Warum Arbeiterkinder die Zukunft der Medienbranche sein könnten
Von Manon Harenberg, 07. November 2024
Die Medienlandschaft braucht neue Perspektiven und Impulse: Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig, viele Redaktionen suchen händeringend nach neuen Talenten. Doch warum fällt es der Branche so schwer, geeignete Mitarbeitende zu finden? Eine mögliche Antwort lautet: Sie sucht zu oft an den immer gleichen Orten. Arbeiterkinder und Menschen aus nicht-akademischen Haushalten bringen häufig wertvolle Fähigkeiten wie Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Durchhaltevermögen mit – doch ihr Potenzial wird oft übersehen.
Beim Panel „Mehr Arbeiterkinder in die Medien: Für Perspektivenvielfalt, gegen Fachkräftemangel“ der Medientage München 2024 tauschten sich Expert:innen darüber aus, warum es an der Zeit ist, dass die Medienbranche ihre Rekrutierungsstrategien überdenkt. Unter der Moderation von Lukas Schöne (MedienNetzwerk Bayern) diskutierten Journalistin Franziska Mozart, Laura Bohné (Bayerischer Rundfunk) und Katarzyna Karpinska (Deutsche Journalistenschule) die Vorteile sozialer Vielfalt, stellten konkrete Maßnahmen vor und warfen die Fragen auf: Wie schaffen wir es, mehr Arbeiterkinder in die Medien zu holen? Und warum brauchen wir überhaupt mehr Arbeiterkinder in den Medien?
Perspektivenvielfalt als Schlüssel für mehr Medienvertrauen
Eine erste Antwort liefern aktuelle Zahlen der Langzeitstudie „Medienvertrauen“ der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Sie zeigt, dass sich ein erheblicher Teil der Bevölkerung in den Medien nicht repräsentiert fühlt. Viele Menschen sehen ihre Themen kaum abgebildet. Somit ist die Relevanz von Vielfalt nicht nur ein ethischer Imperativ, sondern auch eine geschäftliche Notwendigkeit. „Natürlich ist es nicht das Allheilmittel, einfach ein paar Arbeiterkinder einzustellen. Aber mehr Perspektiven können Teil der Lösung sein und dazu beitragen, dass die Medien wieder näher an die Gesellschaft heranrücken“, erklärte Lukas Schöne zu Beginn des Panels. Die Perspektivenvielfalt durch Arbeiterkinder könnte entscheidend dazu beitragen, das Vertrauen in die Medien wieder zu stärken. Doch wie schafft es die Branche, diese Zielgruppe anzusprechen und in den Medien zu halten?
Erste Hürden: Zugang und Einstiegsbarrieren
„Der Zugang zu Medienberufen ist für viele Menschen erschwert, besonders für diejenigen, die aus einem nicht-akademischen Umfeld kommen“, erklärte Franziska Mozart. Sie ist Autorin des Berichts „Zugang erleichtern: Ein Ratgeber zur Förderung von Arbeiterkindern in den Medien“. Der Report, der auf zwei Round Tables der Initiativen MedienNetzwerk Bayern, Start Into Media und XPLR: MEDIA in Bavaria basiert, beleuchtet die strukturellen Hürden, denen Arbeiterkinder in der Branche begegnen und zeigt mögliche Lösungsansätze auf.
Mehr Arbeiterkinder in die Medien
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Die Herausforderungen für Arbeiterkinder beginnen früh. Praktika sind in vielen Fällen Voraussetzung für den Berufseinstieg, doch sie sind häufig schlecht bezahlt und erfordern teils den Umzug in eine teure Stadt. „Ein Lebenslauf voller Praktika spiegelt oft weniger die Begabung als finanzielle Ressourcen wider,“ betonte Mozart. Eine grundlegende Umstrukturierung des Bewerbungsprozesses wäre ein möglicher Weg. „Wir sollten uns fragen, wie wir Hürden abbauen können.“ Denn die aktuell hohen Anforderungen bei Praktika schließen oft diejenigen aus, die auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Stipendien und ausreichend bezahlte Praktika wären Instrumente, um diesen Einstieg zugänglicher zu machen.
Nach der Einstellung beginnt die Arbeit: Eine langfristige Integration
Auch wenn Arbeiterkinder eingestellt werden, ist damit noch nicht alles getan. „Ein diverseres Team ist nur der Anfang – danach beginnt der eigentliche Wandel“, betonte Mozart. Es müsse eine Unternehmenskultur geschaffen werden, die Arbeiterkinder nicht dazu zwingt, sich anzupassen und ihre Hintergründe zu verschweigen. Denn für viele ist soziale Herkunft nach wie vor ein schambehaftetes Thema, das sie selten offenlegen. Eine mögliche Lösung: Ein Mix aus gezielten Mentoring-Programmen und einem offenen Austausch. Denn gerade soziale Herkunft ist oft unsichtbar – es braucht Vorbilder, die offen darüber sprechen. „Arbeiterkinder brauchen Vorbilder in Führungspositionen, die zeigen, dass ihre Perspektiven willkommen sind,“ erklärte sie.
Es reicht nicht, Diversität nur in Einstiegspositionen zu fördern. Wir brauchen Arbeiterkinder auch in leitenden Positionen.
Franziska Mozart, freie Journalistin
Perspektivenvielfalt als Mehrwert für die Medienbranche
Mehr soziale Diversität in den Redaktionen ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern bringt auch konkrete Vorteile für die Medienhäuser. „Arbeiterkinder und andere soziale Aufsteiger bringen frische Perspektiven und Fähigkeiten mit, die klassische Teams oft nicht haben,“ so Mozart. Diese neue Vielfalt kann die Berichterstattung erweitern, relevante Themen sichtbar machen und die Medien näher an die Gesellschaft heranführen. Dabei gehe es um eine authentische Darstellung verschiedener Lebenswelten, beschrieb Schöne. „Mehr Perspektiven können die Medienbranche für neue Zielgruppen öffnen und ihre Glaubwürdigkeit stärken.“
Erfahrungen aus der Praxis: PULS Talente Programm und die Deutsche Journalistenschule
Im Anschluss an die Vorstellung des Ratgebers gaben Laura Bohné, Leiterin des PULS Talente Programms beim BR, und Katarzyna Karpinska, Projektleiterin der Workshop-Reihe „Du Kannst Journalismus“ der DJS, Einblicke in ihre Programme. Beide Initiativen setzen sich gezielt dafür ein, Arbeiterkinder und Menschen mit vielfältigen Hintergründen für den Journalismus zu begeistern und langfristig in der Medienbranche zu etablieren. „Es macht unseren Content und unsere Zusammenarbeit besser, es verändert unsere Unternehmenskultur und es schafft Repräsentanz“, fasste Bohné zusammen.
Niedrigschwellige Einstiege schaffen
Ein zentrales Ziel des PULS Talente Programms ist es, Menschen den Einstieg in die Medienwelt zu ermöglichen, die sonst keine Chance auf eine journalistische Laufbahn hätten. Das einjährige Programm setzt auf niedrigschwellige Einstiegswege und ermöglicht den Trainees, praktische Erfahrungen in verschiedenen Redaktionen zu sammeln – ganz ohne journalistische Vorerfahrung. Zudem erhalten die Trainees den gleichen Tarif wie Volontär:innen, was es ihnen ermöglicht, sich ein WG-Zimmer zu leisten und am sozialen Leben teilzunehmen. „Wir möchten verhindern, dass Menschen aufgrund finanzieller Hürden von der Branche ausgeschlossen werden“, erklärte Bohné.
Auch „Du Kannst Journalismus“ setzt auf einfache Zugangsmöglichkeiten: Das Projekt bietet Workshops in ganz Deutschland an und richtet sich gezielt an Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen. Dazu gehöre auch, die Veranstaltungen in kleineren Städten und ländlichen Regionen anzubieten, um dien Perspektiven zu erreichen, die in Metropolen oft nicht präsent sind. „Es geht darum, Medienberufe überhaupt erst auf die Landkarte zu setzen,“ so Karpinska. „Die Teilnehmenden wissen oft nicht, dass sie die Möglichkeit haben, journalistisch tätig zu werden. Die Workshops geben ihnen das nötige Selbstvertrauen.“
Langfristiger und nachhaltiger Kulturwandel
Sowohl Bohné als auch Karpinska unterstrichen die Wichtigkeit von Repräsentation und Vorbildern in der Medienbranche. Durch das Alumni-Netzwerk des PULS Talente Programms und die Vorbilder im Projekt „Du Kannst Journalismus“ können neue Talente mit diversen Hintergründen sehen, dass sie nicht allein sind.
Repräsentation ist entscheidend: Man muss Menschen zeigen, mit denen sich andere identifizieren können, damit die Hürden für den Einstieg sinken.
Laura Bohné, Bayerischer Rundfunk
Doch auch wenn der Einstieg gelingt, bleibt die langfristige Integration der Teilnehmenden eine Herausforderung. „Es reicht nicht, die Talente für ein Jahr bei uns zu haben – es geht darum, sie langfristig und auf Augenhöhe in den Redaktionen zu etablieren“, so Bohné. Besonders wichtig sei dabei die Unterstützung der Führungskräfte und die Offenheit der Redaktionen, die Talente in feste Positionen zu übernehmen.
„Wir stehen am Anfang eines Weges,“ sagte Moderator Lukas Schöne abschließend. „Aber mehr Diversität auf allen Ebenen ist entscheidend.“ Der Appell an die Branche: Vielfalt ist kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist. Es muss ein kontinuierlicher Prozess sein, der sich auch in der Führungsetage widerspiegelt. Nur so kann langfristig eine inklusive und repräsentative Medienlandschaft geschaffen werden.