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Netzwerkwissen: Leichte Sprache

Leichte Sprache: Mehr Reichweite für eine breitere Zielgruppe

von Andrea Schöne

Leichte Sprache ist als Sprachvariation und Mittel der Barrierefreiheit noch nicht im Mainstream angekommen. Sollte sie aber: Sie ist ein Werkzeug für sprachliche Barrierefreiheit und Inklusion sowie ein Tool zur Reichweitensteigerung von Inhalten.

Gegenüber Leichter Sprache gibt es zahlreiche Vorurteile. So würde die Sprachvariation Menschen „verblöden“, erinnere an Kindernachrichten oder verfälsche durch Übersetzungen die Sprachbilder der Alltagssprache. Wie wichtig es ist, schnell, leicht und verständlich Informationen weiterzugeben, zeigte sich dahingegen nicht zuletzt durch die COVID19-Pandemie.

Leichte Sprache versus Einfache Sprache

Oftmals werden Leichte Sprache und Einfache Sprache synonym verwendet, also als gleichbedeutend wahrgenommen. Dabei stellen sie verschiedene Sprachvariationen dar und sprechen auch verschiedene Zielgruppen an. Beide haben das Ziel, Informationen an Menschen zu vermitteln, für die Alltagssprache zu schwierig zu verstehen ist. Sie sind daher ein Mittel für Teilhabe in der Gesellschaft und Politik. 

Leichte Sprache hat das Sprachniveau A1[1], Einfache Sprache umfasst die Sprachniveau-Stufen A1 bis B1 und ist daher von einem komplexeren Sprachstil gekennzeichnet. Sie beinhaltet längere Sätze mit Nebensätzen, sowie im Alltag gebräuchliche Begriffe, die nicht erklärt werden. Beide Sprachvariationen meiden Fremdwörter oder erklären diese. Für Leichte Sprache gibt es verschiedene Regelwerke, für Einfache Sprache nicht. Ein wichtiger Bestandteil des Entstehungsprozesses eines Textes in Leichter Sprache ist das Überprüfen einer Expert:innengruppe. Diese besteht aus Nutzer:innen von Leichter Sprache. Sie prüfen, ob der Text auch wirklich verständlich ist.

Wer nutzt Leichte Sprache?

  • Menschen mit Lernschwierigkeiten
  • Funktionale Analphabet:innen, also Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen
  • Menschen mit Long COVID
  • Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist wie Geflüchtete oder Migrant:innen
  • Menschen nach schweren Gehirnoperationen oder Tumoren
  • Ältere Menschen, beispielsweise mit Demenz

Einfache Sprache umfasst zudem die Zielgruppe, deren Spracherwerb fortschreiten kann wie Fremdsprachen-Lernende, Tourist:innen, aber auch Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen.

Gesetzliche Regelung von Leichter Sprache

Nicht zuletzt die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, macht den barrierefreien Zugang zu Informationen zu einem Menschenrecht – so auch das Recht darauf, Inhalte in Leichter Sprache vorzufinden. Für die Umsetzung qualitativer Inhalte in Leichter Sprache gibt es Regelwerke wie die des Netzwerks Leichte Sprache.

Netzwerk Leichte Sprache
Das Netzwerk Leichte Sprache setzt sich für mehr Leichte Sprache ein. | Quelle: Screenshot

Die EU-Richtlinie (2016/2102) zur Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen wurde in Deutschland 2018 im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und 2019 in der aktualisierten Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) umgesetzt. Sie schreibt vor: Öffentliche Stellen des Bundes müssen im digitalen Bereich Websites (auch Intranet und Extranet), Apps (auch intern genutzte) und elektronische Verwaltungsabläufe barrierefrei gestalten. Das bedeutet: Gemeinden und Kommunen müssen beispielsweise ihre Inhalte digital in Leichter Sprache zur Verfügung stellen, ebenso wie Formulare und Anträge. 

Vorreiter für Einfache und Leichte Sprache 

In Bayern

SUMM ist ein Tech Start-up von Absolvent:innen und Studierenden der TU München. Sie sind außerdem Teil des Media Startup Fellowship des Media Lab Bayern. Das KI-gestütztes Tool übersetzt jeden Text von Alltagssprache in Leichte Sprache. Das Team orientiert sich an den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache. SUMM versteht sich als Unterstützungs-Tool innerhalb des Übersetzungsprozesses, um den Text danach noch zu verbessern und letztendlich einer Prüfungsgruppe zu übergeben. Der Prüfungsprozess wird von SUMM ausdrücklich als wichtiger Bestandteil eines hochwertigen Textes in Leichter Sprache verstanden und angeregt. Eine eigene Prüfungsgruppe ist in Planung.

abm

Seit über 30 Jahren dokumentiert die Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien den Alltag behinderter Menschen durch ein bundesweit ausgestrahltes Fernsehangebot, um über die Lebenswelten behinderter Menschen aufzuklären und deren Interessen in die Öffentlichkeit zu tragen. Besonders hervorzuheben ist das barrierefreie Fernsehen der Zukunft, das die abm als innovatives Modell in einem Pilotprojekt entwickelt und bereits selbst produziert. Eine komplett barrierefreie Variante mit Einblendungen von Gebärdensprachdolmetscher:innen, Soundtracks mit Audiodeskription oder in Leichter Sprache wird in Deutschland im linearen Fernsehen noch von keinem Sender angeboten – bei der abm dahingegen schon. Ihre neuen Sendereihen, das Jugendmagazin „yoin“ und die Talkshow „Krauthausen – face to face“ können auf diese Weise live über ein internetfähiges Fernsehgerät, per „second screen“ mit den Apps Greta & Starks oder über die eigene Mediathek auf der Videoplattform Vimeo gestreamt werden.

Deutschlandweit

Seit 2016 gibt es das ehrenamtliche Projekt in Heidelberg, das von dem Journalisten Moritz Damm gegründet wurde. Vielfach stellte Damm fest, dass Medieninhalte in Leichter Sprache oftmals nicht die Nutzer:innen fragen, welche Inhalte und Themen für sie relevant und interessant sind. So bieten beispielsweise viele Medien nur Inhalte über die Lebenswelten von behinderten Menschen oder soziale Themen in Leichter Sprache an. Der Bedarf an tagesaktuellen und lokalen Medienberichten in Leichter Sprache – zu politischen oder Sport-Themen – ist jedoch enorm hoch. Im ehrenamtlichen Redaktionsteam von Einfach Heidelberg können alle partizipieren, insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten, die Texte in Leichter Sprache benötigen. Die Ideen für Medienbeiträge werden gemeinsam diskutiert, recherchiert und geschrieben. Somit sind – im Sinne der Inklusion – Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht nur die Nutzer:innen des Endprodukts, sie sind direkt in den Entstehungsprozess von Themen und Texten eingebunden. 

Ein separates Team für Auftragsarbeiten erstellt bei der Deutschen Presse-Agentur Medieninhalte auf Sprachstufe A2, die unter anderem von öffentlich-rechtlichen Medien angenommen werden. Das Team bildet sich regelmäßig zur Erstellung von Medieninhalten in Einfacher Sprache weiter, um die Sprachvariationen und journalistisches Handwerk miteinander zu verbinden. Zur Bundestagswahl 2021 gab es ein Easy News Spezial, womit Easy-Produkte erstmals nachrichtliche Berichterstattung zu einem Großereignis auf Sprachniveau A2 angeboten hat. Die dpa kann sich nach eigenen Angaben vorstellen, auch weitere Sonderproduktionen in naher Zukunft anzubieten. 

Europaweit

Capito ist ein österreichisches Unternehmen, das seit 1999 Übersetzungsarbeiten in Leichter Sprache anbietet. Diese werden immer von einer Prüfungsgruppe aus Menschen mit Lernschwierigkeiten auf Verständlichkeit geprüft. Capito ist Teil der Gründer:innen des Netzwerks Leichte Sprache und hat damit die Verbreitung von Leichter Sprache im deutschen Sprachraum entscheidend mitgeprägt. Das Unternehmen bietet Lehrgänge in Leichter Sprache an und hat die capito App entwickelt, in der Nutzer:innen auf zahlreiche Inhalte wie Nachrichten, Dokumente, aber auch auf Inhalte von Museums-Guides in Leichter Sprache zugreifen können. Die Inhalte können in der jeweils gewünschten Sprachstufe gezielt gesucht und gelesen werden. Seit 2021 gibt es auch capito digital, ein KI-basiertes Tool für Leichte Sprache, das bei der Vereinfachung von Texten unterstützt. Die Verständlichkeit kann in den Sprachstufen A1 bis B1 geprüft werden. Das Tool gibt außerdem Vorschläge, Texte zu vereinfachen und beinhaltet einen Check für gendersensible Sprache. Weitere Funktionen wie eine vollautomatische Vereinfachung von Texten sind in der Test-Phase.

Warum Leichte Sprache nutzen?

Laut der Studie LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität  von der Universität Hamburg – haben rund 6,2 Millionen Deutsch sprechende Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren ein sehr geringes Sprachniveau: zwischen Sprachstufe A1 und B1. Die meisten Medieninhalte sind für diesen Personenkreis, das sind 12,1 Prozent der Gesamtbevölkerung, nicht zugänglich. Sie sind auf Leichte Sprache angewiesen. 

LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität
Quelle: Universität Hamburg, LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität. Basis: Deutsch sprechende Erwachsene (18-64 Jahre).

In vielen Ländern ist Leichte Sprache bereits weit verbreitet wie in Schweden oder Finnland. Dort gibt es beispielsweise eigene Buchverlage für Literatur in Leichter Sprache.

Leichte Sprache bietet Organisationen und Unternehmen das bisher selten genutzte wirtschaftliche Potential, ihre Inhalte bekannter zu machen. Kurze Satzstrukturen, eine klare Textgestaltung und fokussierte Aussagen sind relevant für Suchmaschinenoptimierung und Nutzerfreundlichkeit. Damit verbessern sich SEO-Ergebnisse, was zu höheren Rankings in Suchmaschinen führt. Nutzer:innen können die gewünschten Informationen schneller verstehen und benötigen weniger Erklärung. Dies kann zur Umsatzsteigerung führen, da Kund:innen mehr Zeit auf Websites verbringen und im Online-Handel auf ein leicht verständliches Kaufverfahren stoßen. 

Weiterführende Links

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[1] Das Sprachniveau gliedert sich nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen in sechs Stufen, beginnend von A1 (Anfänger:innen) bis C2 (Expert:innen). Die Sprachstufen A1 und A2 bedeuten eine elementare Sprachanwendung durch vertraute, alltägliche und häufig verwendete Ausdrücke und einfache Sätze aus dem unmittelbaren Alltag. Die Sprachstufe B1 beinhaltet eine selbstständige Sprachanwendung und beinhaltet das Verständnis von Hauptpunkten eines Gesprächs, wenn Standardsprache verwendet wird. Die Sprechenden können sich über vertraute Themen und persönliche Interessen unterhalten.

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