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Virtual Mixed Reality Studios

Virtual Mixed Reality Studios

Von Benedikt Frank

Bisher gab es auf die Frage, wo man eine Filmszene drehen kann, grundsätzlich drei mögliche Antworten: An Originalschauplätzen, vor Kulissen oder vor Greenscreens im Studio. Mit Virtual Mixed Reality Studios entsteht nun eine neue Möglichkeit. Sie soll die jeweiligen Vorteile der bisherigen Optionen vereinen, Filmemacher:innen neue Gestaltungsmittel geben und die Effizienz von Produktionen steigern. Von dieser Revolution der Studiotechnik können nicht nur Kinofilme und High-End-Serien profitieren.

Wie ein Mixed Reality Studio funktioniert, hat die Disney-Serie „The Mandalorian” vorgemacht, die im Star-Wars-Universum spielt. Insbesondere bei einer Science-Fiction-Produktion ist es essentiell, die außerirdischen Welten für das Publikum glaubhaft darzustellen. Früher suchte Hollywood sich dafür ein paar seltsam aussehende Felsen für den Hintergrund. Seit sich die Greenscreen-Technologie durchgesetzt hat, können VFX-Künstler:innen die Schauspieler:innen in quasi jede beliebige Landschaft beamen. Doch das hat einen Preis: Am Filmset spielen die Schauspieler:innen vor leblos grünen Kulissen und auch die Regie und die Kameraleute haben kein komplettes Bild vor sich. Der Greenscreen entfremdet die Filmkunst also von ihrem eigentlichen Produkt. Die fertige Szene entsteht erst viel später in der Postproduktion. Ein großer Aufwand, denn die Positionen von menschlichen Figuren und digitalen Objekten müssen sich ebenso wie die Beleuchtung zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen.

Ortswechsel per Knopfdruck im Mixed Reality Studio

Die Macher:innen von „The Mandalorian” versuchten darum etwas Neues. Während der ersten Staffel entwickelte die zu Lucasfilm gehörende Visual Effects Firma Industrial Light & Magic ein Virtual Studio-System, das sich heute StageCraft nennt. Die Technologie holt visuelle Effekte von der Postproduktion zurück ins Filmstudio. Statt die Bilder wie eine Collage nach dem Dreh zusammen zu puzzeln, werden digitale Szenen vorher geplant. Das macht den eigentlichen Dreh intensiver und besser kontrollierbar. Dafür türmen sich riesige Bildschirmwände sechs Meter hoch kreisförmig in einem Durchmesser von 23 Metern um eine Bühne herum. „The Volume” nennt sich diese High-Tech-Bühne. 

Ihre Bildschirme decken das gesamte Blickfeld ab. Sie können beliebige Hintergründe anzeigen. Ein paar Klicks am Computer, schon wechselt die Filmkulisse von der Stadt aufs Land, von einem kleinen Zimmer in die Weiten des Weltraums. Schauspieler:innen berichten, dass sie sich in der Mitte dieser High-Tech-Kulisse schnell wie an einem realen Ort vorkommen. Mit ein paar zusätzlichen analogen Requisiten und Kulissenteilen wird die Illusion schließlich perfekt. Immer mehr Produktionen wollen daher auf die Virtual-Studio-Technik setzen. So kündigte zuletzt etwa Netflix im November 2021 an, für den Dreh von „Avatar: The Last Airbender“ ein ähnliches Setting nutzen zu wollen.

Mixed Reality Studio: 360-Grad-Bildschirm
360-Grad-Bildschirme: Patentzeichnung zu StageCraft. | Quelle: EPO/Lucasfilm

Die Kamera fängt in diesem Setting sofort Bilder ein, die dem Endergebnis schon sehr nahekommen. Alle Objekte, auch die digitalen, sind sofort am richtigen Ort im Bildausschnitt zu sehen. Das Licht der Bildschirme sorgt für reale Umgebungsbeleuchtung und Reflexionen. Damit die Illusion funktioniert, ist es allerdings nicht damit getan, Bildschirme im Hintergrund aufzubauen. Sobald sich die Kamera bewegt, würden sonst Hintergrund und Vordergrund nicht mehr zusammenpassen. Schuld ist der sogenannte Parallaxenfehler. Um diesen zu verhindern und trotzdem Kamerafahrten zu ermöglichen, erzeugt eine Game Engine wie die Unreal Engine die Hintergrundbilder live und passt sie in Echtzeit an die Kameraposition an. 

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Die Live-Produktion von digitalen Hintergründen ermöglicht zudem ganz neue Workflows am Filmset. Sollen im Hintergrund vielleicht mehr Bäume stehen? Schneebedeckte Nadelbäume oder herbstliche Laubbäume? VFX-Artists können das Set noch während des Drehs allen Wünschen entsprechend anpassen. Wenn der Dreh es erfordert, dass ein Sonnenuntergang fünf Stunden dauert oder sich für jede Einstellung wiederholt, ist auch das kein Problem mehr. Man muss die Kameraposition kaum noch umbauen, weil sich einfach die Szene um die Kamera herumdrehen kann. Statt die Filmcrew an Drehorte zu fahren, die auf der ganzen Welt verteilt sind, holt man sich die Orte ins Studio. Ein:e Schauspieler:in kann so morgens in der Wüste drehen und nachmittags in der Arktis, ohne zu schwitzen oder zu frieren und ohne hohe Reisekosten für eine ganze Filmcrew. Eine Produktion wird so natürlich sehr effizient und reduziert nicht zuletzt auch ihren ökologischen Fußabdruck.

Bedeutung für die Medienbranche in Bayern

In Deutschland gehören die Drehbuchautorin Jantje Friese und der Regisseur Baran bo Odar zu den Vorreitern der Mixed-Reality-Studio-Technologie. Die beiden Köpfe hinter der Netflix-Serie „Dark” haben an der Hochschule für Fernsehen und Film München absolviert. Für ihr aktuelles Projekt, die Serie „1899”, ebenfalls eine Netflix-Produktion, bauten sie im Frühjahr 2021 in Babelsberg ein neues Mixed-Reality-Studio, das sie „Dark Bay“ nennen. Verantwortlich für die technische Planung und Installation war die Münchner Traditionsfirma und Spezialistin für Filmtechnik ARRI. Die Firma hatte bereits bei „The Mandalorian” die Kameratechnik gestellt. Nun haben sie eine sieben Meter hohe, 55 Meter lange, lückenlose Videowand aus insgesamt 1470 modernsten LED-Panels gebaut, die einen Dreiviertelkreis mit 23 Metern Durchmesser bildet. Darin findet sich genug Platz für eine 21 Meter breite, motorisierte Drehbühne. 

Das virtuelle Set der Serie „1899”
Das virtuelle Set der Serie „1899” wurde von ARRI geplant und installiert. | Foto: © Alex Forge/Netflix

Das nächste Großprojekt entsteht in Geiselgasteig bei München. Bis 2023 soll hier in den Bavaria Studios ein hochmodernes LED-Studio für Mixed-Reality-Produktionen entstehen. Das Projekt wird vom Konsortium „BaViPro” umgesetzt, hinter dem ARRI, die Bavaria Studios und Eyeline Studios Munich stehen. Gefördert wird das mit 5,4 Millionen Euro veranschlagte Projekt vom Bayerischen Staatsministerium für Digitales mit 2,7 Millionen Euro.

Virtual Production für TV, Fotografie und Events 

Eine gute halbe Stunde Autofahrt von den Bavaria Studios im Süden Münchens nach Ismaning im Norden der Stadt, steht eine andere Mixed-Reality-Lösung. Auch hier ist ARRI beteiligt. Zusammen mit dem Broadcasting-Anbieter PLAZAMEDIA entwickelt man dort Lösungen, um die für Film und Serien entwickelte Mixed-Reality-Technik für TV-Produktionen anzupassen und nutzbar zu machen. Die Dimensionen der Videowand sind mit fünf Metern Höhe und 23 Metern Länge kleiner als in Babelsberg. Dafür sind in Ismaning auch Live-Übertragungen möglich und angedacht, was das Studio in dieser Form zum Pilotprojekt macht.

Die Geschäftsführer von ARRI Stephan Schenk (links) und PLAZAMEDIA Jens Friedrichs (rechts) im Ismaninger Mixed-Reality-Studio.
Die Geschäftsführer von ARRI Stephan Schenk (links) und PLAZAMEDIA Jens Friedrichs (rechts) im Ismaninger Mixed-Reality-Studio. | Foto: ARRI/PLAZAMEDIA

Und auch andere Medien neben Film und Fernsehen können von Virtual Studios profitieren. Die Feldkirchner Firma Fournell Showtechnik hat sich auf Veranstaltungen spezialisiert. Als Rental-Partner bietet sie dem Design- und Planungsbüro TFN, den Kreativ Studios NSYNK und der Produktionsfirma ACHT mit der Hyperbowl auf dem Münchner Messegelände ein Virtual Studio an, das sich auch für Live-Events und hybride Veranstaltungen nutzen lässt. Hier wurden unter anderem bereits neue Autos für die Werbung wirksam in Szene gesetzt. Auch Fotograf:innen können ein solches Studio nutzen, um schnell natürlich wirkende Hintergründe zu wechseln und dabei die Lichtverhältnisse absolut zu kontrollieren – ideale Bedingungen, nicht nur für die Modefotografie. Das Theater und die Oper, jede performative Kunst, kann die Mixed-Reality-Technologie nutzen und mit ihr nie dagewesene Bühnenkonzepte realisieren. Die Technologie steht bereits zur Verfügung. Jetzt ist es an den Kreativen, sie zu nutzen.

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