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News Avoidance – was die Nachrichtenlage gerade mit uns macht

von Franziska Mozart, 09. Dezember 2024

Kopf in den Sand stecken: Die Vogel-Strauß-Taktik ist eine Reaktion auf die Flut negativer Nachrichten, die immer mehr Internetnutzer:innen in Deutschland anwenden. Sie wollen also von all den Nachrichten nichts mehr wissen. Es gibt eine wachsende Gruppe an Mediennutzenden, die auf ein überforderndes Nachrichtenangebot und auf negative Schlagzeilen mit Abkehr reagieren. Das wird auch als News Avoidance bezeichnet. Wie Medienhäuser damit umgehen können.

Viele Menschen, die ihren Nachrichtenkonsum bewusst eindämmen, tun dies, um sich emotional zu entlasten. Sie wollen sich vor negativen Einflüssen schützen oder vermeiden, dass sie überfordert werden. Dieser Trend hat in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen, was Forschende und Medienunternehmen gleichermaßen beschäftigt. Zumal der Rückzug aus dem Nachrichtenkonsum ein Problem darstellt für die Demokratie, die auf informierten Bürger:innen basiert. Wenn Menschen News vermeiden, kann das auch das Vertrauen in Institutionen untergraben und den gesellschaftlichen Dialog erschweren.

Für Medienunternehmen stellt dieser Trend eine besondere Herausforderung dar, immerhin leben sie von dem Wunsch nach Information bei ihrer Zielgruppe. Sie stellen sich daher teilweise bereits darauf ein und bieten spezielle Angebote für jene, die ihnen aus dem Weg gehen. Eine Strategie ist der konstruktive Journalismus, der positive Lösungsansätze zu globalen Problemen aufzeigt und somit emotional entlastend wirken kann.

Der Anteil der „News Avoider“ steigt

Forschende des britischen Reuters Institute befragten erwachsene Internetnutzer:innen jährlich zum Thema News Avoidance. Für 2024 konnte das Marktforschungsinstitut einen Anstieg derjenigen feststellen, die Nachrichtenkonsum vermeiden. Auf der einen Seite hat sich das Interesse an Informationen stabilisiert. Auf der anderen Seite ist der Anteil derer, die angeben, Nachrichten selektiv zu meiden (manchmal oder oft), 2024 um drei Prozentpunkte auf weltweit 39 Prozent  gestiegen – das sind ganze zehn Prozentpunkte mehr als 2017. In Deutschland versuchten 14 Prozent der erwachsenen Internetnutzer:innen oftmals aktiv, News zu umgehen; 69 Prozent versuchen dies zumindest gelegentlich. 

39 Prozent sagen, dass sie heutzutage oft oder manchmal die Nachrichten vermeiden.
39 Prozent sagen, dass sie heutzutage oft oder manchmal die Nachrichten vermeiden. | Quelle: eigene Darstellung nach Reuters Institute: Digital News Report 2024 (S. 27)
Internetnutzer:innen in Deutschland, die Nachrichten aktiv oder gelegentlich vermeiden
Internetnutzer:innen in Deutschland, die Nachrichten aktiv oder gelegentlich vermeiden | Quelle: eigene Darstellung nach Reuters Institute: Digital News Report 2024

Die Gründe, warum sich Menschen dem Informationsangebot der Medien entziehen, sind über die Jahre aber gleich geblieben: Selektive Nachrichtenvermeider:innen sagen, die Nachrichtenmedien seien oft repetitiv und langweilig. Einige geben an, dass sie sich durch den negativen Charakter der Nachrichten ängstlich und machtlos fühlen.

In allen Märkten sagen etwa vier von zehn Befragten (39 Prozent), dass sie sich von der Menge der Nachrichten heutzutage „ausgelaugt“ fühlen. 2019 waren es noch 28 Prozent. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen der Anstieg dieser Gruppe der Erschöpften mit plus 15 Prozent besonders hoch ist. Auch in Spanien, Dänemark, Brasilien, Südafrika und Frankreich hat demnach die Nachrichtenmüdigkeit zugenommen. Diese Erschöpfung zieht sich durch alle Alters- und Geschlechtsgruppen – und auch der Grad der Bildung macht hier keinen signifikanten Unterschied.  

Wie Medienunternehmen weltweit darauf reagieren:

Konstruktiver Journalismus

Der Ansatz des konstruktiven Journalismus‘ sieht vor, bei der Berichterstattung über Probleme und Krisen passende Lösungen oder Beispiele für den besseren Umgang mit Negativem mitzuliefern. Allerdings bedeutet das oft mehr Recherche und damit auch mehr Ressourcen: Neue Ansätze, Meinungen von Expert:innen und Beispiele aus anderen Regionen können fundierte Lösungsansätze aufzeigen.

  • In Dänemark gibt es das Constructive Institute an der Universität Aarhus, das Journalist:innen und Nachrichtenorganisationen dabei unterstützt, konstruktive Berichterstattung anzuwenden. Es sammelt Best-Practices, gibt Workshops, vergibt Stipendien und unterstützt unabhängige wissenschaftliche Forschung. Konstruktiver Journalismus ist ein wichtiges Mittel, um Medien und Demokratien zu stärken, so die Überzeugung dahinter. 
  • Hierzulande bietet das Bonn Institut Journalist:innen und Redaktionen Fortbildungen, Inhalte und Veranstaltungen, um konstruktiven Journalismus stärker in der Medienlandschaft zu verankern. Gegründet wurde es 2022 in Kooperation mit dem dänischen Constructive Institute und mehreren Medienunternehmen wie der Deutschen Welle, der Rheinischen Post Mediengruppe und RTL Deutschland.
  • Das internationale Solutions Journalism Network hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, lösungsorientierten Journalismus zu fördern. Die NGO will Journalismus so verändern, dass alle Menschen Zugang zu Nachrichten haben, die ihnen helfen, eine gerechtere und nachhaltigere Welt zu schaffen. Dafür bietet sie Trainings und versucht, die Newsrooms von innen heraus zu verändern. Es geht dabei darum, gemeinschaftsorientierten und auf Gerechtigkeit fokussierten Klimajournalismus voranzubringen zu fördern. Lösungsorientierte Klimageschichten haben einen größeren, positiveren Einfluss auf die Gesellschaft, ist das Netzwerk überzeugt. 
  • Perspective Daily veröffentlicht seit 2016 lösungsorientierte Artikel und arbeitet nach den Prinzipien des konstruktiven Journalismus. Gegründet wurde die Online-Plattform für ausgewählte Inhalte von den beiden Neurowissenschaftler:innen Maren Urner und Han Langeslag. Ziel ist es, die Leser:innen zum Handeln zu befähigen und ihnen Lösungen aufzuzeigen. 

Positiver Journalismus

Wichtig ist es, zwischen konstruktivem und positivem Journalismus zu unterscheiden. Positiver Journalismus legt den Schwerpunkt auf inspirierende Geschichten, um Hoffnung und Optimismus zu verbreiten. Ziel ist es, die Leser:innen aufzuheitern und ein Gegengewicht zu negativen Schlagzeilen zu schaffen. Der positive Journalismus wählt bewusst Themen aus, die Mut machen und inspirieren.

Ein Beispiel dafür ist die Marke Good News. Die Redaktion hinter Portal und App sammelt werktäglich positive Nachrichten aus dem deutschsprachigen Raum. Das Team verweist auf Berichte über Fortschritte in Bereichen wie Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Gesundheit und Innovation. Redaktionsleiterin Bianca Kriel sieht Good News als Ergänzung zum bestehenden Nachrichten-Angebot. Für Menschen, die sich der Nachrichtenlage nicht komplett entziehen wollen, kann das Portal sogar eine Ausweichmöglichkeit sein. „Wir sehen eine Korrelation zwischen den Krisen dieser Welt und unseren Nutzerzahlen“, so Bianca Kriel.

News-Auswahl

Einige Redaktionen experimentieren mit Angeboten an positiven oder konstruktiven Nachrichten. Sie bündeln aus ihrem gesamten Content Inhalte-Fundus die ermutigenden Stücke und verschicken sie beispielsweise als Newsletter oder haben eigene Rubriken auf ihren Websites. Der Spiegel oder die Zeit arbeiten mit Newslettern und bieten das beispielsweise an. Das ZDF bündelt unter „Das Gute zum Wochenende“ ermutigende Beiträge, genauso wie der „Happy News Podcast“ der BBC. Darin werden seit Juni 2023 einmal die Woche positive Nachrichten aus aller Welt zusammengestellt.

Was bedeutet das für Bayern?

Bayerische Medien reagieren auf den Trend der News Avoidance mit positivem oder konstruktivem Journalismus. Daneben versuchen sie, die Nachrichtenkompetenz zu stärken:

  • Die Süddeutsche Zeitung verschickt täglich eine positive Nachricht aus München per Whatsapp in Newsletter-Form unter dem Titel SZ Good News München.
  • In Nürnberg kümmern sich die Relevanzreporter um einen konstruktiven Blick auf die Stadt und die Gesellschaft. Sie bieten auf ihrer digitalen Plattform konstruktiven Journalismus für Mitglieder und erreichen Menschen live durch journalistische Veranstaltungen. 
  • Media for Peace (M4P) ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Media Labs Bayern und der Universität der Bundeswehr München. Das Ziel ist, einen innovativen, nachhaltigen und ethischen Journalismus voranzutreiben, um in Konfliktregionen wie Afghanistan und dem Libanon friedensfördernd zu wirken. M4P nutzt die Potenziale der Digitalisierung, um Konflikte journalistisch sensibel, deeskalierend und konstruktiv zu begleiten. Das Projekt basiert auf methodischer Forschung; dazu zählen Leitfadeninterviews zur Analyse der Medienlandschaft und Untersuchungen von Desinformation und Themenentwicklungen in sozialen Medien.
  • Medienkompetenz bauen Projekte wie der ARD Jugendmedientag auf, an dem sich auch der Bayerische Rundfunk beteiligt hat. Die jährlich stattfindende Veranstaltung will Jugendlichen Einblicke in die Medienwelt gewähren. Ziel ist es, jungen Menschen Medienkompetenz zu vermitteln und sie für den bewussten Umgang mit Nachrichten, sozialen Medien und digitalen Technologien zu sensibilisieren.
  • Medienkompetenz baut auch das Projekt #UseTheNews auf. Dahinter steht die Nachrichtenagentur dpa zusammen mit Partnern aus Medien, Wissenschaft und Bildung. Es soll Jugendliche dazu befähigen, Nachrichten kritisch zu hinterfragen, Fake News zu erkennen und sich aktiv an gesellschaftlichen Diskursen zu beteiligen.

Quellen & nützliche Links

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