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Netzwerkwissen Greenwashing

Die Empathie-Falle – Wie Unternehmen mit Greenwashing Kund:innen locken

von Nora Beyer

… wenn soziale Verantwortung und Umweltbewusstsein zur PR-Waffe werden, um Verbraucher:innen gezielt zu täuschen. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Fynn Kliemann eingeleitet. Der Unternehmer, Sinnfluencer und YouTuber ist heftig in die Kritik geraten, nachdem Satiriker Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale betrügerische Geschäfte rund um Schutzmasken aufgedeckt hatte.

Gemeinsam mit Geschäftspartner Tom Illbruck hat Fynn Kliemann zu Hochzeiten der Corona-Pandemie große Umsätze mit Masken gemacht, die angeblich fair und nachhaltig in Europa produziert wurden. Tatsächlich stammt ein Großteil der Masken laut Nachforschungen des ZDF Magazin Royale aus Südostasien. Kliemann ist längst nicht der einzige Influencer, der in die Kritik gerät.

Beauty-Influencerin Bianca Claßen alias Bibi, die mit BibisBeautyPalace eine der erfolgreichsten Webvideoproduktionen innehat, geht ebenfalls fragwürdige Kooperationen ein – wie mit dem chinesischen Fast-Fashion-Giganten Shein, der unter bedenklichen Bedingungen produziert. Ex-GNTM-Kandidatin Stefanie Giesinger muss sich mit ihrem angeblich nachhaltigen Modelabel NU-IN unangenehme Fragen gefallen lassen und auch bei Diana zur Löwen, die sich mit politischen Themen beschäftigt und von Institutionen wie der Bundeszentrale für politische Bildung gebucht wird, verschwimmen die Grenzen zwischen bezahlten Partnerschaften, politischem Engagement und Lifestyle-Tipps. Manchmal bis zur Unkenntlichkeit. 

Der Tugendfake 

Bezahlte Werbepartnerschaften sind nichts Neues. Und auch erstmal nicht problematisch. Das Problem, das Kliemann, zur Löwen und Co. aber haben, ist, dass sie ihre Integrität als Marke definieren über denselben Purpose, an dem sie so offensichtlich scheitern. Sinnfluencer:innen und insgesamt Unternehmen und Marken, die sich über ihren Purpose definieren, inszenieren sich bewusst in Abgrenzung zu den „anderen“, die profitgetrieben und konsumorientiert handeln. Hier gehe es um echten Mehrwert für den Menschen. Es wird eine Mission, eine Vision, in Anspruch genommen.

Der Purpose steht im Zentrum der Selbstvermarktung. Ein Modell, das von Influencer:innen, Unternehmen und Marken mittlerweile fleißig genutzt wird. Und das aus gutem – profitablem – Grund. Denn: Von Brands wird mittlerweile immer mehr erwartet, dass sie für soziale und politische Werte einstehen. Waren 2013 noch etwa 40 Prozent der Meinung, dass sich Unternehmen für politische und soziale Ziele einsetzen sollten, so sind es im Jahr 2018 bereits über 80 Prozent. Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Kantar aus dem Jahr 2020 zeigt außerdem, wie wirkmächtig Purpose für Unternehmen ist. Purpose-getriebene Unternehmen wuchsen in einem Zeitraum von zwölf Jahren um 175 Prozent. Die anderen nur um rund siebzig Prozent. „Profit follows purpose“ ist das Zauberwort. Ein Nischenphänomen ist das längst nicht mehr.

Purpose lohnt sich. Purposegetriebene Unternehmen wachsen um ein Vielfaches mehr als andere. | Quelle: Kantar
Purpose lohnt sich. Purposegetriebene Unternehmen wachsen um ein Vielfaches mehr als andere. | Quelle: Kantar

Vom schönen Schein

Sehr viel mehr als Marketing-Fassade sind die Bemühungen um Nachhaltigkeit und soziale Verantwortlichkeit oft aber nicht. Das weiß Jürgen Müller. Er ist Digital Transformation Manager beim Fürther Unternehmen Silbury, die nachhaltige digitale Lösungen für Unternehmen konzipieren. Bei der IHK hat er sich unlängst zum CSR-Manager weitergebildet – und betrachtet die Situation derzeit kritisch: „Aktuelle sehe ich eher Produkte und Dienstleistungen, die unter einem neuen Label und mit einer entsprechend positiv aufgeladenen Kommunikationskampagne ihren Platz auf dem Markt behaupten wollen. Unter dem ‚grünen‘ Gewand sind sie aber meist in sich völlig gleichgeblieben.“ Greenwashing oder Wokewashing nennt man das Phänomen, wenn Unternehmen oder Personen eine bestimmte Haltung des Umwelt- und Sozialengagements kommunizieren, die de facto aber nicht oder kaum handlungswirksam wird. Beispiele gibt es genug. Der Onlinehandel-Gigant Amazon lobt seine Mitarbeiter:innen während der Corona-Pandemie, versäumt es aber zugleich, sichere und gute Arbeitsbedingungen für sie zu schaffen. Konzerne wie Adidas und Apple springen auf den Diversity-Zug auf, sind selbst aber weit entfernt von divers besetzten Führungsriegen. Games-Giganten wie Ubisoft, Activision Blizzard und Riot Games schreiben sich Diversität und Inklusion auf die (Marketing)-Fahne und haben zugleich mit Klagen wegen sexueller Belästigung und systematischer Benachteiligung zu kämpfen.

Unternehmen wie Adidas nutzen Themen wie Diversity zur Vermarktung – in den Unternehmen selbst mangelt es daran oft noch.
Unternehmen wie Adidas nutzen Themen wie Diversity zur Vermarktung – in den Unternehmen selbst mangelt es daran oft noch. | Quelle: Adidas

Manche Greenwashing-Beispiele verursachen weitreichende gesellschaftliche und politische Beben, wie der Diesel-Skandal. Andere bleiben trotz öffentlicher Berichterstattung weitgehend folgenlos – wie etwa angeblich nachhaltige Möbel bei IKEA oder Grünfärberei beim Textil-Riesen H&M. Von echtem Wandel fehlt oft jede Spur, meint Müller: „Nachhaltigkeit bedeutet die Einleitung eines tiefgreifenden Wandels, der unter Umständen ganz massiv daherkommt und keinen Stein mehr auf dem anderen lässt.“ Davor scheuen sich viele. Denn: „Alles muss in den Unternehmen und bei den Produzenten auf den Prüfstand gestellt werden und nach nachhaltigen Kriterien neu aufgestellt werden. Das geht bis zur Disruption des eigenen Angebots.“ So eine mühevolle und potentiell gefährliche Transformation zu vollziehen – daran hätten die allermeisten Unternehmen kein Interesse, so Müller. „Also wird der ‚einfache‘ Weg gesucht und mit veränderter Kommunikation nach außen die gleiche Leistung wie davor angeboten.“

Absolution all inclusive

Purpose-orientierte Kommunikation verspricht Profit und wird deshalb großflächig, aber längst nicht immer tiefgreifend umgesetzt. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil sich das Bewusstsein vieler Menschen gewandelt hat. Viele wollen nachhaltiger konsumieren und leben. Laut Umweltbundesamt halten 65 Prozent den Umwelt- und Klimaschutz für ein wichtiges Thema. Nachhaltige und fair hergestellte Produkte packen die Menschen also direkt an ihrer Empathie. Und zugleich nimmt es den Konsumierenden das schlechte Gewissen. Wir wissen mittlerweile, dass unregulierter Konsum in einer Welt endlicher Ressourcen und ungleicher Verteilung derselben ein Problem ist. Kein Wunder, dass sich – angeblich – nachhaltig und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellte Hoodies besser vermarkten lassen als solche aus Kinderarbeit in Drittweltländern. Wenn das grüne Versprechen aber nur ein Werbeversprechen bleibt, ist das ein Problem. Dann wird die gestiegene Sensibilität von Verbraucher:innen in Umwelt- und Sozialfragen für die eigene Vermarktung missbraucht. 

Weiße Schafe in Bayern

Schwarze Schafe gibt es genug. Und dank der Verbraucherzentralen, verschiedenster engagierter NGOs und einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit haben es Unternehmen schwerer, über Greenwashing hinwegzutäuschen. Positiv ist: Es gibt auch in Bayern zahlreiche weiße Schafe. Gerade im Medienbereich tut sich viel. Einen guten Überblick bietet der Report „So kann die Medienbranche nachhaltiger werden“ von XPLR: MEDIA in Bavaria.

Nachhaltigkeit steht fast ganz oben auch bei den Verlagstrends. | Quelle: KPMG
Nachhaltigkeit steht fast ganz oben auch bei den Verlagstrends. | Quelle: KPMG

Viele Verlagshäuser wie die Münchner Hubert Burda Media, der Süddeutsche Verlag oder der Bamberger Kinderbuchverlag Magellan haben sich dem Thema Nachhaltigkeit angenommen. So stellt Magellan seine Bücher etwa hauptsächlich in Deutschland oder im nahen europäischen Ausland her, was weite Transportwege und damit CO2-Emissionen einspart. Die Süddeutsche Zeitung erscheint seit mehr als zehn Jahren ausschließlich auf Recyclingpapier. Medienagenturen wie media4nature in Nürnberg wollen erfolgreiches Marketing mit ökologischer Verantwortung verknüpfen. Und Outlets selbst setzen sich für mehr Aufklärung ein – wie etwa der Bayerische Rundfunk in seinem YouTube-Format „PlanetB“ über Nachhaltigkeit und Klimawandel. Ebenfalls 2021 verpflichtete sich ein breites Bündnis von Medienschaffenden und -Akteur:innen im Arbeitskreis green motion zur Umstellung auf eine umwelt- und ressourcenschonende Herstellungsweise ab 2022. Im April dieses Jahres lädt die Bayerische Landeszentrale für neue Medien Medienschaffende zum Runden Tisch ein. Anlass: ein Nachhaltigkeitspakt zwischen relevanten Medienvertreter:innen und -Akteur:innen. Ziel ist es, aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigen Medienwirtschaft mitzuwirken. Der Nachhaltigkeitspakt Medien Bayern soll im Rahmen der Medientage München im Herbst unterzeichnet werden. 

Grün: Nicht nur eine Farbe

Wer sich als Unternehmen also ernsthaft mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen will, der befindet sich in guter Gesellschaft. Und steht längst nicht alleine da. Unterstützung gebe es zuhauf, wenn man an der richtigen Stelle suche, meint Jürgen Müller. „Möchte ich mich als Unternehmen mit Nachhaltigkeit beschäftigen, dann wäre für mich der Weg zu einer klassischen Unternehmensberatung, die sich aktuell auch sehr flott das grüne Mäntelchen umhängen, nicht direkt der beste.“ Stattdessen empfiehlt er: „Ich halte die Suche nach passenden Netzwerken bestehend aus anderen Unternehmer:innen und aus Akteur:innen der Wirtschaft und Politik für vielversprechender. Die Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg könnte etwa eine solche Anlaufstelle zum Erhalt erster Informationen sein. Oder die UNO INO eG, ebenfalls mit Sitz in Nürnberg, ist sicher auch eine interessante Adresse im Beratungsbereich. Und es gibt sicher noch einige andere authentische und seriöse Kontakte. Die findet man.“ Für Medienschaffende gibt es die speziell zum Thema Green Filming am Standort Bayern etwa beim FilmFernsehFonds Bayern und der Film Commission Unterstützung. Eigentlich beste Voraussetzungen also, aus dem Grün als bloßer Farbe eines Werbeversprechens eine echte strukturelle Leitnorm zu machen.

Zahlen & Studien

Quellen & nützliche Links

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