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ChatGPT: KI als digitale Assistenz

ChatGPT: Wie die KI zur digitalen Assistenz wird

Von Tobias Weidemann, 07. März 2023

Hinter dem Begriff ChatGPT verbirgt sich ein Technikphänomen, das in den letzten Wochen für so viel mediale Aufmerksamkeit sorgte wie kaum ein anderes Thema. Die Künstliche Intelligenz kann komplexe Texte zu beliebigen Themen generieren und mit den Nutzer:innen in Dialog treten. Was das für Medienschaffende bedeutet und warum maschinelles Lernen und ChatGPT unsere Arbeitswelt und die Medien, wie wir sie kennen, grundlegend verändert, haben wir im NETZWERKWISSEN ChatGPT untersucht.

ChatGPT ist ein Künstliche-Intelligenz-Modell (KI), das Texte erstellen und Fragen beantworten kann, indem es auf Basis einer großen Menge an Informationen und Gesprächsdaten die Informationen kombiniert und nach und nach dazulernt. Das Tool, das stellvertretend für eine Gruppe an Lösungen steht, die gerade im Entstehen sind, lässt sich für eine große Bandbreite an Aufgaben verwenden: Ein wichtiges Anwendungsfeld wird neben automatisierten Kundendialogsystemen (Chatbots) die Erstellung von mehr oder weniger komplexem Text-Content sein. Das reicht von redaktionellen Meldungen über einordnende Übersichtsartikel und endet noch lange nicht bei Social-Media-Postings und Newsletter-Texten. Mittelfristig könnte die Software Geschäftsbriefe und E-Mails schreiben, Reports und Geschäftsberichte nach vorgegebenen Regeln aufbereiten und Content nach vorgegebenen Mustern individualisieren.

Die KI macht noch reichlich Fehler – und lernt dazu

Die KI lernt stetig dazu

Noch macht das System, das in der Beta-Phase mit einem älteren Datenstand arbeitet, reichlich Fehler – interessanterweise gerade bei Faktenwissen, welches eine solche KI-Anwendung problemlos verarbeiten und aufbereiten könnte. Bei komplexeren Fragestellungen dagegen, die alles andere als leicht greifbar sind, gibt sich die KI erstaunlich reserviert und reflektiert. Der Sprechstil und die Formulierungen sind selbst bei deutschsprachigen Dialogen schon oft überzeugend, wenn auch noch nicht optimal. Doch all das ist eine Momentaufnahme, denn die KI lernt dazu und so dürfte es eher eine Frage von Monaten als von Jahren sein, bis die Qualität der Ergebnisse mehr als nur zufriedenstellend ist.

Immerhin ist ChatGPT ein Phänomen, das Microsoft-Gründer Bill Gates in seiner Bedeutung für ähnlich bahnbrechend bewertet wie die Erfindung des Internets, wie er im „Handelsblatt Disrupt“-Podcast erklärt. Es verändert die Art und Weise, wie Kreativ- und Wissensarbeiter ihre tägliche Arbeit verrichten werden und kann die Recherche von komplexen Sachverhalten deutlich beschleunigen. Langfristig glaubt Gates, dass die Menschen effizienter und weniger arbeiten werden. Dass die KI unterm Strich zum Jobkiller wird, glaubt Gates indes nicht.

Erste Gehversuche in Bayern: Verlage sollten offen experimentieren

Und so verwundert es nicht, dass ChatGPT gefühlt das Thema ist, an dem in der Medienbranche derzeit niemand vorbeikommt. Auf einer Veranstaltung des Medienverbands der freien Presse (MVFP, ehemals VZB) erklärte etwa Johannes Vogel, Associate Partner & Managing Director der Digitalstrategieberatung Nunatak Group aus München, das Potenzial für Medienunternehmen: „Organisationen sollten sich fragen, was die Verwendung der KI für die eigenen Abläufe bedeutet und ob die Ressourcen und die Infrastruktur dafür vorhanden sind.“ Medienschaffende sollten Künstliche Intelligenz als Hilfsmittel verstehen, um die eigenen Kapazitäten zu entlasten und Freiräume für Kreativität zu schaffen. Dadurch könne man sich darauf konzentrieren, das eigene Angebot von alternativen Angeboten abzuheben und unterscheidbar zu machen. Potenzial biete die KI etwa bei der Produktentwicklung für bestimmte Zielgruppen, der Gestaltung von Landingpages für Abo-Modelle oder bei der Formulierung von Onboarding E-Mails. Der mögliche Effizienzgewinn ist auch der Grund, warum mit ChatGPT bereits in zahlreichen deutschen Medienunternehmen experimentiert wird. Kaum eine Redaktion, die nicht sehnsüchtig auf die angekündigte Bezahlvariante ChatGPT Professional wartet. 

Ippen-Gruppe setzt auf Veredelung von Inhalten durch KI 

Weit vorne bei KI-Anwendungen ist traditionell die Münchner Ippen-Gruppe, zu der unter anderem der Münchner Merkur und die tz gehören. Im Unternehmen, das rund 80 Portale mit rund 300 Millionen monatlichen Visits betreibt, übernimmt KI in Ansätzen schon seit 2019 redaktionelle Routinetätigkeiten und schafft Freiraum für das redaktionelle Kerngeschäft. So kann eine KI etwa die passenden Keywords und Tags ermitteln, unter denen ein Beitrag ausgespielt wird, oder die Redaktion mit Vorschlägen für Überschriftenvarianten unterstützen.

Redakteur:innen haben noch sehr lange das letzte Wort – einfach weil sie Informationen zuverlässig und sicher einordnen, bewerten und klassifizieren können.

Markus Franz, CTO Ippen digital

Trotz des Hypes um ChatGPT glaubt Markus Franz, CTO bei Ippen Digital, nicht daran, dass ChatGPT oder eine andere KI in absehbarer Zeit selbst verlässliche Texte generieren werden. Franz spricht eher von Augmented Machine Learning und sieht die daraus resultierenden Chancen bei Themenplanung und -recherche sowie der Veredelung von Inhalten. „Wir alle sitzen als Redaktionen auf einem immensen Wissensschatz, der validiert und redigiert ist. Eine KI kann hier helfen, Mehrwert zu liefern und Inhalte auf unterschiedliche Weise besser aufzubereiten. Doch generell werden Redakteur:innen noch sehr lange das letzte Wort haben – einfach weil sie Informationen zuverlässig und sicher einordnen, bewerten und klassifizieren können.“

KI

Dass eine erweiterte Mensch-Maschine-Kooperation in den Redaktionen bald zum Alltag gehören könnte und Jobanforderungen sich verändern werden, zeigt auch eine aktuelle Stellenausschreibung der Ippen-Gruppe, in der ein „AI Prompt Redakteur (m/w/d)“ gesucht wird. Der soll mit Pioniergeist in einem crossfunktionalen Team aus Journalist:innen, Data-Analyst:innen, Prompt-Engineers und Machine-Learning-Specialists mit verschiedenen Sprachmodellen arbeiten und deren Ergebnisse optimieren. Ob dadurch redaktionelle Jobs gefährdet sind, darüber lässt sich streiten. Franz glaubt eher an einen Wandel der Arbeitsweise und an einen Bedeutungszuwachs menschlicher Journalist:innen. „Auch wenn wir durch die Technologie eine riesige Zahl an Texten schnell generieren können, bleiben es die Redakteur:innen, die draufschauen und hinterfragen werden und die Inhalte verifizieren müssen.“

Agenturen bauen KI-Know-how auf

Ippen ist bei Weitem nicht das einzige Medienunternehmen, das nach KI-affinen Fachkräften sucht. Auch auf der anderen Seite des Schreibtisches baut man KI-Know-how auf: So sucht etwa die in Köln ansässige international tätige Kommunikationsagentur Palmer Hargreaves einen „AI Prompter“, der „die Anforderungen unserer Kunden und Teams in formale Anweisungen für verschiedene KI-Systeme übersetzt“ und damit die Erstellung von Text, Bild und anderen Content-Formaten unterstützt. Im Optimalfall könnte ChatGPT dann zumindest einfachere Social-Media-Texte oder individualisierte Mailings generieren und im Handumdrehen verschiedene Varianten einer Kampagnenidee ausspucken – eine willkommene Erleichterung für Kreative im Agenturumfeld. 

Beim Südkurier kommt ChatGPT schon in drei Teams zum Einsatz

Konkrete Anwendungsszenarien gibt es schon beim zur Augsburger Pressedruck gehörenden Südkurier Medienhaus am Bodensee zu berichten. Hier experimentiert man gleich in drei Teams mit ChatGPT, wie Geschäftsführer Michel Bieler-Loop bei LinkedIn berichtet: Der Marketingdienstleister SK One erstellt mit der KI bereits Social-Media-Texte und Stellenanzeigen und prüft, in wieweit die KI auch Briefings und Recherchen übernehmen kann. Das Data-Science-Team testet, welche Prozesse und Arbeitsabläufe sich mit Hilfe der KI in Redaktion, Datenanalyse und im CRM-Kontext automatisieren lassen. Und im IT-Consulting der verlagseigenen Media Favoriten planen die Mitarbeiter:innen, Content für den eigenen Blog sowie LinkedIn und Instagram zu produzieren. Zudem nutzen die Auszubildenden das Tool zum Lernen und Umschreiben der Texte für ihre Präsentationen.

Trial – and Error: Technikportal Cnet muss nachbessern

Der KI die Content-Produktion anzuvertrauen und sich zu stark auf deren Kompetenz zu verlassen, kann jedoch auch schiefgehen, wie etwa das renommierte US-Technikportal CNET erkennen musste. CNET hat seit Anfang November 2022 – zunächst ohne dies zu kennzeichnen – Texte mit Hilfe des Algorithmus erstellt. Es ging dabei um erklärenden Content und Grundlagenbeiträge, nicht um aktuelle Nachrichten. Offenkundig wurde dies im Januar 2023 aufgrund von groben sachlichen Fehlern, die dem bearbeitenden Redakteur offenbar nicht auffielen. Rund 70 Beiträge hat die Redaktion inzwischen als unter Zuhilfenahme der KI entstanden gekennzeichnet, bei mehr als der Hälfte wurden nachträglich Korrekturen und Änderungen vorgenommen. CNET-Chefredakteurin Connie Guglielmo sieht jedoch weiterhin das Potenzial von KI im Journalismus und erklärt, dass die Redaktion auch künftig KI testen und einsetzen wolle, um die Teams bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Zahlen und Studien: Effizienz-Boost durch KI erwartet

Schafft all das ein Mehr an Produktivität? Immerhin 41 Prozent der befragten Arbeitgeber erwarten laut einer aktuellen Studie von Sortlist, dass ChatGPT ihre Produktivität in Marketing- und PR-Abteilungen verdoppelt und würden es auch für das Schreiben von Marketingtexten nutzen.

Doppelte Produktivität durch KI
41 Prozent der Arbeitgeber erwarten, dass ChatGPT ihre Produktivität in Marketing- und PR-Abteilungen verdoppelt und würden es auch für das Schreiben von Marketingtexten nutzen. | Quelle: Sortlist

Auch im Rahmen einer etwas älteren repräsentativen Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom sahen 2021 immerhin 62 Prozent der Befragten vor allem die Chancen, die KI (damals noch nicht explizit ChatGPT) bringen kann. Die Vorteile könnten darin liegen, dass KI schnellere und präzisere Problemanalysen und Auswertungen ermöglicht (44 Prozent) und Prozesse beschleunigt (35 Prozent). Zusätzlich könnte die KI menschliche Fehler im Arbeitsalltag reduzieren (39 Prozent) oder es den Mitarbeitenden erlauben, sich auf wichtigere Aufgaben zu fokussieren (28 Prozent). Und immerhin 24 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen plant, in Machine-Learning-Lösungen zu investieren. Dieser Prozentsatz dürfte sich derzeit gerade in der Medienwelt drastisch erhöhen. 

Nicht nur in Medienunternehmen wird Kollege Computer in Form einer wie auch immer gearteten Künstlichen Intelligenz weiter Einzug halten – in Bayern und darüber hinaus. 

Tobias Weidemann, Autor Netzwerkwissen KI

Vorteile beim KI-Einsatz
Was sind die größten Vorteile beim KI-Einsatz in Unternehmen im allgemeinen? | Quelle: Bitkom

Ausblick: ChatGPT als Werkzeug verstehen

Doch auch wenn ChatGPT in der KI-basierten Textgenerierung als großer Durchbruch gefeiert wird, ist es noch ein weiter Weg, bis die Technologie mehr als nur unterstützende Tätigkeiten in der Aufbereitung von Medien-Content verrichten wird. Die akademische Fachwelt wird sich zudem um Themen wie Urheberrecht Gedanken machen müssen, da KI-Inhalte ja keineswegs aus sich selbst heraus entstehen. Sicher scheint aber, dass die Medienmacher:innen in Zukunft noch als entscheidende Instanz erhalten bleiben. Doch sie sollten sich dem Potenzial der Maschine als praktisches Werkzeug nicht verschließen und diese nicht als Konkurrenz verstehen. Nicht nur in Medienunternehmen wird Kollege Computer in Form einer wie auch immer gearteten Künstlichen Intelligenz ganz sicher weiter Einzug halten – in Bayern und darüber hinaus. 

Quellen und nützliche Links:

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