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Wenn die Garderobe zum Nachrichtensprecher wird

Von Stefanie Heyduck

Das Projekt „Ambient News“ will die digitale Informationsflut eindämmen und auf das Verhalten der Nutzer anpassen. Im Interview mit dem MedienNetzwerk Bayern spricht Soenke Schierer vom HHLab über die Nachrichten der Zukunft.

Herr Schierer, was genau ist Ihre Aufgabe bei HHLab?

Soenke Schierer: Ich bin Redakteur für Ambient News. Wobei der Begriff Redakteur ein bisschen verwirrt. Ich erstelle nämlich nur selten Inhalte. Dafür mache ich ziemlich viele andere Sachen. Unter anderem bin ich für die Organisation unserer Testgruppen zuständig und bin für die Menschen, die unsere Prototypen ausprobieren, erster Ansprechpartner. Außerdem organisiere ich interne Projekttreffen zwischen den beteiligten Parteien an Ambient News und bin an der Organisation des Bug-Fixings beteiligt. Auch an der Entwicklung der Ideen wirke ich mit. Wenn ich so richtig darüber nachdenke, habe ich fast überall meine Finger mit im Spiel.

Was sind Ambient News?

Schierer: Das sind Inhalte, die den User immer zur richtigen Zeit am richtigen Platz und in der richtigen Art und Weise erreichen. Über welchen Weg ist dabei zweitrangig. In der Theorie können das natürlich Smartphone oder Tablet sein – aber genauso das Display auf dem Kühlschrank, der Badezimmerspiegel, eine sprechende Garderobe oder, wie bei unserem aktuellen Prototypen, die Raumbeleuchtung. Eben alles, was online ist.

Handelt es sich vorwiegend um eine Benachrichtigungstechnologie oder arbeiten Sie auch an neuen Methoden, wie wir in Zukunft unsere Nachrichten konsumieren?

Schierer: Uns geht es primär darum, herauszufinden, wie Inhalte in Zukunft konsumiert werden. Ambient News ist also keine wirkliche Technologie, sondern ein Verhalten. Und zwar auf zwei Seiten. Da ist auf der einen Seite der Konsument und sein Nutzerverhalten. Auf der anderen Seite sind wir, als Anbieter von Inhalten. Wir müssen lernen, wann und wie der User eine Information wo nutzen will und uns dann überlegen, wie sich der Inhalt verhalten muss, um alle Bedürfnisse zu erfüllen.

Heute werden Nachrichten bereits durch Themennewsletter, Whatsapp-Gruppen und App-Notifications gefiltert. Was machen Ambient News anders?

Schierer: Das größte Problem des Ist-Zustands ist, dass zwar der Ausspielkanal vorfiltert, aber die Anbieter nicht wirklich den Content dem jeweiligen Kanal auf den digitalen Leib schneidern. Genau dort liegt jedoch das Potenzial. Wir versuchen, möglichst viel über das Nutzerverhalten herauszufinden. Darauf basierend erstellen wir Szenarien, die uns helfen, die Menschen richtig zu erreichen.

Ein Beispiel: Da ist der Familienvater, der jeden Morgen vor der Arbeit die zwei Kinder fertigmachen muss, mit dem Nachwuchs frühstückt und ihn danach in die Kita bringt. Seine Frau kann ihm aufgrund Ihrer Arbeitszeiten nicht helfen. Der Familienvater ist an Nachrichten interessiert und deshalb bei News-Apps und Portalen angemeldet. Wenn nun ein hochrangiger Politiker etwas scheinbar Wichtiges von sich gibt, legen alle Endgeräte des Mannes los, senden  Push-Nachrichten oder geben Geräusche von sich.

Aber erreicht den Familienvater in seiner Stresssituation diese Nachricht wirklich? Wäre es nicht wichtiger, ihm nur kurz mitzuteilen, dass es für ihn gerade keine unmittelbar entscheidende Info gibt, sondern lediglich etwas, das er als interessierte Person wissen sollte aber auch später konsumieren kann? An genau solchen Punkten setzen wir mit unseren Überlegungen an. Wir nennen das Digital-Detox.

Wie weiß das System, welche Nachricht für mich zu welcher Zeit besonders relevant ist?

Das weiß das System durch das jeweilige Profil, das sich jeder Nutzer selbst einstellt. Dazu gehören Faktoren wie zum Beispiel regelmäßige Wege und Zeiten – aber auch Entspannungs- und Ruhephasen. Das bedeutet nicht, dass wir den User mit der Auswahl seiner Inhalte ganz allein lassen. Natürlich wird es immer Situationen geben, in denen unsere Redaktion entscheidet, dass etwas unausweichlich wichtig ist. Dann teilen wir dem User das auch mit.

Welche Geräte unterstützen heute schon Ambient News?

Schierer: Wir befinden uns mit Ambient News noch weit am Anfang der Entwicklung. Das bedeutet, dass wir noch keine fremde Hardware nutzen oder bespielen. Wir arbeiten mit Prototypen, die wir selbst entwerfen und einzelnen Testgruppen zur Verfügung stellen. Wir, und damit meine ich uns, aber auch die ganze Branche, müssen noch besser verstehen, wie sich Nachrichten und Inhalte sinnvoll in den Alltag der User integrieren lassen.

Welche Einsatzszenarien für Ambient News sind für Sie vorstellbar?

Schierer: Unendlich viele, wenn ich daran denke, wie viele Alltagsgegenstände heute bereits online sind oder sein könnten. Jedes dieser Geräte ließe sich nutzen, um zumindest eine Grundinformation zu vermitteln. Wir arbeiten zum Beispiel mit Licht. Wlan-fähige Glühbirnen sind schließlich Massenware. Damit lässt sich problemlos eine Grundstimmung vermitteln, wenn ich nur kurz eine einzige Lampe in dem Raum einfärbe, in dem sich eine Nutzerin oder ein Nutzer aufhält.

Aktuell umfasst unser Test-Farbspektrum drei Farben. Blau bedeutet: alles ist gut und die Nachrichtenlage ist ruhig. Wenn der User nicht will, muss er keine Inhalte konsumieren. Gelb dagegen sagt: da ist eine Information für dich, die zwar nicht entscheidend ist, aber wir denken, dass sie dich interessiert. Violett dagegen bedeutet, dass es für den jeweiligen User relevante Infos gibt.

Klar muss die eigentliche Information dann auf einem anderen Kanal konsumiert werden. Aber für uns ist auch die Grundinformation über die Nachrichtenlage eine relevante Nachricht. Ganz besonders, wenn ich an die Detox-Idee denke. Das Prinzip kann ich mir auf ganz vielen anderen Alltagsgegenständen vorstellen. Wenn meine Ambient News wissen, wann ich mit welchem Verkehrsmittel wohin muss, warum sollte dann nicht einfach mein Rollladen ein bisschen früher hochgehen, wenn es mal wieder einen Stau gibt oder die Bahn nicht richtig fährt? Schon ist mein Rollladen ein Teil meiner Ambient News.

Welche Szenarien sind besonders sinnvoll?

Schierer: Jedes Szenario, das die Menschen wieder mehr Nachrichten konsumieren lässt, ist sinnvoll. Dass die Nutzerinnen und Nutzer nur noch bedingt Interesse an einer gedruckte Zeitung oder klassischen Online-Plattform haben, ist keine neue Erkenntnis. Wenn es irgendeine andere Möglichkeit gibt, Informationen zu vermitteln, sollte man sie ausprobieren. Schließlich sind Nachrichten die Grundlage für mündige Bürgerinnen und Bürger. Und die braucht unsere Gesellschaft.

Wann könnte die Technologie tatsächlich im Einsatz sein?

Schierer: Wir gießen derzeit das Fundament, auf dem wir aufbauen wollen. Zuletzt standen 60 unserer Prototypen in Haushalten in Schleswig-Holstein und Hamburg. Jeder Prototyp besteht aus einer Wlan-Glühbirne und einem smarten Display. Je nach Nachrichtenlage färben wir die Lampe ein. Das ist das Signal für den Nutzer, sich zu informieren. Er stellt sich vor das Display, das in Folge die jeweilige Nachricht anzeigt. Damit versuchen wir herauszufinden, ob es funktioniert, über Licht eine Grundsatzinformation zu vermitteln.

Wie bringt dieses Projekt die Medienbranche weiter?

Schierer: Jedes Projekt, das über den Tellerrand hinausschaut, bringt die Branche weiter. Leider wird viel zu oft nur verwaltet, was vorhanden ist. Man schaut, welche Inhalte man liefern kann und welche Kanäle auf dem Markt sind. Dann wird das Vorhandene in die jeweilige Form gepresst in der Hoffnung, dass es konsumiert wird. Deshalb ist Journalismus oft auch nur bedingt innovativ. Da hilft jeder, der in die Breite denkt, und jede Idee, die anders ist.

Am 6. Dezember 2018 spricht Soenke Schierer bei der Fachkonferenz media meets SMART HOME im Haus der Bayerischen Wirtschaft.

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