurde die Frage nach der Presseweste: Während sie der Polizei hilft, Journalist:innen schneller zu erkennen, fürchten viele Reporter:innen, dadurch stärker zur Zielscheibe zu werden.

Perspektivwechsel zeigt die Herausforderungen im Arbeitsalltag

Im Rahmen eines Perspektivwechsels zeigte sich, dass viele Herausforderungen bereits in den Strukturen des Arbeitsalltags wurzeln. Journalist:innen stehen häufig unter enormem Zeitdruck – gerade Freie erhalten Aufträge oft erst kurzfristig, sodass eine vorherige Abstimmung mit der Polizei kaum möglich ist. Aufseiten der Einsatzkräfte wiederum erschweren begrenzte Ressourcen und andere Zuständigkeiten eine Betreuung von Medienvertreter:innen.

Auch wurde deutlich, dass gegenseitige Erfahrungen die Wahrnehmung beider Gruppen prägen. Einige Teilnehmer:innen äußerten zudem das Gefühl, negative Begegnungen könnten unbewusst in Berichterstattung oder Einsatzverhalten einfließen – ein Kreislauf, der das Vertrauen zusätzlich belastet. Mehr Verständnis für die jeweilige Arbeitsweise könnte hier helfen: Journalist:innen sind nicht nur mit der Kamera unterwegs, sondern auch schreibend, hörend oder beobachtend tätig und müssen für ihre Recherchen oft dicht am Geschehen bleiben. Gleichzeitig bewegen sich Polizist:innen auf Demonstrationen und Veranstaltungen in einem Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstschutz und müssen verschiedene Grundrechte abwägen.

Maßnahmen für mehr Sicherheit und Verständnis

Um den Zielkonflikt zwischen schneller Informationsbeschaffung und dem Schutz von Journalist:innen sowie der Einsatzlage der Polizei zu entschärfen, wurden verschiedene Maßnahmen diskutiert. Zentral ist die Kontaktaufnahme vor Demonstrationen: Die Polizei lädt Journalist:innen zu Lageplanbesprechungen ein, bei denen sichere Räume, Schutzmöglichkeiten und Ablaufdetails geklärt werden, während Medienschaffende sich freiwillig anmelden, um die Koordination und Sicherheit zu erleichtern. Schulungen in den Ausbildungen und Studiengängen beider Parteien, aber auch Austauschformate wie Polizeiübungen, Briefings oder informelle Gesprächsrunden fördern gegenseitiges Verständnis. Gespräche mit Einsatzleitungen ermöglichen zudem, Erwartungen zu klären und Vertrauen aufzubauen.

Dennoch betonte Workshopleiter Thomas Hartmann: „Eine endgültige, perfekte Lösung wird es nicht geben.” Die Maßnahmen stellen zwar Schritte auf dem Weg zum Umgang mit dem Zielkonflikt dar, trotzdem blieben Fragen offen: Wie lässt sich die seriöse Presse für die Polizei noch besser erkennbar machen? Welche bestehenden Austauschmöglichkeiten können weiter ausgebaut werden, und wie erreicht man dafür insbesondere freie Journalist:innen? Viele Journalist:innen zögern, Probleme offen anzusprechen – oft aus Sorge, weniger Aufträge zu bekommen. Umso wichtiger ist es, die gewonnenen Erkenntnisse in die eigenen Netzwerke zu tragen und sich an Vertreter:innen wie den BJV zu wenden, die die Interessen ihrer Kolleg:innen bündeln und sichtbar machen.

Die Ergebnisse des Round Tables werden am Freitag, den 24. Oktober 2025, um 13:30 Uhr auch in ein Panel des MedienNetzwerk Bayern auf der Yellow Stage der diesjährigen MEDIENTAGE MÜNCHEN einfließen, wo das Thema gemeinsam mit dem BJV, der Polizei und Journalistinnen und Journalisten auf dem Podium weiter besprochen wird.