Media Insights TV: „Das deutsche Fernsehen ist ein nachdenklicher Ort geworden“
Für öffentlich-rechtliche Sender gehört Public Value – also der Nutzen für die Gesellschaft – von jeher zum Auftrag und ist fester Teil des Programms. Doch auch bei den Privatsendern bekommt das Thema immer mehr Gewicht. Warum das so ist, wie unterhaltsam TV mit Haltung sein darf und wie sich damit junge Zielgruppen erreichen lassen, darüber haben Konstanze Beyer, Chefredakteurin bei RTLZWEI, und Dr. Markus Riese, Leiter Marketing beim Bayerischen Rundfunk, bei „Media Insights TV – mehr Mehrwert im TV wagen?“ gesprochen.
Globale Entwicklungen wie der Klimawandel oder auch die Corona-Pandemie rücken Public Value in den Fokus – über alle Branchen hinweg. Auch die gewandelte Haltung der jungen Zielgruppe führt dazu, dass sich immer mehr Unternehmen verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen. Für die Medienbranche spielen laut Stefan Sutor, Geschäftsführer der Medien.Bayern GmbH, zusätzliche Treiber wie der Medienstaatsvertrag eine große Rolle, da dort Meinungs- und Angebotsvielfalt privilegiert werden.
Wandel im TV: Public Value ist für alle wichtig
„Haltung darf auch unterhalten!“, glaubt Petra Schwegler vom MedienNetzwerk Bayern. Auch die privaten Sender haben erkannt, dass sie viel zum Public Value beitragen können. So gelangen sie mit wichtigen Botschaften an Zielgruppen, die öffentlich-rechtliche Sender nicht erreichen.
Nicht zuletzt die Nominierungen für den Grimme-Preis – darunter 15 Minuten Joko & Klaas – Männerwelten und das ProSieben Spezial: Rechts. Deutsch. Radikal. – zeigen: Public Value ist längst nicht mehr nur Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen.
Allein der Grimme-Preis zeigt, dass hinter dem Thema „Mehr Mehrwert für TV“ kein Fragezeichen, sondern ein Ausrufezeichen stehen muss.
Stefan Sutor
Fernseh-Aushängeschilder wie Joko und Klaas rüttelten 2020 mit Themenschwerpunkten wie die Belästigung von Frauen oder die Situation im Flüchtlingslager Moria auf. Welche Wirkung sich so erzielen lässt, zeigte Thilo Mischkes Reportage „Rechts. Deutsch. Radikal“, in deren Folge ein AFD-Mitglied zurückgetreten ist.
Doch auch im öffentlich-rechtlichen Angebot tut sich viel, um ein breiteres Publikum und gerade auch die junge Zielgruppe zu erreichen.
RTLZWEI will mehr Vielfalt im Programm
Dass RTLZWEI deutlich besser ist als sein Klischee, betont Chefredakteurin Konstanze Beyer. Davon zeugen Formate wie „Endlich Klartext“ von Comedian Abdelkarim oder „Echtzeit“, bei dem unter anderem ein Kriegsreporter in den Irak und die Fotojournalistin Julia Leeb in den Kongo begleitet worden sind.
Mit einem neuen Projekt möchte RTLZWEI nun aktiv mehr Vielfalt im Programm fördern und Mehrwert schaffen: Das Doku Lab soll mit einem Budget von 100 0000 Euro „journalistische Arbeit von Anfang an unterstützen“, so Konstanze Beyer. Geplant ist die Unterstützung von bis zu zehn Produktionen kreativer Filmemacher, die ihre innovativen Ideen abseits ausgetretener Pfade einbringen. Welche Projekte das sind, entscheidet eine bunt gemischte Jury, in der außer Kostanze Beyer Thilo Mischke, Collien Ulmen-Fernandes, Hans-Peter Junker und Henriette Löwisch sitzen.
Die Präsentation von Konstanze Beyer zum Download.
Das Doku Lab verändert nicht grundsätzlich unsere Programmstruktur, macht es aber vielfältiger. Konstanze Beyer
Konstanze Beyer
Purpose TV von Beginn an
An der Vielfalt der Angebote merkt man, dass sich der Bayerische Rundfunk bereits von Beginn an mit Purpose TV beschäftigt. „Das ist unser Auftrag, wurde uns in die Wiege gelegt“, sagt Markus Riese. Gerade in der Corona Krise habe sich das hohe Vertrauen der Bevölkerung in die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunk gezeigt.
Zusätzlich engagiert sich der BR gegen das Thema Fake News durch Angebote wir den Faktenfuchs und entwickelt seit einigen Jahren verstärkt digitale Formate für eine junge Zielgruppe, etwa die News WG, FrauenGeschichte oder Workin‘ Germany. Auch XR-Technologie setzt der BR für Themen mit gesellschaftlicher Relevanz ein – zum Beispiel mit der AR-App „Die Befreiung“ oder der VR-Installation „Die Rettung“.
Dazu kommen Plattformen zum Beispiel für die corona-gebeutelte Kulturbranche oder die Initiative Gaffen geht gar nicht.
Die Präsentation von Markus Riese zum Download.
Bleibt festzuhalten: Sowohl beim Bayerischen Rundfunk als auch bei RTZWEI ist viel in Bewegung. „Das deutsche Fernsehen ist in den vergangenen Monaten ein nachdenklicher Ort geworden“, fasst Petra Schwegler zusammen. Eine der großen Herausforderungen für die Branche sieht Stefan Sutor in der Frage: Wie können in Zukunft auch mit TV jüngere Zielgruppen wieder abgeholt werden, nicht nur mit digitalen Formaten?