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Paneldiskussion beim Media Date "Future of Search"

Wie KI die Suche und Reichweitenmodelle verändert

von Petra Schwegler, 25.07.2024

Die Google-Suche, wie wir sie seit mehr als zwei Jahrzehnten kennen, steht vor einer Neuordnung. Damit gerät so manches digitale Geschäftsmodell von Medienhäusern unter Druck. Denn KI-Suchmaschinen verdrängen die bekannten Suchergebnisse in Form von Linklisten mit kurzen Vorschautexten auf ihre Inhalte zugunsten von ausführlichen Antworten, die generative KI erstellt. Bei unserem Media Date wurde die Frage nach „Future of Search“ von Expert:innen nicht eindeutig beantwortet. Nur so viel: Die KI-Suche sorgt für umfassendes Umdenken.

Traffic-Destroying Nightmare“: So titelte das Wall Street Journal Ende 2023 in einem Bericht über die Reaktion der US-Publisher, als bekannt wurde, dass Suchmaschinengigant Google sein Kernprodukt mit künstlicher Intelligenz optimieren möchte. 

Seither ist viel passiert. Diverse Startups wie Perplexity oder phind wollen mit Hilfe von KI-Antworten gegen die Dominanz des Digitalriesen bei der Websuche antreten. Google schwenkt aber auch selbst auf diesen Kurs der neuen KI-Suchmaschinen ein. Kurze Antworten auf Fakten-Fragen gab es über den ausgespielten Linklisten schon lange. Seit einigen Monaten liefert Google nun ebenfalls Texte mit teils längeren Absätzen.

Krischan Lehmann über die Veränderungen durch KI in der Suche

Ein Umbau mit enormer Strahlkraft, wie die vom Wall Street Journal beschriebene Reaktion der Medienhäuser mit ihren Reichweitenmodellen bereits deutlich machte: Publisher haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf das Google-Suchangebot eingespielt.

„Search ist die wichtigste Quelle für den Traffic von Medienseiten“, betonte Digitalexperte Krischan Lehmann von der Denkfabrik 1E9 beim Media Date „Future of Search“. Je nach Quelle wird der Anteil der Zugriffe, die Medienseiten von Google bekommen, auf etwa 30 bis 60 Prozent ihrer gesamten Reichweite geschätzt. Aus den USA kommen Zahlen, wonach Publisher durch den Umstieg der Menschen auf KI-Suche einen Verlust von bis zu 75 Prozent des Search Traffics befürchten.

Entsprechend hoch ist auch die Angst vor Umsatzverlusten. Denn Verlage, Sender oder Bewegtbildmarken koppeln unter anderem ihre Werbeerlöse an die Reichweite, die sie durch verbesserte Suchergebnisse zu steigern versuchen. Noch scheint dieses Reichweitenmodell trotz massiver Veränderungen im Search-Ökosystem nicht am Ende zu sein, der „Albtraum“ lässt noch auf sich warten. Und Search-Anbieter wie Microsoft mit Bing erwarten laut Krischan Lehmann weiteres Wachstum bis 2030 im hohen zweistelligen Prozentbereich. 

Die Qualität der Google-Suche sinkt. Das ist ein fruchtbarer Boden für neue Anbieter der KI-Suche.

Krischan Lehmann, 1E9

Dennoch: Der Umbau ist in vollem Gange. Der rege Einsatz von KI führt zudem dazu, dass die Zahl der minderwertigen Inhalte im Netz zunehmen. Spam, leere Seiten und zu viele Empfehlungslinks von Affiliate-Partnern wiederum verschlechtern die Suchergebnisse aller Anbieter und ebnen den neuen KI-Suchmaschinen den Weg, indem sie als Alternative detaillierte Texte auf Basis generativer KI liefern. Hinzu kommt, dass sich die Internetsuche der nachwachsenden Generation verändert. 1E9-Manager Lehmann verwies darauf, dass bereits 21 Prozent der 18- bis 24-Jährigen ihre Websuche über TikTok starten, weitere fünf Prozent auf YouTube. 

Wie Medienhäuser mit der KI-Suche umgehen

Einig waren sich die Expert:innen in der Diskussionsrunde darüber, dass sich die Internetsuche verändert. Doch über den Grad des Umbaus und die Auswirkungen wurden unterschiedliche Sichtweisen und Haltungen deutlich. „Eine gewisse Aufgeregtheit schadet sicher nicht, gerade weil ein Medienhaus sich in großer Abhängigkeit von digitalen Playern befindet“, räumte Katharina Happ ein. Sie wirkt beim Verlagshaus Funke als Editor & Specialist AI Integration. Ein Medienhaus, das auch „Riesenchancen“ für Publisher dank der KI-Antworten zur Websuche erblickt. So könnten fragmentierte Fragen und Interessen von Leser:innen bedient werden. 

Funke gehört zu den deutschen Konzernen, die „KI-Chatbots“ in ihr Gehege lassen. Will heißen: Um ihre Modelle zu trainieren, brauchen die KI-Unternehmen hochwertige Inhalte. Zu den Hauptquellen für diesen Content gelten die Seiten der Medienhäuser, die mit „Crawlern“ durchforstet werden können. Publisher können sich dem über entsprechende Einträge ihrer Webseiten verweigern. Funke gehört laut Happ zu jenen Publishern, die kein „Disallow“ aussprechen. Dafür wird per Impressum das ungefragte Datamining der KI-Anbieter untersagt. Alles wegzusperren sei auch eine Frage von „Findet man dann überhaupt noch irgendwo statt?“, betonte Happ.

Es wird bei Funke den einzelnen Marken überlassen, ob sie KI-Bots aussperren oder nicht.

Katharina Happ, Funke

Markus Knall über die veränderte Internetsuche durch KI

Markus Knall, Editor in Chief und Director Content bei Ippen Digital, wies beim Media Date auf die Gefahr für Publisher hin, mit dem Abgreifen von wertvollen Daten durch Dritte gegenüber Leser:innen Verkaufsargumente für unverwechselbare Produkte aus dem eigenen Haus zu verlieren. Stichwort „Mensch-gemachter Content“. „Daher halten wir die Daten erst einmal vor, um sie zunächst für unsere Nischen zu nutzen – trotz des Risikos, dann irgendwann bei Perplexity oder Google nicht mehr vorzukommen“, sagte Knall, der im Netz bekannte Marken wie FR.de, Buzzfeed oder Merkur Online verantwortet. Den KI-Bots steht bei Ippen die Regel gegenüber, mit unternehmenseigenen Daten „extrem sensibel“ umzugehen, wie es der Digitaljournalist beim Event formulierte.

Ein Absender, der unabhängig von Werbeerlösen handeln kann und aufgrund der Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag einen besonderen öffentlichen Auftrag zu erfüllen hat, ist der Bayerische Rundfunk in München. Im ARD-Sender leitet Ulrike Köppen die journalistischen KI- und Datenteams. Entsprechend offen fiel ihre Antwort auf die Frage nach der Haltung gegenüber Datamining auf den BR-Seiten bei der Veranstaltung aus.

Die ARD lässt derzeit für den Free Flow of Information crawlen.

Ulrike Köppen, Bayerischer Rundfunk

Beruflich wie privat nutze sie die KI-Suche intensiv, so Köppen. Allerdings wies sie auf Veränderungen hin: „Ich bemerke, dass sich der Link ein bisschen entwertet.“ Denn die Antworten auf Suchanfragen würden durch künstliche Intelligenz besser. Das Interesse der Nutzer:innen, über Links der Suchergebnisse auf die Ursprungsseiten zu kommen, würden in einem gewissen Rahmen reduziert. Die BR-Managerin relativierte dennoch. Noch stünden sehr viele offene Fragen im Raum. Fehlerhafte Suchergebnisse, wie sie etwa auch Google mit KI gegeben hatte, führten bereits zu diversen Rückzügen. 

Köppen riet zu Optimismus: „Diese Disruption wird zwar stärker empfunden als andere, doch sie bietet auch sehr viele Chancen.“ Dass Schnittstellen und Content Pools des BR vor der Begutachtung durch KI-Bots stehen, mache laut Ulrike Köppen nun „endlich“ für alle Seiten klar, dass sich ein Medienhaus intensiv um seinen Webauftritt kümmern muss. 

KI-Bots sollten ausgesperrt werden, wenn sie Seiten so heftig crawlen, dass sie überlastet werden.

Nora Taubert, Seokratie

Nora Taubert über die veränderte Internetsuche durch KI

Tiefes Wissen zu den Auswirkungen durch die KI-Suche lieferte Nora Taubert, Teamleiterin SEO bei den Münchner Spezialist:innen von Seokratie. Zunächst einmal bestätigte sie beim Media Date, dass sich in den vergangenen Monaten die „algorithmischen Details“ der Internetsuche sehr verändert hätten, insbesondere beim Platzhirschen Google. Taubert: „Google liefert dank KI inzwischen recht holistische Ergebnisse und nicht mehr nur Text. Und das ist sehr unterschiedlich für verschiedene Suchbegriffe.“

Auch sie legte Medienanbietern nahe, Ruhe zu bewahren. Die SEO-Kennerin verwies auf die Google-Historie, in der im Lauf der Jahre viele Neuerungen nach Misserfolgen auch wieder vom Markt genommen werden mussten.  Des Weiteren wollte Nora Taubert die neuen KI-Suchmaschinen nicht überbewerten: „Es stecken viele Daten und viel Energie dahinter. Die Suche mithilfe künstlicher Intelligenz ist deshalb teuer und muss sich monetarisieren.“ Zudem könne jede:r an sich selbst beobachten, dass nach hochwertigen Informationen oft direkt über Nachrichten-Apps und verlässliche Quellen gesucht würde.

Die Ruhe vor dem KI-Search-Sturm?

Verwundert zeigte sich 1E9-Manager Wolfgang Kerler, der die Diskussionsrunde beim Media Date moderierte, wie sich die Medienvertreter:innen und die SEO-Spezialistin auf einer zehnstufigen Skala von „entspannt bis panisch“ in der ruhigeren Hälfte einsortierten. Der Mittelwert von „4“ könnte sich dadurch erklären, dass sich alle Anwesenden sehr selbstbewusst gegenüber dem KI-Ökosystem präsentierten. 

Fakt ist: Sie können ihre Seiten in der Regel dem Zugriff durch KI-Bots entziehen. Daneben zeichnet sich für die KI-Suche eine Zukunft ab, in der Informationen auf Basis von fragwürdigen KI-Texten ausgeliefert werden – die sich eben nicht mehr aus fundiert recherchierten Inhalten speisen.

Wer nicht kooperiert und zusammenarbeitet, wird es echt schwer haben.

Markus Knall, Ippen Digital

Allein daraus mag die Zuversicht der Media-Date-Expert:innen nicht resultieren: Laut Ippen-Manager Markus Knall haben sich Medienhäuser ein Stück weit autark gemacht. „Wir haben gemeinsam mit anderen Publishern ein Netzwerk gebaut. Ein Viertel unseres Traffics kommt inzwischen von Seiten, die gar nicht zu Ippen gehören.“ Ippen Digital gehört zu jenen Partnern, die mit dem von Köppens BR-Team lancierten AI for Media Network zusammenarbeiten. Gemeinsam stemmen sich die klassischen Medienhäuser gegen den KI-Search-Sturm. Das wurde beim Media Date deutlich. 

Markus Knall, Nora Taubert, Katharina Happ und Uli Köppen über die veränderte Internetsuche durch KI

Wie steht es um bessere Suchergebnisse durch einen Schulterschluss mit der KI-Branche? Ein Beispiel ist die Kooperation zwischen dem  Springer-Konzern und dem US-KI-Lieferanten OpenAI. Sie sieht den Datenkauf fürs Training von ChatGPT und Co. vor. Für Markus Knall möglicherweise ein „schlechter Deal mit einem einseitigen Gewinn“. Das deutsche Medienunternehmen könne immerhin auf einen Technologie- und Know-how-Transfer durch die Partnerschaft hoffen.

Die Funke-Vertreterin Katharina Happ wollte dagegen ein vergleichbares Zusammengehen im Bereich KI nicht ausschließen. Doch gab sie zu bedenken: „Eine Premium-Verlinkung wird nicht zu einem Premium-Reibach führen.“

Dass Search nicht alles ist, hob Ulrike Köppen hervor. Dem BR liege in erste Linie daran, die Communities an sich zu binden und auf den Seiten zu halten. Das sei oft sehr viel besser mit „alten Tugenden“ möglich. Sie nannte als Beispiele Newsletter oder WhatsApp-Gruppen, die seit einiger Zeit ein Revival erleben.

Generell gilt: Daumen hoch für sinnvollen KI-Einsatz!

Klar waren beim Media Date die Visionen, als es um den generellen Einsatz von KI ging. Beim BR etwa schätzt man es laut Ulrike Köppen, dank KI schneller und treffsicherer auf kritische Kommentierungen von Netzinhalten reagieren zu können. Im Printhaus Funke fokussiert das Team um Katharina Happ neue Content-Formen auf den verschiedensten Kanälen, um neue und auch sehr spitze Zielgruppen besser ansprechen zu können. Dank KI auch sehr kostengünstig.

Markus Knall lieferte zum Abschluss einen spannenden Ausblick: „Sprachmodelle wie ChatGPT haben das Potenzial, Versionen von Inhalten zu schaffen, die wir uns früher nie vorstellen konnten. Wir können künftig für wenig Geld sehr persönliche Inhalte gestalten. Diese ‚Versionierung‘ wird den Journalismus verändern. Ich lese in Zukunft meine Version von Information. Das ist die eigentliche Revolution durch KI.“

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Ein paar Impressionen vom Media Date

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