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Collaborative Journalism: Es kommt nicht auf die Größe an

von Benedikt Frank

Brauchen große Recherchen große Redaktionen und große Budgets? Nicht, wenn man neue Allianzen wagt. Von Collaborative Journalism profitieren auch kleine und lokale Medien. Eine Riesenchance für den Journalismus.

Es ist kein Geheimnis, dass im Journalismus ein starker Wettbewerbsdruck herrscht. Redaktionen wollen schneller, exklusiver und besser als die Konkurrenz berichten. Da mag das Konzept des Collaborative Journalism für manche erst einmal ungewohnt klingen: Nicht aus dem Streben, sich gegenseitig zu überbieten, soll Exzellenz entstehen, sondern aus der Zusammenarbeit über die Grenzen des eigenen Medienhauses hinaus. Erfolgreiche Projekte beweisen, dass hinter der Idee nicht nur Träumerei steckt. Vielmehr ist Collaborative Journalism in Zeiten von Anzeigen- und Auflageverlusten insbesondere für kleinere Redaktionen ein vielversprechender Weg, um auch in Zukunft relevanten Journalismus liefern zu können.

Das bekannteste Beispiel für kollaborativen Journalismus wurde 2017 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Die Panama Papers behandeln mit der weltweiten Steuerflucht nicht nur ein relevantes Thema, sie katapultieren auch eine ganz neue Recherchemethode ins öffentliche Bewusstsein. Über 300 Journalist:innen aus 76 Ländern hatten ein Jahr lang recherchiert. Das der Süddeutschen Zeitung zugespielte Daten-Leak der Mossack Fonseca alleine auszuwerten, hätte jedoch keine einzelne Redaktion der Welt leisten können. Stattdessen koordinierte man die Recherche und Veröffentlichung über das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Panama Papers: Die Geheimnisse des schmutzigen Geldes | Quelle: panamapapers.sueddeutsche.de/

Es kommt nicht auf die Größe an

Sich auf Collaborative Journalism einzulassen, ist aber nicht nur etwas für große nationale Redaktionen und Recherche-Verbünde. Insbesondere regionale und lokale Medien können über neue Partnerschaften einen besseren Zugang zu relevanten Themen erhalten. Und nicht nur das: Sie können auch die Bindung zu ihrem Publikum vor Ort verstärken, indem sie diese in die Recherchen mit einbinden.

Einen interessanten Ansatz für kollaborativen Lokaljournalismus liefert CORRECTIV.Lokal. Vor kurzem wurde das Projekt für seine innovative Idee mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Und die funktioniert so: Das stiftungsfinanzierte, investigative Recherchenetzwerk CORRECTIV öffnet seine Recherchen für lokale Redaktionen. Diese können sich bei dem Projekt kostenlos anmelden. Sie erhalten dann Datensätze und Recherchematerial, werden miteinander und mit der CORRECTIV-Redaktion vernetzt und können sich in Workshops fortbilden. Viele kleine journalistische Scheinwerfer bündeln also ihr Licht, um ein wichtiges Thema gemeinsam besser zu beleuchten, als es alleine möglich wäre. 

Collaborative Journalism – Beispiel CORRECTIV.Lokal
Das Projekt CORRECTIV.Lokal wurde für seine innovative Idee mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. | Quelle: Screenshot correctiv.org/lokal/

Chancen und Partner am bayerischen Medienstandort

Bayerische Lokalredaktionen können so zum Beispiel die Ergebnisse aufwändiger Datenrecherchen nutzen oder sie erhalten Zugriff auf Leaks, die sie sonst nicht in die Hände bekommen würden. Auf dieser Grundlage können sie weiter ihre eigene Geschichte mit Bezug zu ihrem Verbreitungsgebiet schreiben. Sie können etwa fragen, was ein gesellschaftliches, wirtschaftliches oder politisches Thema ganz konkret für die Leute vor Ort bedeutet. Sie können ihre Berichterstattung mit neuen, seriösen Daten anreichern und einordnen. Die Recherchen insgesamt gewinnen wiederum durch lokale Expertise an Tiefe.

Durch die gemeinsame Verwertung erhalten schließlich nicht nur die Themen selbst eine größere Reichweite. Das durch die Kollaboration gestärkte Scheinwerferlicht strahlt auch wieder zurück auf die einzelnen Beteiligten, die nun Teil einer großen Recherche sind, die überregional für Aufsehen sorgt. Aktuell recherchiert CORRECTIV.lokal zur medizinischen Versorgungslage bei Abtreibungen. In Bayern berichtete im Rahmen des Projekts die Augsburger Allgemeine, das Augsburger Studenten-Magazin presstige, die Main-Post, die Neue Presse Coburg und die Süddeutsche Zeitung. Weitere Themen sind unter anderem die Klimakrise, Spenden an die Politik, häusliche Gewalt oder der Wohnungsmarkt.

Correctiv Lokal stößt Recherchen in Themenfeldern an, die eine nationale Bedeutung haben und gleichzeitig vor Ort relevant sind. Dabei arbeiten wir in einem landesweiten Netzwerk mit mehr als 1000 Lokaljournalist:innen zusammen. 1265 Netzwerk-Mitglieder, 13 Themenschwerpunkte, 471 lokale Stories
Was ist das CORRECTIV.Lokal? | Quelle: Screenshot correctiv.org/lokal

Vom Crowdsourcing zum Community-Journalismus

Bei der CORRECTIV-Recherche zum Wohnungsmarkt war etwa der Bayerische Rundfunk Projektpartner. In Bundesländern außerhalb Bayerns beteiligten sich auch Lokalzeitungen. Doch der kollaborative Ansatz endete nicht dabei, dass sich Journalist:innen verschiedener Medienhäuser mit dem gleichen Thema beschäftigten. Unter der Frage „Wem gehört die Stadt?” wurde das Projekt von Grund auf als Bürger-Recherche konzipiert. Bürger:innen der Städte Augsburg, München und Würzburg konnten in einem Fragebogen Informationen zu ihrem Mietverhältnis mit der Redaktion teilen. Diese nutzte die Daten dann für ihre Recherche zu fragwürdigen Praxen von großen Finanzinvestoren auf dem Immobilienmarkt. So kam die Redaktion an interessante Daten, aber auch an Protagonist:innen, über die sie ihre Geschichte erzählen konnten.

Collaborative Journalism – Beispiel BR
Eine Frage, viele lokale Antworten: Die kollaborative Recherche „Wem gehört die Stadt?” | Quelle: Screenshot interaktiv.br.de

Collaborative Journalism setzt also auf die Methode des Crowdsourcing. Er kann aber noch mehr sein. Während Crowdsourcing wörtlich verstanden das Wissen der Allgemeinheit als eine Quelle oder Ressource bloß anzapft, sucht Collaborative Journalism den Austausch zwischen Journalist:innen und Publikum auf Augenhöhe. Die Menschen werden so von Beginn an zu Teilhaber:innen ihrer Geschichte, statt diese nur zu konsumieren. Natürlich wird die Geschichte auch weiterhin von professionellen Journalist:innen auf Fakten geprüft und geschrieben. Doch gerade im Lokalen ist die Bürgerbeteiligung eine Chance, die Verbindung zum Publikum zu stärken. Statt Abonnent:innen zu werben, gilt es, Mitglieder für die eigene Informations-Community zu begeistern. Die festere Bindung soll Journalismus nachhaltig ermöglichen.

Redaktionen, die ihre Berichterstattung mit Collaborative Journalism bereichern wollen, haben verschiedene Möglichkeiten. Sie können sich einer bestehenden Organisation oder Initiative anschließen, oder ein eigenes Projekt entwickeln. Sie müssen sich überlegen, welche Partnerschaften für sie in Frage kommen, welche Themen von einem Community-Ansatz profitieren können und welche Expertise ihre Redaktion ganz speziell einbringen kann. Inspiration findet sich zum Beispiel in der Collaborative Journalism Database des Center for Cooperative Media an der amerikanischen Montclair University. Diese immer wieder aktualisierte Datenbank enthält Links zu mittlerweile fast 700 kollaborativen journalistischen Projekten aus der ganzen Welt. Vielleicht enthält sie auch schon bald die neuen kollaborativen Recherchen von kleinen und größeren Redaktionen aus ganz Bayern.

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