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Arbeiterkinder: Wertvolle Perspektiven für die Medienbranche

von Manon Harenberg, 13. Dezember 2023

Wer zukunftsfähig bleiben möchte, muss auf Vielfalt achten. Diese Tatsache ist in der deutschen Medienlandschaft angekommen – dennoch: Beim Thema Diversität hinken deutsche Medien hinterher. Noch immer sind Redaktionen ein Refugium der gehobenen, weißen und männlich geprägten Mittelschicht und weit davon entfernt, ein soziales Abbild der Gesellschaft zu sein, über die sie berichtet. Um neue Geschichten und Perspektiven zu entdecken, braucht es Menschen, die den Blick dafür haben.

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Am 12. September sprechen wir mit Expert:innen aus der Medienbranche, wie Unternehmen es schaffen, diverser zu werden. Mehr Informationen zum Online-Event findest du hier!

Round Table Arbeiterkinder in den Medien

Auch für Arbeiterkinder gestaltet sich der Weg in den Journalismus noch immer erheblich schwieriger als für andere. Was können diverse soziale Herkünfte in der Medienbranche bedeuten? Das Netzwerkwissen klärt Begriffe, zeigt den Status Quo auf und diskutiert anhand praktischer Beispiele aus Bayern und Deutschland die Möglichkeiten aktueller Ansätze.

Soziale Herkunft entscheidet immer noch maßgeblich über Bildungserfolg

Soziale Herkunft ist komplex und hat viele Dimensionen. Sie setzt sich zusammen aus dem familiären Hintergrund, Jugendsozialisation, Bildung und ethnischer Herkunft.

Im Jahr 2006 wurde die Charta der Vielfalt verabschiedet mit sechs Kategorien, zu deren Förderung sich Unternehmen verpflichteten – darunter auch Medienunternehmen wie das ZDF, die ARD-Anstalten, die ZEIT und der Axel-Springer-Verlag. Doch dass auf dieser Liste ein wesentlicher Punkt fehlte, schien lange nicht aufzufallen: die wirtschaftliche Lage und Klassenzugehörigkeit. Erst im Jahr 2021 wurde die Charta der Vielfalt um diese Dimension erweitert: soziale Herkunft. Seither macht die Charta der Vielfalt deutlich, dass Menschen mit benachteiligter sozialer Herkunft in der Arbeitswelt nicht die gleichen Chancen haben wie Menschen mit privilegierter sozialer Herkunft.

Charta der Vielfalt
Quelle: Charta der Vielfalt

Nur 27 von 100 Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien studieren

Nach Angaben des Hochschul-Bildungs-Reports beginnen statistisch gesehen von 100 Kindern aus Akademikerfamilien 79 ein Studium. Bei Nicht-Akademiker Familien schaffen gerade einmal 27 von 100 Kindern den Sprung an eine Hochschule. Das ergibt eine Untersuchung des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft e.V. aus dem Jahr 2022.

Bildungstrichter
Der Bildungstrichter | Quelle: Vom Arbeiterkind zum Doktortitel, Stifterverband.

Klassismus in den Medien

Und auch der Erfolg im Journalismus ist noch immer stark verknüpft mit der sozialen Herkunft. Mit Blick auf Familie und elterliche Berufe wird deutlich: Eltern von Journalist:innen sind häufig Ärzt:innen, Lehrer:innen oder Ingenieur:innen. Gleichzeitig haben Menschen, die entweder selbst keinen Hochschulabschluss haben oder deren Eltern keinen besitzen, wesentlich geringere Chancen, in den Beruf einzusteigen. Für den Zugang in den Journalismus ist das Studium das relevanteste formale Kriterium: Mindestens vier von fünf Journalist:innen haben studiert. Zu dieser Erkenntnis kommt ein aktueller Publix-Report zum Thema „Soziale Herkunft im Journalismus“. Damit spiegeln Journalist:innen in ihrer sozialen Zusammensetzung die Bevölkerung nicht wider.

Warum brauchen Medien mehr Vielfalt zum Überleben?

Der Absatz sinkt, Reichweiten schwinden, was dafür wächst, ist die Vertrauenskrise in die Medien und ein Überangebot im Internet. Das sind nur einige der gegenwärtigen Herausforderungen, denen sich die Medienbranche gegenübersieht. Und jetzt sollen sie sich auch noch um mehr Diversität und irgendwelche Randthemen bemühen?

Medienhäusern entgeht viel Potential, wenn sie bei der Zusammenstellung ihrer Teams nicht auf eine Durchmischung verschiedener sozialer Herkünfte achten. Divers besetzte Redaktionen profitieren von vielfältigen Perspektiven, Erfahrungen und Fähigkeiten, die im Journalismus häufig fehlen. Diversität ist weit mehr als nur Chancengerechtigkeit oder eine gesamtgesellschaftliche Repräsentation. Unterschiedliche und ungewohnte Blickwinkel verringern das Risiko von Fehlern und Stereotypisierung. 

Glaubwürdigkeit schenkt Vertrauen

Unsere Gesellschaft braucht glaubwürdigen Journalismus, der die Menschen informiert und die politische Meinungsbildung ermöglicht. Doch umso homogener die Redaktionen sind, desto schwieriger fällt es, vielfältige Perspektiven vorurteilsfrei einzubringen und die gegenwärtigen Entwicklungen rechtzeitig aufzugreifen. Vertrauen in ein Medium erfordert genau das: Unterschiedliche Blickwinkel einnehmen, Ereignisse kritisch einordnen, mit Neugier Hintergründe aufdecken. Denn genau das macht guten Journalismus aus. Redaktionen und Inhalte, in denen sich unsere Gesellschaft nicht widerspiegelt, verlieren an Glaubwürdigkeit. Berichtet eine Redaktion zum Beispiel über das Thema der sozialen Ungleichheit, wäre die Perspektive von Journalist:innen hilfreich, die soziale Missstände bereits direkt erlebt haben.

Doch eine immer diversere Gesellschaft stellt die Medienwelt vor eine grundlegende Frage: Nehmen wir jetzt die nötigen Ressourcen in die Hand, um Schritt zu halten, oder warten wir ab, bis wir den Anschluss an die Lebenswirklichkeit verpasst haben?

Immer mehr Medienhäuser erkennen die Notwendigkeit und versuchen ihre Redaktionen für Menschen mit unterschiedlichsten Lebenserfahrungen zu öffnen und bringen Formate für neue Zielgruppen auf den Weg.

Projekte zur Förderung von Arbeiterkindern

Die fehlende Vielfalt beginnt schon bei der Ausbildung. Gerade im wettbewerbsorientierten Feld des Journalismus gilt es für Bewerber:innen noch immer, möglichst klassisch vorbereitet zu sein: Der Weg führt über Abitur, Studium, journalistische Praktika und freie Mitarbeit in ein Volontariat oder an eine Journalistenschule. Fehlen Kontakte und die (finanziellen) Möglichkeiten, Erfahrungen durch meist schlecht oder unbezahlte Praktika zu sammeln, bestehen nur geringe Chancen auf einen der begehrten Ausbildungsplätze – trotz Talent und Motivation. Hier setzen einige Projekte an:

Workshop-Reihe "Du kannst Journalismus"

In Bayern

Workshopreihe #dukannstjournalismus der DJS

Die Deutsche Journalistenschule (DJS) hat die Notwendigkeit von Diversität in Medienhäusern erkannt und reagiert: In diesem Jahr hat sie die Workshop-Reihe #dukannstjournalismus ins Leben gerufen. Nach eigenen Angaben möchte die DJS damit Menschen mit Perspektiven und Erfahrungen fördern, die im Journalismus bisher wenig Gehör finden. Explizit werden Menschen aus Arbeiterfamilien oder Armut ermutigt, sich für den Workshop zu bewerben. In zehn Städten Deutschlands, darunter auch München und Nürnberg, lernen die Teilnehmer:innen an einem Wochenende, worauf es im Journalismus ankommt und erhalten Einblicke in die redaktionelle Arbeit von lokalen Medienhäusern. Infos, Tipps und praktische Übungen sollen den Einstieg in den Journalismus erleichtern. Doch vor allem sollen sie ermutigt werden, den ersten großen Schritt zu wagen und sich für eine journalistische Ausbildung bewerben – egal ob Journalistenschule oder Volontariat.

Voices of Brandenburg

Deutschlandweit

Projekt „Voices of Brandenburg“

Auch über die bayerische Grenze hinaus reagieren Medienunternehmen: Mit dem Pilotprojekt „Voices of Brandenburg“ schickt die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) journalistische Talente aus dem Bundesland Brandenburg in ein sechsmonatiges Coaching-Programm. Das Ziel: den deutschen Journalismus um ihre Perspektive bereichern und Redaktionen vielfältiger machen. Drei Praxisstationen, einen Akademieteil an einer Medienschule und ein Rahmenprogramm aus Mentoring und Netzwerk-Formaten sollen dafür sorgen, dass die Teilnehmer:innen am Ende journalistisch sattelfest sind.

Damit künftig auch diejenigen Stimmen im Journalismus zu hören sind, für die bisher eine klassische journalistische Laufbahn nicht oder nur schwer umsetzbar war, ist für die Teilnahme an dem Programm keine journalistische Vorerfahrung erforderlich.

Investigativ-Fellowship

Fellowship-Programm „Vielfalt im Investigativjournalismus stärken“

Mehr Vielfalt für den Investigativ-Journalismus – das hat sich das „Netzwerk Recherche“ in Kooperation mit den Neuen deutschen Medienmacher*innen vorgenommen. Für das Fellowship-Programm „Vielfalt im Investigativjournalismus stärken“ können sich Nachwuchsjournalist:innen aus marginalisierten oder unterprivilegierten Bevölkerungsschichten bewerben, die durch ihre unterschiedlich geprägten Lebenserfahrungen unterrepräsentierte Themen und Perspektiven einbringen. Die Teilnehmenden erwartet ein dreimonatiges Praktikum in Investigativ Ressorts deutscher Medienhäuser, ein Stipendium, Workshops und Zugang zum Netzwerk recherchierender Journalist:innen.

Was Medienhäuser aktiv tun können

Neben Projekten und Förderprogrammen gibt es zahlreiche Punkte, die Medienhäuser leicht umsetzen können, um den Zugang in die Medienbranche für Arbeiterkinder zu erleichtern. Die Charta der Vielfalt gibt dafür Möglichkeiten an die Hand:

  • Inklusive Sprache spricht Arbeiterkinder aktiv an: Die Sprache in einer Stellenausschreibung bestimmt, wer sich bewirbt. Sätze wie „Wir freuen uns besonders auf Bewerbungen von Quereinsteiger:innen und Menschen mit unkonventionellen Lebensläufen” fördern Bewerbungen von Menschen mit diversen sozialen Hintergründen.
  • Fokus auf Kompetenzen legen: Der Einstieg in die Medienbranche wird erleichtert, indem Anforderungen an Bewerber:innen angepasst oder neu definiert werden. Das könnten beispielsweise konkrete Fähigkeiten und Erfahrungen anstelle formaler Kriterien wie ein universitärer Abschluss sein. Damit vermittelt die Stellenausschreibung, dass nicht nur akademisch gebildete Menschen qualifiziert und erwünscht sind, sondern auch Menschen, die sich auf einem anderen Weg weitergebildet haben.
  • Chancengleichheit im Bewerbungsprozess: Die Entscheider:innen sollten möglichst diverse Hintergründe haben. Fragenkataloge können zur objektiven Bewertung verhelfen. Bewerber:innen sollten Gelegenheit haben, nicht formal erworbene Kompetenzen zu zeigen.
  • Vielfalt, Inklusion und Gleichberechtigung durch Mentoring-Programme: Um Arbeitswelten diverser und inklusiver zu gestalten, muss der Einstieg für Arbeiterkinder erleichtert werden. Mentoring-Programme für Menschen aus nicht-akademischen Haushalten eröffnen Mentor:innen und Mentees Einblicke in die „andere Welt”.
  • Interne Antidiskriminierungsmaßnahmen zeigen: Um die Integration marginalisierter Menschen zu fördern, sollte explizit offengelegt werden, wie mit Diskriminierung am Arbeitsplatz umgegangen wird. Dieser Schritt signalisiert potenziellen Mitarbeiter:innen, dass sie in ihrem zukünftigen Arbeitsumfeld geschützt und respektiert werden.

Quellen und nützliche Links:

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