TikTok-Strategien der Publisher: Wie Verlage die Plattform nutzen
Von Chris Schinke, 19. Februar 2024
In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen, der sogenannten Generation Z hat sich die Art und Weise des Nachrichtenkonsums maßgeblich gewandelt, besonders im Hinblick auf die Informationsquellen. Social-Media-Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok haben sich in dieser Alterspanne zu den wichtigsten Quellen für Nachrichten entwickelt. Besonders die Nutzungszahlen der Plattform TikTok sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Und das nicht nur in der Altersgruppe der Generation Z. Immer mehr Publisher versuchen diesem Trend gerecht zu werden, indem sie ihr Engagement in der App des chinesischen Unternehmens ByteDance erhöhen und ihre Strategien optimieren.
TikTok besaß 2023 weltweit monatlich mehr als 1,5 Milliarde Nutzer:innen. Prognosen für das Jahr 2024 gehen davon aus, dass die Anzahl der monatlichen Nutzer:innen auf 2 Milliarden anwachsen wird. Die App, die bekannt geworden ist für ihre viralen Challenges, Tanzvideos und Comedy-Sketches ist heute weitaus mehr als nur eine Unterhaltungsplattform. Immer mehr wird TikTok zu einem Motor für kulturelle Phänomene verschiedenster Art, von sozialen Bewegungen und Aktivismus bis hin zur Popkultur. Die Community hält sich dort, wie auch auf anderen Social-Media-Plattformen, in zunehmenden Maß über das Weltgeschehen auf dem Laufenden.
Herausforderungen für die Publisher
Laut der Mediengewichtsstudie der Medienanstalten nutzen rund zwei Drittel (64 Prozent) der Generation Z an einem durchschnittlichen Tag Social Media als Informationsquelle. Rund 30 Prozent der jungen Zielgruppe nennen soziale Netzwerke sogar die wichtigste Informationsquelle. Auch bei den über 30-Jährigen steigt die tägliche Nutzung als Infoquelle im Vergleich zu den Vorjahren. Dabei verlagert sich die Nutzung zunehmend auf videolastige Angebote. Waren in den vergangenen Jahren YouTube, gefolgt von Instagram und TikTok auf Platz 3 die Plattformen mit den meisten Nutzer:innen, könnte TikTok im Jahr 2024 Instagram den zweiten Platz der beliebtesten Videoplattformen streitig machen. Entsprechend verstärken Publisher ihre Präsenz auf TikTok und passen ihre Content-Strategien den Gepflogenheiten der Community an, was Redaktionen mitunter auch vor Herausforderungen stellt.
Wie die Studie des Reuters Institute of Journalism zeigt, bevorzugen Nutzer:innen auf TikTok und anderen Videoplattformen überwiegend den Content von Persönlichkeiten gegenüber den Angeboten klassischer Medienhäuser. Die Studie zeigt auch, dass klassische Nachrichtenanbieter oft nicht vom Algorithmus der Plattform profitieren können. Inhalte traditioneller Medien werden Nutzer:innen weniger häufig empfohlen als die Inhalte anderer Content-Anbieter, wobei besonders die Tendenz zu nutzerspezifischen Nischeninhalten auf der Plattform eine Rolle spielt. Erfolgreiche wie auch umstrittene News-Influencer:innen wie Dylan Page mit mehr als 10 Millionen Followern haben auf TikTok eine größere Gefolgschaft als viele traditionelle Medienunternehmen wie die Washington Post, die BBC oder The New York Times zusammen.
Den TikTok-Algorithmus verstehen
Mit dem algorithmusbasierten Ansatz im Vergleich zum followerbasierten Ansatz, den Publisher in früheren Social-Media-Zeiten verfolgten, tritt ein grundlegender Wandel ein, der sich auf die Social-Strategie der Publisher auswirkt. War früher auf Plattformen wie Facebook oder Twitter (heute X) die Anzahl der Follower:innen entscheidend für den Erfolg bei Nutzer:innen und der Reichweite, so ist die Erfahrung der Nutzer:innen heute zunehmend von Algorithmen der Plattformen (insbesondere bei TikTok) geprägt, die bestimmte Inhalte verstärken und kuratieren. Die Frage danach, welche Art von Inhalt vom TikTok-Algorithmus verstärkt wird, der Videos an die Interessen und Vorlieben der Nutzer:innen anpasst, wird für Publisher immer bedeutender.
Die Erfolgsgeschichte von TikTok beruht grundlegend auf der Fähigkeit, die Interessen der Nutzer:innen richtig zu erkennen. Die Plattform erstellt ein Nutzerprofil ausschließlich auf Grundlage der Zeit, die diese:r Nutzer:in mit dem Ansehen von Videoclips verbringt. Den Nutzer:innen werden dann mehr Videos angezeigt, die diese Interessengruppen ansprechen. Hierbei identifiziert der Algorithmus durch die Nutzung von A/B-Tests gezielt Nischeninteressen, um ein möglichst genaues Bild der Nutzer:innen zu entwerfen. TikTok behandelt jedes Video als einen eigenen, separaten Datenpunkt – unabhängig von seiner Ersteller:in. Dies unterscheidet den TikTok-Ansatz fundamental von solchen, der auf Follower-Zahlen beruhen.
TikTok-Trends 2024: Kreativer Mut, Neugier wecken, Storytelling und Vertrauen
Laut dem TikTok Trend Report 2024, den das Unternehmen selbst veröffentlicht hat, gibt es einige Trends, die für Publisher im Jahr 2024 wichtig sein werden, um die TikTok-Algorithmen optimal zu nutzen:
Kreativer Mut: Publisher sollten mutig und unkonventionell sein, um sich von der Masse abzuheben und eine tiefe Verbindung zur TikTok-Community aufzubauen. Publisher sollten Neugier, Vorstellungskraft, Verletzlichkeit und Mut zeigen, um originelle und authentische Inhalte zu schaffen.
Neugier wecken: Publisher sollten Inhalte erstellen, die TikTok-Nutzer:innen in neue Themen einführen, die sie interessieren. Publisher sollten relevante, erfreuliche und nützliche Inhalte erstellen, die Neugier wecken. TikTok-Nutzer:innen suchen auf der Plattform nach weit mehr als nur nach der richtigen Antwort.
Storytelling: Publisher sollten Inhalte gestalten, die neu interpretiert und weiterentwickelt werden können. Sie sollten traditionelle Erzählstrukturen auf den Kopf stellen und kreative und kollaborative Formate nutzen, um spannende und einzigartige Geschichten zu entwerfen.
Vertrauen aufbauen: Publisher sollten das Vertrauen von User:innen in ihre Marke stärken. Sie sollten klare Werte und Ziele kommunizieren und positive gesellschaftliche Veränderungen und Transparenz fördern.
Kritik an TikTok: „News Wasteland“ und Fake News
Natürlich ist TikTok in letzter Zeit immer wieder in die Kritik geraten. Zwar ist TikTok als Place-to-be für die junge Zielgruppe zweifellos von größter Bedeutung für Publisher, doch bringt die populäre Plattform auch Herausforderungen mit sich. Besonders der Umstand, dass News-Beiträge es schwer haben, den User:innen ausgespielt zu werden, sorgt bei Publishern für Unmut. Einige sprechen von einem „News Wasteland“ auf der Plattform und argumentieren für einer notwendige Medienallianz mit TikTok, um die Bedürfnisse der Branche dem Social-Media-Unternehmen näherzubringen. Ob das chinesische Unternehmen solchen Bestrebungen entgegenkommt, bleibt abzuwarten. Ein großes Problem bleibt derweil auch die Menge an Fake News, die über TikTok verbreitet wird. Zwar beteuert das Unternehmen immer wieder gegen Desinformation und falsche Informationen auf seiner Plattform vorzugehen, doch wer vielgeklickte Beiträge etwa zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine oder auch den der Terrororganisation Hamas auf Israel betrachtet, kann dies nur mit Sorge tun. Diese Besorgnis hat mittlerweile auch die EU-Kommision auf den Plan gerufen hat, die TikTok aufgefordert hat, gegen Falschinformationen vorzugehen.
Deutsche Medien und ihre TikTok-Strategien
Dennoch: Auf der Suche nach einem neuen Publikum werden immer mehr traditionelle Medienhäuser auf dem Videoportal aktiv. Bei ihren Inhalten zeigen sie eine enorme Themen- und Formenvielfalt, die von klassischer News-Berichterstattung über Erklärvideos bis hin zu reiner Unterhaltung reicht.
Deutschlandweit
Der erste deutsche Nachrichtenkanal auf TikTok: Die Tagesschau
Einer der erfolgreichsten Publisher auf dem europäischen Markt ist die ARD mit ihrem Kanal Tagesschau. Die ARD nutzt TikTok als Zugang zur jungen Zielgruppe, die sie über TV, Homepage oder App nicht mehr erreicht. Als erster Nachrichtenkanal in Deutschland hat die Tagesschau den Schritt zu TikTok gewagt – mit humorvollen und trotzdem informativen „News-Snacks für den Pausenhof“, wie die ARD es selbst nennt. Die jungen Zielgruppen erhalten dort aber zum Beispiel auch Tipps zum Faktchecking. Dabei sind es immer wieder Formate mit unterhaltendem Charakter, die bei den Nutzer:innen gut ankommen.
News auf unterhaltsame Art und Weise: Der Südkurier
Die regionale Tageszeitung Südkurier widmet sich in ihren Videos drei bis vier Mal pro Woche Themen wie „Überlebenstipps für die Fastnacht in Südbaden“, „SEK-Einsatz im Schwarzwald“ oder „Diese Regeln gelten beim Streiken“. Mit seinen Videos erreicht der Südkurier ein breiteres Publikum und macht auf regionale Themen und Nachrichten aufmerksam. Der Südkurier konzentriert sich darauf, Nachrichten und Informationen auf eine unterhaltsame Art zu präsentieren und animiert Nutzer:innen zur Interaktion, etwa mit TikTok-Video-Wettbewerben.
Viele Marken gebündelt in einem Kanal: DIE ZEIT
Auch die Wochenzeitung DIE ZEIT nutzt die Plattform, um neue Zielgruppen zu gewinnen. Die Herausforderung bestand darin, die unterschiedlichen Marken von DIE ZEIT bis ZEIT Verbrechen über ZEIT ONLINE auf TikTok zu vereinen. Für das Hamburger Medienhaus ergaben sich daraus Überraschungen, wie der Erfolg der Clips von ZEIT Verbrechen mit Sabine Rückert, die stellvertretende Chefredakteurin des Blattes ist. Im Angebot der ZEIT überwiegen Nachrichtenclips präsentiert von jungen Gesichtern mit Titeln wie „News zur Gras-Legalisierung“, „Gen Z ist krass gespalten“ und „Das müsst ihr diese Woche wissen“.
In Bayern
News und Popkultur: Der Bayerische Rundfunk
Der Bayerische Rundfunk ist unter anderem mit seiner Marke BR24 vertreten, die ihren über 400.000 Followern Nachrichten, Hintergrundinformationen und unterhaltsame Inhalte rund um Bayern bietet. Besonders erfolgreich teilt BR24 Videos zu Themen wie dem Münchner Oktoberfest, Faktenchecks und zu LGBTQ*-Themen. Als besonders erfolgreich erwiesen sich Clips wie „Ist die Mittelschicht am Ende?“, „Kann Taylor Swift die US-Wahl entscheiden?“ oder „Yummy oder mäh?!?! Frittierte Zahnstocher“, die Nutzer:innen neugierig machen. Auch die BR-Jugendmarke Puls erfreut sich auf der Plattform mit rund 69.000 Followern und 1,2 Millionen Likes großer Beliebtheit. Die popkulturell versierte Redaktion spürt in ihren Clips jungen Themen wie „Fernbeziehung, Expectations & Reality“ und „Date auf dem Konzert?“ nach. Immer wieder erfolgreich sind Wissensformate, die sich Fragen widmen wie „Werden Frauenstimmen tiefer?“.
Zukünftige Relevanz von TikTok-Strategien
Die Auftritte deutscher und auch bayerischer Medien setzen auf kreative Inhalte, aktuelle Themen, Live- und Erklärinhalte, humorvolle Clips und auch Videoserien um ihre Formate zu verbreiten. Bei allen Schwierigkeiten, die mit einer Präsenz auf der Plattform verbunden sind, ist es ermutigend zu sehen, wie Medienmarken auf der jungen TikTok-Plattform stets weiter neue Wege gehen. Mit der wachsenden Bedeutung von TikTok im Hinblick auf steigende Nutzer:innenzahlen wird eine Präsenz für Publisher unumgänglich, auch wenn sich ihre Inhalte im Wettbewerb mit anderen Content-Produzent:innen schwer behaupten. Gerade im Hinblick auf die grassierenden Fake News auf der Plattform wird verlässliche Information aus vertrauenswürdigen Quellen an Bedeutung für Nutzer:innen auf der Plattform zunehmen.
Quellen und nützliche Links:
- Business of Apps: TikTok Revenue and Usage Statistics (2024)
- Die Medienanstalten: Social Media als Infokanal | Gewichtsstudie 2022-I
- Mashable: Are People Actually Using TikTok For News?
- Media Makers Meet: Publishers ranking: Europe’s top 15 media on TikTok
- Medientage München: Medienallianz mit TikTok erwünscht
- Reuters Institute of Journalism Study
- Social Star: How Does TikTok influence Culture?
- Statista: Instagram Users worldwide
- Tagesschau: EU-Kommision verwarnt auch TikTok
- TikTok: What’s Next 2024 Trend Report
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