„Das Know-how für interaktive Formate liegt in der Games-Branche.“

Von Giulia Neumeyer, 10. Juli 2025

Paul Redetzky ist Gründer und Geschäftsführer von Emergo Entertainment – einem Spielestudio und gleichzeitig Agentur für interaktive Medien mit Sitz in Bayreuth. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit engagiert er sich ehrenamtlich für die Games-Community, unter anderem mit dem Franken Game Jam und dem Game Camp Bayreuth. Im Vorfeld von MEDIA meets GAMES spricht er über die Möglichkeiten interaktiver Medien, den Brückenschlag zwischen Games und klassischem Medienbusiness und warum Unternehmen die Spielebranche besser kennenlernen sollten.

Interaktive Medien: Mehr als Entertainment

Herr Redetzky, Emergo kombiniert Game‑ und Unternehmens‑Know‑how. Wie kam es dazu, interaktive Anwendungen auch außerhalb der reinen Entertainment-Welt zu entwickeln?

Paul Redetzky: Wir sehen den Markt für interaktive Medien als sehr vielversprechend. Wenn man sich historische Medienentwicklungen anschaut – vom Buchdruck über Radio bis hin zum Film – waren diese anfangs meist monothematisch. Doch mit der Zeit haben sich die Anwendungsfelder geöffnet. Ich glaube, das Gleiche passiert jetzt gerade mit interaktiven Medien.

Anwendungen wie Konfiguratoren oder interaktive Museumsformate werden deutlich zunehmen. Das nötige Know-how dafür steckt heute vor allem in der Games-Branche – und kaum in anderen Bereichen. Genau deshalb machen wir beides: Games und interaktive Anwendungen für Unternehmen. Ich bin sogar überzeugt, dass das Wachstumspotenzial im B2B-Bereich größer ist als im klassischen Entertainment-Segment.

Warum der B2B-Markt für die Gamesbranche so spannend ist

Was macht diesen Bereich aus Ihrer Sicht so attraktiv?

Redetzky: Es gibt Studien, etwa von Forrester, die dem Bereich enormes Potenzial bescheinigen. Ich erinnere mich an eine Zahl von rund drei Billionen Dollar. Viele Unternehmen nutzen bereits klassische Medien wie Werbefilme, Flyer oder Podcasts. Interaktive Medien hingegen sind noch wenig im Einsatz.

Das liegt nicht am Medium selbst, sondern an seiner bisherigen Komplexität: Interaktive Anwendungen waren bis vor wenigen Jahren noch sehr teuer und aufwendig zu entwickeln. Spieleentwicklung galt lange als elitäres Feld, das nur wenigen mit hoher technischer Expertise zugänglich war.

Das hat sich grundlegend verändert: Mit der kostenlosen Verfügbarkeit von Engines wie Unity oder der Open-Source-Lösung Godot ist ein Ökosystem entstanden, das die Produktion interaktiver Inhalte viel breiter möglich macht. Hinzu kommen marktreife Tools, vorgefertigte Assets und deutlich effizientere Produktionszyklen.

Man merkt, dass Teams kleiner werden, Entwicklungszeiten kürzer und damit auch der Zugang für Unternehmen realistischer.

Paul Redetzky

Ich glaube, genau das ist die kritische Schwelle, die jetzt überschritten wird: Interaktive Formate sind erstmals eine realistische, wirtschaftlich sinnvolle Alternative zu klassischen Medien wie Video, Print oder Audio. Und weil sie in bestimmten Bereichen ganz eigene Stärken haben – etwa in Sachen Nutzerbindung oder Individualisierung –, steckt da enormes Wachstumspotenzial drin.

Reichweite, Plattformstrategie und Vorbilder aus der Branche

Klassische Medien und Unternehmen besitzen breite Reichweiten und etablierte Kanäle. Wie können Games von dieser Plattformexpertise profitieren, ohne Authentizität oder Community-Identität zu verlieren?

Redetzky: Wussten Sie, dass die New York Times eine Games-Firma ist? Also zumindest, wenn man sich anschaut, was die meisten Seitenaufrufe bringt: Es sind die Spiele – sogar mehr als alle News-Kategorien zusammen. Sie machen damit mittlerweile auch einen erheblichen Teil ihres Umsatzes. Das zeigt, dass man Games nicht ausschließlich als Entertainment-Produkt sehen sollte. Die New York Times hat strategisch auf Games gesetzt, etwa mit dem Kauf des Wortspiels Wordle, und profitiert heute massiv davon.

Gleichzeitig haben Spieleplattformen wie Steam mit über 130 Millionen monatlich aktiven Nutzern eine enorme Reichweite. Bei Konsolen ist es ähnlich.

Ein Spiel fürs Employer Branding hat riesengroßes Potenzial, weil es viel weniger Konkurrenz als auf Social Media gibt – aber trotzdem sehr große Reichweiten.

Paul Redetzky

Das Spannende ist: Man kann auch als Medienunternehmen oder Marke ein eigenes Spiel entwickeln und es auf bestehenden Plattformen integrieren – wie die New York Times das tut. Aber auch in die andere Richtung ist viel möglich: Es gibt Plattformen für Spiele mit riesigen Nutzerzahlen, die bislang nur wenig für andere Zwecke wie Employer Branding genutzt werden.

Community als Fundament und was beide Branchen voneinander lernen können

Was können Medienmacher:innen konkret von der Games-Branche lernen – zum Beispiel in Sachen Zielgruppenbindung oder Innovationskraft?

Redetzky: Games sind besonders stark im Community-Building – und das ist auch nötig, gerade für kleinere Studios. Die Community ist oft das Lebenselixier. Plattformen wie Discord spielen da eine große Rolle. Da wird sehr direkt und nah mit den Community interagiert. Ich glaube, die Games-Branche war da auch relativ früh dran.

Aber auch klassische Medien sind nicht schwach auf dem Gebiet. Ich denke an Formate wie BR24 oder Tagesgespräch, sehr etablierte Formate, wo auch auf eine Art Community-Building gemacht wird. Die Mechanismen sind gar nicht so unterschiedlich. Ich glaube, beide Seiten können hier viel voneinander lernen.

Games haben den Vorteil, dass sie mit dem Internet gewachsen sind. Digitale Räume sind für Games-Entwickler ganz selbstverständlich. Das sieht man auch daran, wie fluide sich die Branche in digitalen Communitys bewegt.

Gleichzeitig kann die Games-Branche von klassischen Medien profitieren, zum Beispiel im Bereich Produktion. Wenn man sich die Qualität klassischer TV-Regie oder Übertragung ansieht, ist da enorm viel Know-how vorhanden, das für Esports, Streams und Co. sehr relevant ist. Wenn man eine gute audiovisuelle Produktion will, ist es absolut sinnvoll, mit einer erfahrenen Firma aus dem klassischen Medienbereich zu arbeiten – und das wird auch schon gemacht.

Schnittstellen zwischen Games und Medien – von KI bis Virtual Production

Wo siehst du künftig spannende Verbindungen zwischen Games und Medien – etwa in Bezug auf KI, XR oder neue Formate? 

Redetzky: Viele dieser Schnittstellen gibt es eigentlich schon. Ich beschäftige mich gerade viel mit Museen. Das sind für mich total interessante Orte, weil interaktive Medien dort bisher noch wenig präsent sind. Gleichzeitig stellen sich da spannende Fragen, etwa zur Informationsvermittlung. Wenn man Nutzern mehr Freiraum lässt, wie das bei interaktiven Medien der Fall ist, muss man überlegen: Wie sorge ich trotzdem dafür, dass etwas Verlässliches vermittelt wird?

Ein weiteres Feld, das ich sehr spannend finde, sind Archive oder große Dokumentensammlungen. Da liegt unglaublich viel Inhalt, der meist in statischer Form existiert. Mit KI kann man diese Inhalte analysieren, strukturieren und ganz neu zugänglich machen. Daraus könnte zum Beispiel ein Podcast entstehen, der auf diesen Daten basiert. Oder eben ein interaktives Format, in dem Nutzern selbstständig durch das Wissen navigieren können.

Was derzeit stark im Trend liegt, ist die Nutzung von Game Engines im Filmbereich, etwa für virtuelle Sets. Durch die Echtzeitkomponente bekommen Produktionen eine neue Dynamik. Und wenn so ein Set einmal mit Game Engine gebaut ist, frage ich mich: Warum nicht auch ein interaktives Format daraus machen?

Klar, in Filmproduktionen wird oft nur das sichtbar modelliert, was im Kamerawinkel liegt. Aber selbst das könnte man als Behind-the-Scenes-Erlebnis anbieten, zum Beispiel als eine virtuelle Begehung des Sets für Fans oder Interessierte. Das wäre technisch machbar und hätte einen echten Mehrwert.

MEDIA meets GAMES: Austausch auf Augenhöhe

Worauf freust du dich am meisten bei MEDIA meets GAMES am 22. Juli?

Redetzky: Ich freue mich auf viele engagierte Menschen, die offen für neue Ideen sind und Lust auf Austausch haben – und natürlich auf eure tolle Organisation!

Mehr zu MEDIA meets GAMES

MEDIA meets GAMES bringt Fachleute aus beiden Branchen zusammen, um konkrete Schnittstellen, innovative Formate und neue Perspektiven zu beleuchten. Mit dabei ist auch Paul Redetzky von Emergo Entertainment, der in seinem Talk zeigt, wie interaktive Medien jenseits des Entertainments wirksam werden können. Das Event bietet praxisnahe Einblicke, inspirierende Sessions und viel Raum für Austausch und Vernetzung.

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