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„KI ist letztlich nichts als eine Wahrscheinlichkeitsrechnung“

Von Anja Kummerow

Wird es zukünftig noch Journalismus jenseits von Algorithmen geben? Und wie bleibt Journalismus glaubwürdig und unabhängig? Mit diesen Fragen und der Zukunftsfähigkeit der Branche beschäftigt sich Peter Welchering in seinem Vortrag bei Transforming Media. Die Veranstaltung am 4. Juni 2019 in Nürnberg dreht sich darum, Branchengrenzen zu durchbrechen – „Breaking Borders“. „Breaking the Buzzword“ ist Welcherings Thema.

Herr Welchering, Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema KI – also Künstliche Intelligenz. Was bedeutet die künstliche Intelligenz für Journalisten?

Peter Welchering: Eines gleich vorweg: Angst ist unbegründet. Künstliche Intelligenz wird Journalisten auch in Zukunft nicht ersetzen können. Aber sie wird die Medienlandschaft verändern und Journalisten wieder mehr fordern, ihre Rolle auszufüllen – wenn wir unseren drei Aufgaben gerecht werden wollen: Teilhabe, Wächterfunktion, Einordnen. Teilhabe heißt, den Menschen Dinge verständlich zu erklären. Die Wächterfunktion wahrzunehmen bedeutet, zu recherchieren, ob alles rechtens zugeht oder manipuliert wurde. Und schließlich einzuordnen, was dies für den Einzelnen bedeutet, ob davon eine Gefahr ausgeht.

Roboterjournalismus im Berufsalltag

Inwieweit kommt denn KI heute schon zum Einsatz?

Welchering: Neuronale Netzwerke helfen längst bei der Sprach- oder Bilderkennung. KI kommt in Hilfsmitteln wie Textverarbeitungs-, Rechtschreib- und Übersetzungsprogrammen zum Einsatz. Auch Roboterjournalismus ist keine Fiktion mehr, sondern Alltag – wenn es beispielsweise darum geht, Daten auszuwerten und in Worte zu fassen, Fußballergebnisse oder Aktienkursentwicklungen. KI wird oft eingesetzt, ohne von uns bemerkt zu werden. Wir dürfen diese Entwicklungen weder verklären, noch mit dem Rücken dazu stehen, wir brauchen den Mittelweg. Denn keine KI-Methode kann die Bewertung eines Sachverhaltes vornehmen oder einen dramaturgischen Faden durch eine Geschichte spinnen. KI ist letztlich nichts weiter als eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Können auch Gefahren von KI ausgehen?

Welchering: Durchaus. Vor allem in der Nutzung durch andere, um etwa den Journalismus zu überwachen – durch Gesichtserkennung zum Beispiel, oder Bewegungsanalysen, die zeigen, wer sich wo aufhält. Oder indem E-Mails gehackt und das Surfverhalten getrackt werden. So lässt sich nachverfolgen, welcher Journalist gerade an welcher Recherche dran ist und mit wem er dafür telefoniert hat. Das ist für Konzerne wie Facebook, Google oder Apple ein Leichtes. Ein aktuelles Beispiel ist der Chemie-Konzern Bayer, der eine Liste mit Kritikern seiner umstrittenen US-Tochter Monsanto erstellen ließ. Auch Journalisten tauchen darauf auf. Die Beobachtungsliste, die Facebook als Überwachungsliste von Konzernkritikern angelegt hat, geht darüber sogar noch hinaus – bis hin zur Smartphone-Ortung des Konzerns-Gegners.

Diskussionen anregen und Menschen eine Stimme geben

Welchen Einfluss hat das auf die Arbeit von Journalisten?

Welchering: Es wird eine der größten Herausforderungen und zugleich wichtiges Aufgabengebiet für Journalisten sein, zu recherchieren, wozu die Player des Marktes fähig sind, und aufzuklären, wer welche Daten wie nutzt. Ich sage meinen Hörern beispielsweise immer: Nutzt für Suchanfragen nicht Google, sondern MetaGer. Auch das wird eine wichtige Aufgabe für Journalisten – Alternativen aufzuzeigen, die sich selbstbestimmt nutzen lassen. An Journalisten ist und bleibt es, die Nachweise zu erbringen, wer was tut, Versagen nachzuweisen, kritische Diskussionen anzuregen und Menschen eine Stimme zu geben.

Ist die Medienbranche darauf vorbereitet? Gehen die Trends in die richtige Richtung?

Welchering: Ich sehe eine Gefahr von der Branche für sich selbst ausgehen. Vieles, was als journalistische Neuheit verkauft wird, ist eigentlich ein alter Hut. Das Wort Storytelling kann ich schon nicht mehr hören. Darum ging es doch im Journalismus schon immer: eine spannende Geschichte zu erzählen und dabei gut zu informieren. Für einen ganz schwierigen Trend in Redaktionen halte ich, nicht mehr auf Fachwissen zu setzen, sondern Journalisten zu Generalisten zu machen, die heute über Fußball und morgen über klassische Konzerte schreiben. Hinzu kommt diese kuschelige Ebene, diese Erfahrungsberichte, in denen Journalisten sich selbst in den Mittelpunkt von Geschichten stellen und beschreiben, wie sie was erlebt haben.

Beides ist für mich grundlegend falsch. Nicht nur, dass es Journalismus mainstreamig und konturlos macht, es macht ihn auch oftmals redundant. Was wir brauchen sind sachliche und gut recherchierte Beiträge. Wenn Leser und Zuhörer registrieren, dass wir Trennschärfe liefern, wird sie auch verstärkt von ihnen eingefordert.

Die Zukunft des Journalismus

Sind Redaktionen überhaupt noch gut genug aufgestellt, um das liefern zu können? Gerade durch die sozialen Netzwerke ist vieles nur noch auf Tempo ausgelegt …

Welchering: An vielen Entwicklungen der Branche sind die Verleger oftmals selbst schuld, weil sie meinen, die Rendite immer höher und höher schrauben zu müssen – und das meist zu Lasten der Qualität. Dass es anders geht, zeigen viele spannende Start-ups, die mit kleinen Verlagen zusammenarbeiten, oder auch genossenschaftliche Initiativen. Das sind Entwürfe, von denen ich mir viel verspreche.

Was müssen Medienschaffende mitbringen, damit Journalismus weiterhin vertrauenswürdig und unabhängig bleibt?

Gerade in puncto digitale Entwicklung sind viele Journalisten hochgradig uninformiert, weil viele auch eine regelrechte Mathematik-Phobie haben. Doch genau diese Kenntnisse werden benötigt, um Trends einschätzen zu können. Journalisten müssen wieder mehr Lernbereitschaft mitbringen, sie dürfen wieder neugieriger werden – das haben sie ein Stück weit verlernt. Und auch wieder misstrauischer. Wenn etwa große Datenkonzerne Fortbildungen für Journalisten anbieten, sollte man ihre Motivation genau hinterfragen. Diese Unternehmen sind nicht an einem guten Journalismus interessiert, sondern an Profit, der aus Daten generiert wird. Wir dürfen auch den KI-Methoden nicht vertrauen – genauso wenig wie Medizinern und Politikern.

Am 4. Juni spricht Peter Welchering zum Thema „Journalismus jenseits der Künstlichen Intelligenz: Von der Zukunftsfähigkeit einer Branche“ bei der Transforming Media – Breaking Borders in Nürnberg.

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