
Wo uns KI klug unterstützen kann
Von Petra Schwegler, 02. April 2025
Mit künstlicher Intelligenz verändert sich die Arbeit in der Medienbranche rasant. Praktische Anwendungen, neue Projekte, Trends und Fragen, die es für ein Fair-Play im Ökosystem zu klären gilt, standen im Mittelpunkt des ersten KI-Camps im MedienNetzwerk Bayern Thinktank.
Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass sich die beiden Gründer der Münchner Denkfabrik 1E9 Gedanken darüber machten, welche Auswirkungen die rasche KI-Weiterentwicklung auf ihre junge Firma und auf die Medienbranche haben könnte. Heute stehen Krischan Lehmann und Wolfgang Kerler dem MedienNetzwerk Bayern Thinktank beratend zur Seite. Zum Auftakt des ersten KI-Camps in den Räumen der Medien.Bayern-Initiative gab Lehmann einen Ausblick, welche Trends im Bereich der künstlichen Intelligenz das inzwischen riesige und globale Ökossystem prägen:
- KI wird multimodal und maximal mimetisch: Videos oder Bilder wirken inzwischen sehr naturgetreu.
- KI wird zunehmend transformativ: Ob Ton, Text, Bild, Clip: KI-Ergebnisse lassen sich neu kombinieren, remixen, verwandeln.
- KI wird handlungsfähig: Dafür sorgen AI Agents und ihr neuer Schnittstellen-Standard, das Model Context Protocol (MCP). Die Folge: „KI wird flügge und beginnt, sich mit allen möglichen Datenquellen zu vernetzen.“
- KI wird persönlich: Aus unser aller Daten im Netz kann KI „digitale Zwillinge“ formen. Krischan Lehmann nennt die Marke H&M als Beispiel, das Kampagnen zweiteilt – echte Models auf dem Foto, ihre Avatare in diversen Social Clips.
- KI wird zunehmend adaptiv und prädiktiv: Die Tools passen sich hochdynamisch an unser Tun und Handeln an, beispielsweise bei einer Echtzeit-Profilerstellung während des Mediatheken-Besuchs.
Wie KI die Kommunikationsbranche mit klugen Anwendungen entscheidend verändern kann, das machten diverse Workshops im Rahmen des MedienNetzwerk-Bayern-KI-Camps deutlich. Hier ein Überblick:
- KI dreht bei Serien und Filmen mit
- KI schafft neue Kolleg:innen
- KI erleichtert Verlagsarbeit
- KI unterstützt den Redaktionsalltag
- KI verändert Search, hilft aber bei der „SEO“ der Zukunft
- KI kann einheitliche Markenarbeit unterstützen
- KI kann hauseigene Prozesse vereinfachen – aber wo genau?
- KI sorgt aber auch für Bedenken …
KI dreht bei Serien und Filmen mit
Bei der Workshop-Session von Tobias Huber aus den Storybook Studios wurde deutlich, wie schnell sich KI-Tools weiterentwickeln und wie schlagkräftig die Kombination verschiedener Anwendungen ist. Die Münchner haben sich als Vorreiter auf KI-Filmproduktion spezialisiert und mit „Space Vets“ inzwischen als erstes Produktionshaus eine originäre KI-Serie in Arbeit. Fürs Skript kommt neben menschlichen Autor:innen beispielsweise Claude zum Einsatz, am Style wirkt MidJourney mit, die Audio-Bearbeitung liegt unter anderem bei ElevenLabs, Musik-Komposition unterstützt Udio. Laut Huber gibt es für die Arbeit bei Storybook „eine gigantische Anzahl an Tools, die wenigsten sind bekannt“. Allein der März hat demnach mit der neuen ChatGPT-Variante viele Neuerungen und Verbesserungen für die KI-Produktion gebracht. Ein Kodex liefert die Leitplanken für die KI-Arbeit und faires Prompten, Copyright wird groß geschrieben.
KI schafft neue Kolleg:innen
Katharina Happ, die bisher für Funke-Teams ihr KI-Wissen eingesetzt hat und ab April die Redaktion von Web.de unterstützt, beschwor beim KI-Camp die Vorteile von CustomGPTs.
Die individuell erstellten KI-Helferlein seien ohne Programmierkenntnisse umzusetzen, ideal für Pilotprojekte oder Tests, immer wieder flexibel anpassbar, lieferten allgemein zugängliches Fachwissen oder Leitlinien in Teams oder ganzen Organisationen bei niedriger Hemmschwelle. Man traue sich jederzeit nachzufragen. Happ nannte als Grundprinzip für den Bau einer CustomGPT „Skill statt Task“. Sie empfahl ein „Fähigkeiten-Setup mit Fokus und Rahmenvorgaben statt konkreter Aufgabe mit immer gleichem Arbeitsablauf“. Beispiel: In Redaktionen könnte so eine Leitungsassistenz geschaffen werden, die per Stimmeingabe Daten erhält, sie sortiert, organisiert und als zusammengefasste To-Do-Liste an die Teammitglieder mailt. Wie die KI-Kolleg:innen am besten aufgesetzt werden, hat Katharina Happ hier hinterlegt.
KI erleichtert Verlagsarbeit
Aleksandar Petrovic, Head of Sales GenAI Solutions beim Anbieter Retresco, präsentierte bei der MedienNetzwerk-Bayern-Thinktank-Veranstaltung KI-gesteuerte, dialogbasierte Medienhausservices (Stichwort: RAGs) als neue Monetarisierungsquelle. Hintergrund: Retresco ist spezialisiert auf die automatisierte Arbeit mit redaktionellen Inhalten, also auf KI-Möglichkeiten rund um Textformate. Petrovics Team arbeitet mit Medienhäusern wie RP ONLINE und FAZ.NET zusammen. Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie kann man die Unmengen des Datenschatzes von Verlagen verwenden, um rechtskonform neue Services zu produzieren? RAG-Systeme (Retreival-Augmented-Generation-Systeme) können – im Gegensatz zu LLMs wie etwa ChatGPT – mit einer geschlossenen, vorgegebenen Datenbasis arbeiten, wie sie Medienhäuser durch ihre Inhalte ja besitzen.
Ein Beispiel hatte Petrovic beim KI-Camp im Gepäck: den Europawahl-Chatbot der SZ. Dabei dienten alle Artikel der Zeitungsmarke zum Thema als Basis für den Chatbot. Als Format mit der höchsten Leserbindung empfahl Aleksandar Petrovic Q&As. Seine Vision: Verlagshäuser können sich mithilfe von RAG zu flexiblen Content-Plattformen für die Nutzenden entwickeln.
KI unterstützt den Redaktionsalltag
Von der Bündelung diverser KI-Tools können Journalist:innen massiv profitieren. Vor Ort beim KI Camp war auch Bernd Oswald. Der Journalist, Netzwelt-Kenner und freier Mitarbeiter im Team des AI + Automation Lab, ist Miterbauer von Anwendungen, die der ganze Bayerische Rundfunk inzwischen nutzen kann. Als Projektmanager beim übergreifenden AI for Media Network hat er am AiDitor mitgewirkt, der seit Ende 2024 beim öffentlich-rechtlichen Sender ausgerollt wird. Gebündelt sind dort „Anwendungen, um etwa investigativen Journalismus zu unterstützen oder automatisierte Gefäße für Daten und Tickernews zu liefern“. Auf lange Sicht sollen im Aiditor unterschiedliche oder regionale oder ÖR-gebrandete Versionen entstehen können. Analysiert werden Daten, Bilder, Video, Audio, Sprache, Trends und vor allem Übersetzung. Daneben kann KI bei der Verifikation von Material unterstützen. Hinzu kommt Untertitelung, Korrektur, Archivierung, Verschlagwortung und Versionierung, um etwa an jüngere Zielgruppen eine andere Sprachversion ausspielen zu können. Im AiDitor werden passende Prompts gespeichert und können optimiert werden. Sie greifen auf gängige Tools wie etwa Eleven Labs für Audio zu. Um den Fortschritt der LLMs zu beobachten, blickt der als Open-Source-Offerte entwickelte PromptPilot im AiDitor kontinuierlich auf die Modelle. So dürfte bald Claude die Videotext-Meldungen im BR unterstützen und zusammenfassen, was der große Newspool des BR an Informationen liefert. Das nächstes Ziel der BR-KI-Truppe: einen Agenten-Workflow im AiDitor schaffen – die Redakteur:innen könnten sich so die einzelnen KI-Bearbeitungsschritte in einer Pipeline zusammenbauen. Oswalds Fazit: „Je mehr Automatisierung, desto besser. Doch es müssen immer Journalist:innen an der letzten Stelle stehen.“ Wie wichtig es ist, ein gutes Prompting für den optimalen KI-Einsatz zu liefern, verdeutlichte Oswalds BR-Kollege Christian Schiffer beim KI-Camp. Auch dabei soll der AiDitor unterstützen.
KI verändert Search, hilft aber bei der „SEO“ der Zukunft
Die zentrale Frage der KI-Camp-Session des Beraters Markus Uhl lautete: Wie geht es weiter mit SEO im KI-Zeitalter?
Uhl empfahl, KI als eine:n Junior-Mitarbeitenden zu integrieren und die Rückkehr zu solidem klassischen Marketing. Gutes SEO bedeute im Kern gutes Marketing. Er sah die Zukunft vielmehr in der Optimierung von Inhalten für KI-Agenten („Conversational Search“) statt für User, da KI-Suchen kaum noch zu externen Links führen (nur noch rund vier Prozent Klickrate).
Wie kann das gehen? Markus Uhl setzt auf die Arbeit mit verschiedenen KI-Personas, auf das „Agent Ready Framework“ und auf Überwachung, welche Bots die eigene Seite besuchen. Dabei helfen Tools wie Trackerly.ai). Besonders für Medienunternehmen räumte er für lokale Nischeninhalte und den Aufbau von Markenvertrauen die größten Chancen ein, zumal KI bei der Suche die Markenbindung weiter schwächen und gleichzeitig den globalen statt lokalen Fokus verstärken würde.
KI kann einheitliche Markenarbeit unterstützen
Gerade wenn es um Social-Media-Posts großer Unternehmen geht, stellt sich die Frage: Passen die unterschiedlichsten Inhalte in den diversen Kanälen auch wirklich zur Kernmarke? Hier setzt das KI-Tool Brandpatrol.io an. Olaf Kopmann und Birger Krah, Co-Founder des KI-Startups, skizzierten beim KI-Camp zusammen mit Stephanie Amstad von der Marketing-Agentur NEOVISO die Arbeit mit dem „digitalen Zwilling“ von Marken, um deren einheitliche („konsistente“) Kommunikation über verschiedene Social-Media-Kanäle und durch unterschiedliche Creator zu gewährleisten. Und das geht so: Das System analysiert bestehende Markeninhalte, identifiziert abweichende Formulierungen und bietet Verbesserungsvorschläge mit entsprechenden Begründungen basierend auf Marken-Guidelines. Der entwickelte „Brand Consistency Score“ (BCS) ermöglicht dabei die Vergleichbarkeit verschiedener Inhalte. Die sichere Markenkonsistenz in der Kommunikation führt zu höherer Bekanntheit, mehr Ansehen und letztlich mehr Umsatz.
KI kann hauseigene Prozesse vereinfachen – aber wo genau?
Dazu gab es beim KI-Camp Tipps von Jim Sengl, der in der Medien.Bayern GmbH für das KI.M (KI-Kompetenzzentrum Medien in Bayern) spricht. Er empfahl, KI Use Cases für redundante und standardisierbare Prozesse aufzusetzen. KI-Anwendungsfälle könnten gut identifiziert werden: Wo fehlt Zeit für Mehrwertschaffung durch Menschen? Welche Entscheidungen werden vereinfacht getroffen? Welche Daten werden nur oberflächlich genutzt? Wo limitiert Ressourcenmangel Prozesse oder verhindert das Testen von Alternativen? Welche Spezialist:innen-Rollen fehlen? Wo werden Kunden trotz Unterschieden gleich behandelt?
Sensible Unternehmensdaten sollten indes nur in geschlossenen Systemen verarbeitet werden. KI-Nutzung sollte demnach stets reflektiert erfolgen und mit eigener Recherche kombiniert werden. Hier gilt: Entwicklungsprozesse und synthetisches Feedback kann mittels KI-Personas beschleunigt werden. Sengls Erfahrung: „Synthetisches Feedback hat eine Riesenpower!“ Er empfahl für Sprach-Checks beispielsweise Claude 3.7.
Apropos K.IM: Das Novum bietet Medienhäusern Unterstützung bei KI-Anwendungen durch ein Reallabor, Regionalworkshops und Orientierungshilfen, besonders für KMUs ohne eigene Hardware.
KI sorgt aber auch für Bedenken …
Viele Ansätze für einen KI-Einsatz mit Mehrwert waren beim KI-Camp vertreten. Doch alle Bedenken konnten nicht zerstreut werden.
Einig waren sich die Besuchenden, dass KI-Tools in Medienhäusern derzeit vor allem bei der Recherche und für SEO-Optimierung nützlich sind, jedoch bei komplexen, nischenspezifischen Themen an ihre Grenzen stoßen. Aus Sicht der Camp-Besuchenden mit Folgen: Die versprochene Effizienzsteigerung führe oft nicht zu mehr Freizeit, sondern zu höheren Output-Erwartungen bei gleichbleibendem Personalstand, während die Betreuung der KI selbst Zeit koste und ihre Ergebnisse nicht konstant seien, waren Argumente bei der Veranstaltung des MedienNetzwerk Bayern Thinktank. Bedenken hinsichtlich der „Ausbeutung von Kreativität“, ungeklärter Rechtsfragen und der „Black Box“-Problematik, wobei viele KI-Tools mit Marketingversprechen locken, die nicht immer der Realität entsprechen, waren zu hören.
Die grundlegende Frage lautet: Wie viel möchte man an die KI abgeben und wie verändert sich dadurch der eigene Beruf? Ein Rat aus dem Publikum lautete, die Angst vor Jobverlust in eine generell kritische Auseinandersetzung mit Veränderungen münden zu lassen. KI könne zwar einzelne Arbeitsschritte wie Texte oder Bilder übernehmen, aber komplexe kreative Gesamtprojekte wie Filme bleiben vorerst in Menschenhand.
Wie sieht es mit der rechtlichen Seite aus? In Monika Pfundmeiers Session zu „KI-Nebenwirkungen“ zweifelten die Teilnehmer:innen eine realistische Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte an. Sie warnten vor dem „Wissensdiebstahl“ durch KI-Systeme, die mit unbezahlten kreativen Werken trainiert werden. Die Gruppe betonte die Notwendigkeit, dass sich die Kreativbranche organisiert, um bei der Entwicklung neuer Vergütungsmodelle mitzubestimmen. Ansonsten drohe eine „Verflachung“ der Kunst und ein „großes Armutsproblem“ für Kulturschaffende, während der „KI-Shift“ massive Umbauten etablierter Geschäftsmodelle erzwingen könnte.
Des Weiteren machte sich eine KI-Camp-Runde Gedanken zum enormen Energieverbrauch von KI-Systemen und wie sich dieser Umstand mit unseren Klimazielen in Einklang bringen lässt. Deutlich wurde: Medienunternehmen sollten die Bewusstseinsbildung für die ökologischen Auswirkungen von KI unterstützen und die Frage aufwerfen, wie innovative Anwendungen gefördert und zugleich ihr ökologischer Fußabdruck minimiert werden könnte. Und: Alle sollten sich aufgerufen fühlen, konkrete Nachhaltigkeitsrichtlinien für den KI-Einsatz in Unternehmen zu entwickeln und umzusetzen.
Sandor Horvath lieferte beim KI-Camp des Medien-Thinktank einen Appell: Er argumentierte durch seinen Thinktank „Web3 World Society“, dass unsere Demokratie eine souveräne digitale Infrastruktur benötige, zumal die geopolitische Lage uns von großen Plattformbetreibern abhängig macht. Horvath betonte, dass die Kontrolle über Datenhoheit, IT-Infrastruktur und KI künftig über geopolitische Macht entscheiden werde und warnte vor konkreten Bedrohungen, wie dem Missbrauch biometrischer Daten (Fingerabdrücke, Gesichtszüge) und KI-generierte Stimmen für Betrugsmaschen wie den „Enkel-Trick“.