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TikTok, KI und die neue Ära des Buches

Die neue Ära des Buches: Wer liest, ist wieder cool

von Liza Marie Heuring, 08. Oktober 2024

Technische Innovationen sowie die ungebrochene Popularität sozialer Netzwerke sorgen auch in der Buchbranche für gewaltige Umwälzungen – und bieten enormes Potenzial, um faszinierende Inhalte zu erschaffen und einer breiten Zielgruppe die Begeisterung fürs Lesen zu vermitteln. Künstliche Intelligenz (KI) hilft hier nicht nur bei der Ideenfindung, sondern fördert Lesekompetenz und bietet ein individualisiertes Leseerlebnis. Auch Bestseller werden heute im Netz gemacht: Von einflussreichen Lese-Influencer:innen, die ihre Lektüreeindrücke mit einer wachsenden Community auf TikTok und Instagram teilen. 

Diese so genannten Booktoker:innen und Bookstagramer:innen stellen eine große Chance für den Buchmarkt dar, der durch sie eine junge Leserschaft dazu gewinnt. Insgesamt wurden laut Media Control im vergangenen Jahr 8,4 Millionen Buchkäufe über #BookTok initiiert. Buchhandlungen haben sich schon längst auf den Trend eingestellt und bestücken eigens Tische mit Büchern. Clips dazu gehen auf TikTok viral. Welche das sind, lässt sich seit April 2023 auf der monatlich von TikTok und Media Control veröffentlichten #BookTok-Bestsellerliste nachschauen. Besonders häufig findet man dort Namen wie Rebecca Yarros, Colleen Hoover und Lilly Luca sowie Fantasy-, Romance- und Young-Adult-Titel – Genres, die im klassischen Feuilleton selten besprochen werden. 

Jung und aktiv: die #BookTok-Community

Gelesen werden diese Titel vor allem von der Generation Z (14- bis 29-Jährige), der bei TikTok am stärksten vertretenen Altersgruppe. Dementsprechend jung ist auch die #BookTok-Community. Und sie ist sehr aktiv: Seitdem der Hashtag #BookTok Anfang 2020 bei TikTok auftauchte, wurden dort über 37 Millionen Beiträge generiert. Auf der Frankfurter Buchmesse 2023 hat TikTok erstmals die BookTok-Awards an Creator:innen, Autor:innen und Verlage verliehen. Dafür stimmte die #BookTok-Community beim bis dato größten TikTok-Voting Deutschlands ab. 

Für Kinder- und Jugendbücher wird mehr Geld ausgegeben

Dass Jugendliche und junge Erwachsene hierzulande „Bock auf Buch” haben, verrät auch eine gleichnamige Studie des Börsenvereins. Ihr ist zu entnehmen, dass die Bereitschaft, für Kinder- und Jugendbücher Geld auszugeben, trotz deutlich gestiegener Buchpreise anhaltend ist. So sank zwar die Menge der in diesem Segment verkauften Bücher innerhalb von fünf Jahren (2019 bis 2023) um 12,6 Prozent auf 58,3 Millionen Stück, doch die Ausgaben stiegen um 7,4 Prozent auf 672 Millionen Euro. Für die „Lesenden bis 19 Jahre” ließ sich in diesem Zeitraum sogar eine Steigerung von 32 Prozent verzeichnen. 

Die Kinder- und Jugendbuchbranche boomt – das zeigt unter anderem die Studie „Bock auf Buch” des Börsenvereins.
Die Kinder- und Jugendbuchbranche boomt – das zeigt unter anderem die Studie „Bock auf Buch” des Börsenvereins.

Buchclubs: Offline lesen, online reden

Der Erfolg digitaler Buchclubs zeigt, worum es den Bookstagramer:innen neben den Lektüreempfehlungen geht: Vernetzung. Aus der isolierten Tätigkeit des Lesens wird ein Community-Ereignis, bei dem man sich austauscht, berät und gemeinsam die aktuellen Lieblingsbücher feiert. Nicht selten entstehen aus digitalen Lesekreisen reale Bekanntschaften. Solche Netzwerke treffen sich dann auf Buchmessen und Lesungen oder werden von Verlagen zu exklusiven Treffen mit Autor:innen eingeladen. 

Erfolgreicher Buchclub von deutscher Unternehmerin

Neben bekannten Promi-Buchclubs, wie jenem von Schauspielerin Reese Witherspoon mit drei Millionen Instagram-Follower:innen, gibt es auch deutsche Beispiele. Die Unternehmerin Verena Pausder startete 2022 „Verenas Book Club” und zählt heute auf Instagram 23.000 Follower:innen. Zusätzlich zu einer monatlichen Buchbesprechung per Zoom bietet sie ihren Mitgliedern den Live-Austausch mit Autor:innen und verlost regelmäßig ihre Lieblingsbücher. 

Buchhändler und Bookstagramer zugleich

Eine feste Größe in der deutschen Bookstagram-Community ist Florian Valerius, bekannt seit 2016 als @literarischernerd. Im Hauptberuf Buchhändler, moderiert er heute sowohl offline als auch auf seinem Kanal Literaturveranstaltungen. 2023 war er Jury-Mitglied für den Deutschen Buchpreis. Seinen über 31.400 Instagram-Follower:innen empfiehlt Valerius Woche für Woche neuen Lesestoff. Die Posts, wie zum aktuellen Thriller von Ursula Poznanski, in dem es um eine außer Kontrolle geratene künstliche Intelligenz geht, erhalten Likes im dreistelligen Bereich. 

KI erobert die Buchbranche

Und wie steht es mit Bock auf KI? Eine Befragung der Frankfurter Buchmesse und Gould Finch ergab  bereits 2019, dass Verlage zwar bahnbrechende Veränderungen durch KI in ihrer Branche erwarten, aber bis zu diesem Zeitpunkt kaum in entsprechende Technologien investieren wollten. Spätestens seit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 ist die Scheu vor KI jedoch der Neugier gewichen: Bei einer Umfrage des Branchenmagazins Börsenblatt im März 2024 gaben 89 Prozent der Befragten an, bereits mit KI experimentiert zu haben, 40 Prozent hatten schon Texte damit erstellt. 

Die Börsenblatt-Umfrage zeigt: Fast jede:r hat schon einmal KI-Tools benutzt – insbesondere für die Texterstellung.
Die Börsenblatt-Umfrage zeigt: Fast jede:r hat schon einmal KI-Tools benutzt – insbesondere für die Texterstellung.

Obwohl KI im Literaturbetrieb wegen potenzieller Urheberrechtsverletzungen, mangelhaften Übersetzungen und der Konkurrenz zu Kreativberufen in der Kritik steht, versuchen sich auch Autor:innen an der Textproduktion mit KI-Tools. Einige dieser Werke, wie das Kinderbuch „Mia, Finn und der kleine Roboter KI” und der Roman „(Berlin, Miami)”, haben es bereits in den Handel geschafft. Doch dieses Phänomen erreicht noch keine breite Masse. Anders die Lage bei Sachbüchern: Werke über die Möglichkeiten von KI wie „Alles überall auf einmal” finden sich auf den Bestsellerlisten und bieten der Book-Community spannenden Diskussionsstoff. 

LaLeTu – der Lautlesetutor

KI hilft Lesen lernen

Wer die KI im Griff hat, der kann in der Buchwelt einiges damit bewirken. Die Plattform LaLeTu (LautLeseTutor) vom Klett Verlag bietet Leseförderung für Kinder, indem sie lautes Vorlesen analysiert und Rückmeldung zu Fehlern, Geschwindigkeit oder Stimmdynamik gibt. So wird nicht nur die Lesekompetenz gestärkt, sondern auch Lehrkräfte und Eltern entlastet. Damit die Kinder am Ball bleiben, gibt es beim LaLeTu ein spielerisches Belohnungssystem in Form von Medaillen. Zudem registriert die Anwendung, wenn die Kleinen ihr Lesepensum mal nicht geschafft haben und motiviert geduldig zum Weiterlesen.

rebind

Literatur-Klassiker werden mit KI-Guides zugänglich gemacht

Erwachsene können beim Lesen ebenfalls von künstlicher Intelligenz profitieren: Die App „rebind” bietet (derzeit nur auf Englisch) KI-gestützte Interpretationshilfe von Klassikern der Literaturgeschichte durch Expert:innen. So beantwortet etwa eine künstliche Version der berühmten Autorin Margaret Atwood mögliche Verständnisfragen, die man zu „Eine Geschichte von zwei Städten” von Charles Dickens haben könnte. Bequem, per E-Book, können sich Leser:innen mit ihren Mentor:innen austauschen und auf diesem Weg vielleicht so manch sperriges Werk besser verstehen.

Chat mit der Romanfigur: KI erweckt Bücher zum Leben

Etwas weiter gehen KI-Bücher, die direkt in die Handlung eingreifen und damit ein interaktives Leseerlebnis ermöglichen. Dabei können Leser:innen den Verlauf der Geschichte in Echtzeit beeinflussen, Nachfragen stellen oder mit den Romanfiguren chatten. Das geht mal spielerisch, wie bei dem textbasierten Abenteuerspiel AI Dungeon. Oder auch kommunikativ, wie bei dem begehbaren Buch „Pantopia”. Letzteres ermöglicht Interessierten eine ChatBot-Unterhaltung mit der literarischen Figur „Einbug“ (ebenfalls eine KI) aus dem Roman „Pantopia” der Autorin Theresa Hannig. 

KI-basierter Chat beim Münchner Beck Verlag

In Bayern

Dank KI-Chat sofort das passende Buch finden

Im April 2024 führte der Münchner Beck Verlag auf seiner Website einen KI-basierten Chat ein, der einen Dialog mit seiner juristischen Datenbank ermöglicht. Nutzer:innen können damit gezielt Rechtsfragen stellen und schnelle Rechercheergebnisse erzielen. Bei der Menge an Inhalten, die Verlage und Händler verwalten, sind derartig automatisierte Tools ein Vorteil. Auch das Buchhandelsunternehmen Thalia arbeitet auf seiner Website und in der App mit einer KI-gestützten Suchfunktion, um Kund:innen ein personalisiertes Einkaufserlebnis zu bieten. So lernt die künstliche Intelligenz nicht nur die jeweiligen Vorlieben der Lesenden kennen, sondern bringt sie mit echten Buchhändler:innen zusammen, die entsprechende Empfehlungen parat haben. 



dtv ist TikTok-Verlag des Jahres

Münchner Verlag ist TikTok-Verlag des Jahres

Der #BookTok-Award in der Kategorie „Verlag des Jahres” ging im vergangenen Jahr an den dtv Verlag. Um seine über 44.400 Follower:innen zu unterhalten und neue Leser:innen zu erreichen, postet das Münchner Unternehmen auf seinem Account täglich neue Clips. Diese Videos zeichnen sich durch ihre Kürze (selten länger als 15 Sekunden), schnelle Schnitte und viel Humor aus. Es werden weltweite TikTok-Trends aufgegriffen und das Social Media Team von dtv steht fast immer selbst vor der Kamera. Mit der #BookTok-Community pflegt dtv den direkten Draht; der Verlag bindet sie auch mal bei Cover-Entscheidungen ein.



Hugendubel Logo

Humorvoll und kompetent: Hugendubel kann TikTok

Ebenfalls bei BookTok vorne mit dabei ist das Münchner Buchhandels-Urgestein Hugendubel mit über 165.000 Followern und fast 10 Millionen Likes. Marketing-Leiterin Sarah Orlandi erklärt den Erfolg mit einer Mischung aus Unterhaltung und kompetenter Beratung. Mit einem authentischen, nahbaren Auftritt auf der Plattform will sich Hugendubel auf TikTok nicht nur als Buchhandlung des Vertrauens, sondern auch als potenzieller Arbeitgeber präsentieren.



Solche Beispiele zeigen nur einige der Möglichkeiten, die Social Media und KI in Zukunft für die Buchbranche bieten. 

Quellen und nützliche Links

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