Ressourcenmangel bei Printmedien: Krisensicherheit und Nachhaltigkeit vereinen
von Katja Schwengler, 02. März 2023
Das ökonomische Wachstum bedingte mit den unterschiedlichen Krisen der letzten Jahre vielfältige Herausforderungen. Ressourcenknappheit ist nur eine davon. In der Printbranche machte sich vor allem der Papiermangel – ausgelöst durch mehrere Faktoren – bemerkbar. Wie Verlage adäquat und nachhaltig darauf reagieren und diese Lösungsansätze künftig in ihren Unternehmensstrategien integrieren können, darüber sprachen wir mit Expert:innen aus Verlag und Druckerei in unserem Media Date „Ressourcenknappheit – Mehr Resilienz in der Publishing-Branche“.
„Vielfältig, nachhaltig, verfügbar und das bei knappen Ressourcen?“ Mit dieser Frage startete Mariam En Nazer, Production and Sustainability Manager bei der Penguin Random House Verlagsgruppe, ihren Vortrag und stellte zugleich fest, dass sich bei diesem Prozess mehr als nur die Bücher verändern müssen: Es geht um die „Ressourcen“ Nachhaltigkeit, Mitarbeiter:innen und Zukunft als solches. Im Bereich Nachhaltigkeit schaute sich der Verlag dabei unter anderem Lieferketten, Materialien, Druck und Energiebeschaffung genauer an und führte nachhaltige Optimierungen durch.
Commitment, möglichst umweltfreundlich zu produzieren
Als geeignete Maßnahmen zur Zielerreichung etablierten sich beispielsweise die Prüfung der Ökobilanzen von Papiermühlen, Druckereien und Paper Carbon Prints, die Verringerung der Papiergrammatur, eine Standardisierung der Buchformate, der Verzicht auf Einschweißfolien, CO2 Reduktionsvereinbarungen mit Druck-Dienstleistern und eine bedarfsgerechte Auflagenplanung. Mit dem Unterzeichnen der Healthy Printing Charta stellte Penguin zudem das Thema Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt. Ziel der Charta ist es, dass alle Inhaltsstoffe und Materialien in den Kreislauf zurückkehren und weiter genutzt werden können.
Zwar könne man laut Mariam En Nazer derzeit ein Aufatmen in der Verlagsbranche vernehmen, da sich die Preise aktuell stabilisiert haben und Papier wieder verfügbar sei. Klar sei jedoch auch, dass die Branche nicht mehr auf das Preisniveau von vor der Krise zurückkehren wird. Wie also damit aktuell und in Zukunft umgehen? „Der Fokus liegt zum einen darauf, das bestehende System nachhaltig zu sanieren. Zum anderen müssen wir zwingend unseren Blick weiten: Die Transformation des Produkts Buch allein reicht nicht aus, denn es ist eingebunden in ein ganzheitliches Ökosystem“, so Nazer.
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Der Fokus liegt zum einen darauf, das bestehende System nachhaltig zu sanieren. Zum anderen müssen wir zwingend unseren Blick weiten: Die Transformation des Produkts Buch allein reicht nicht aus, denn es ist eingebunden in ein ganzheitliches Ökosystem.
Mariam En Nazer, Production and Sustainability Manager Penguin Verlag
Mitarbeitende als Change Maker im Unternehmen
Ein wichtiger Teil dieses Ökosystems sind Mitarbeiter:innen. Gemeint sind damit nicht nur Angestellte, sondern auch künftige Mitarbeitende. Hier macht sich ebenfalls ein „Ressourcenmangel“ bemerkbar: Das Fehlen von Fach- und Nachwuchskräften lastet stark auf der Branche. In fast jedem Medienteilbereich fehlt es an Personal, wie eine Studie von Start Into Media, der Initiative für die Medienaus- und -fortbildung innerhalb der Medien.Bayern GmbH, offenlegt. Da Nachhaltigkeit auch für Mitarbeitende, künftige wie aktuelle, immer wichtiger ist, müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, damit man als Arbeitgeber attraktiv bleibt. Glaubhafte Strategien im Bereich Nachhaltigkeit, Diversität und Gleichstellung, die Förderung von Wissensvermittlung und Entscheidungskompetenz der Teams und das Teilen von Wissen über die Organisationsgrenzen hinaus sind nur einige Aspekte dabei.
Die Verankerung der Nachhaltigkeit als Bestandteil der Unternehmensphilosophie braucht zwar ein Commitment in der Führungsetage. In der Realität liefern aber nach wie vor Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen wie Lektorat, Produktion und Beschaffung wichtige Impulse. Daher brauchen sie einen „Werkzeugkasten“, um bessere Entscheidungen zu Gunsten der Nachhaltigkeit zu treffen und so zu einem Change Maker im eigenen Unternehmen zu werden.
Mit Zukunftsszenarien einen Blick ins Morgen werfen
Beim Thema Zukunft als Ressource lud Mariam En Nazer das Publikum zu einem Experiment ein, Zukunft so disruptiv wie möglich zu denken. Wie könnte eine Buchbestellung in vielen Jahren aussehen? Durchsucht dabei eine Customized AI, also eine individuelle künstliche Intelligenz, ob es zum gewünschten Thema ein Buch im Metaverse gibt oder schreibt ein intelligenter Computer das Buch erst auf Bestellung? Und wie kommt das Buch zum Empfänger? Mittels Drohnenlieferung vor die Haustür oder einem „Bookshop on Demand“ ein paar Straßen weiter? Welche Lösungen oder Technologien gibt es bereits jetzt, welche sind Zukunftsmusik? Je allumfassender solche Prozesse durchdacht werden, umso interessantere Ideen kommen dabei für Unternehmen, Dienstleister und sogar für Verlagsberufe als solche heraus. Experimente wie dieses können vielleicht nicht sofort eindeutige Antworten auf die Frage, wie die Zukunft aussehen könne, geben, aber ein Gespür für abstrakte Szenarien stärken, das für die Welt von morgen wichtig werden könne.
Nachhaltigkeit verankern und Glaubwürdigkeit stärken
„Unternehmenslustig, statt nur betroffen – der größte Umweltverlag Deutschlands“, titelte die Süddeutsche Zeitung über den oekom verlag. Seit über 30 Jahren liefert der Verlag mit seinen Publikationen als eine Art Vorreiter Denkanstöße für eine nachhaltige und ökologische Entwicklung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Ökologie und Nachhaltigkeit bilden dabei das Fundament der Unternehmensphilosophie. Referentin Kajsa Schwerthöffer, Nachhaltigkeitsexpertin beim Verlag, widmete sich zu Beginn ihres Vortrags dem umfassenden „warum“: Klimawandel und Klimaproteste, Artenschwund und knapper werdende Ressourcen sind ebenso wie steigende Rohstoffpreise Gründe für ein Umdenken. Auch den Nachwuchskräftemangel und das wachsende ökologische Bewusstsein bei Leser:innen hält sie für wichtige Entwicklungen, um Nachhaltigkeit im Unternehmen zu verankern. Politisch gefördert wird das von der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD).
Auch Stellschrauben im Verlagsalltag, wie ökologische Mobilität und Versorgungsangebote, sind wichtige Beiträge für die Nachhaltigkeit und können als „Quick Wins“ Mitarbeitende abholen und überzeugen.
Kajsa Schwerthöffer, Nachhaltigkeitsexpertin beim oekom verlag
Immer mehr Verlage erkennen den Sinn und die Notwenigkeit einer nachhaltigen Wende, schrecken jedoch vor den Kosten einer Transformation zurück oder sind unsicher, wie das Thema zu implementieren ist. Hier rät Kajsa Schwerthöffer, Stellschrauben im Verlagsalltag zu nutzen, um die Mitarbeitenden an das Thema heranzuführen. Mit „Quick Wins“, also einfache, in den Alltag zu integrierte Veränderungen, wie beispielsweise eine ökologische Büroausstattung und Materialien sowie ein nachhaltiges Energie- und Abfallmanagement, werden Mitarbeitende abgeholt und Zeichen gesetzt. Um die nachhaltige Transformation im Verlag voranzutreiben, muss das Thema darüber hinaus intern platziert, priorisiert und verankert werden. Daneben gilt es, Zuständigkeiten zu klären und durch Monitoring- und Berichterstattung transparent zu gestalten, um die Glaubwürdigkeit zu erhalten. Die aktive Teilnahme an nachhaltigen Netzwerken on- und offline erspart Recherchen und aktuelle Trends können verfolgt werden. Der oekom verlag hat schon früh erkannt, dass Mitarbeitende einflussreiche Impulsgeber sind und bietet daher zahlreiche interne Schulungen zu Nachhaltigkeit und hierarchieübergreifende Mitsprachemöglichkeiten an.
Welches Produkt verdient es wirklich, gedruckt zu werden?
Wenn es konkret um die Buchproduktion geht, stellt sich auch oekom die Frage: Welches Produkt verdient es wirklich, gedruckt zu werden? Darüber hinaus sind zertifiziertes Recyclingpapier, angepasste Grammatur und Auflage, mineralölfreie Druckfarben, der Verzicht auf Einschweißen und die CO2-Kompensation die wichtigsten Parameter in der Herstellung. Bei der Auswahl der Dienstleister achtet der Verlag darauf, dass auch diese den eigenen Wertvorstellungen entsprechen. Herausforderungen sieht Kajsa Schwerthöffer dennoch: Neben der Entwicklung anwendungsbereiter Standards und der Aufklärung der Leser:innen über nachhaltige Buchproduktion geht es auch um die „Preisfrage“: Höhere Kosten für nachhaltige Printprodukte lassen sich erst dann in höhere Ladenpreise übersetzen, wenn nachhaltiges Publizieren flächendeckender Standard ist. Daher ist eine aktive Kommunikation der nachhaltigen Produktion unerlässlich, denn sie schafft Aufmerksamkeit und Nachfrage.
Druckereien sind Verbündete bei der nachhaltigen Transformation
Vor allem in der Herstellung finden Verlage einen großen Hebel für die Nachhaltigkeit – und beim Druck. Papierbeschaffenheit, Farben, Stückzahl: All das sind wichtige Einflussgrößen für die Buchproduktion. Lorenz Wild vom F&W Druck & Mediencenter bot in seinem Vortrag einen tieferen Einblick. Nicht nur dank vieler Zertifizierungen, unter anderem F&W FSC® „Forest Stewardship Council®“ und PEFC, bietet das Chiemgauer Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten des nachhaltigen Drucks an. Neben einer Auswahl an umweltfreundlichen Papieren und ökologischen Farben druckt der Familienbetrieb klimaneutral, alkoholfrei und mit Solarstrom.
Bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum lieferte auch einer der Teilnehmer einen wertvollen Tipp. So ließen sich die Online-Abonnementen einer Zeitschrift, die durch die Registrierung ermittelt werden können, von der Printauflage abziehen für eine geringere Auflage.
Abschließend skizzierten die Referenten ihre Ansichten zur Steigerung der Resilienz bei Verlagen. Für Kajsa Schwerthöffer vom oekom verlag heißt das vor allem, sich mit anderen Verlagen beim Papiereinkauf zusammenzuschließen, verlagsübergreifende Kooperationen einzugehen, Synergien bei Kostenersparnissen zu finden, sich Know-how anzueignen und sich auszutauschen. So können gemeinsam Einsparungspotentiale erkannt, Ressourcen geschont und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Druckereien erreicht werden.
Für Lorenz Wild ist wie für die Verlagsverantwortlichen die Frage nach der Relevanz des Produkts wichtig. Auch er sieht die Zukunft verstärkt in der branchenübergreifenden Zusammenarbeit, um möglichst viele Synergien zu nutzen. Vor allem für Druckereien spielen Planungssicherheit und eine rechtzeitige Datenzulieferung eine Rolle.
Mariam En Nazer betonte zuletzt erneut, dass die Verlagsbranche für Veränderungen bereit sein müsse. Aktuell käme der Druck dazu von außen, daher passen sich viele an. Der entscheidende Unterschied sei jedoch: Werden wir verändert oder verändern wir uns? Handlungsfähig bleiben, anstatt das Zepter aus der Hand zu geben – so lässt sich auch der aufschlussreiche Abend zusammenfassen.
Impressionen des Abends (Fotos: ©MedienNetzwerk Bayern | Tanja Adlfinger):