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Ciao TV, hallo Twitch – Mediennutzung von Jugendlichen

Wie sich die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen im Lockdown verändert hat, darüber weiß Ines Imdahl, Diplom-Psychologin und Geschäftsführerin rheingold salon, Bescheid. Aber welche Plattformen und Nutzungsgewohnheiten bleiben auch in der Post-Corona-Zeit bestehen und welche Auswirkungen hat das? Wir haben Ines Imdahls Top Take-aways zur Nutzung und den Funktionen von (Social-Media-)Plattformen zusammengefasst.

  1. Jede Generation hat ihr Medium, ihre Sucht – es gilt, ein Maß dafür zu finden

Sucht und Abhängigkeit wurden früher mit Drogen in Verbindung gesetzt, heute mit Medien. Im September 2019 nutzten laut DAK-Studie „Mediensucht 2020“ noch 66 Prozent der Kinder und Jugendlichen sieben Tage die Woche soziale Medien; im April 2020 waren es schon 75 Prozent. Dabei ist die Häufigkeit der Mediennutzung keine Frage der Bildung, wie Studien beweisen. Eine rheingold-salon-Befragung zeigt: Den wenigsten Jugendlichen, nicht mal einem Viertel der 14- bis 17-Jährigen, geben Eltern ein Zeitlimit für die tägliche Nutzung des Smartphones vor. Alle befragten Schüler:innen sind am Tag mindestens vier Stunden auf Social Media unterwegs.

  1. TV im doppelten Sinn: Fernsehen hat eine Funktion, auch für Jugendliche

Zu Beginn der Corona-Pandemie stieg die TV- und Bewegtbildnutzung oft von 0 auf 100 bei den unter 19-Jährigen. Hauptsächlich konsumieren sie Netflix, allerdings lassen sich auch mindestens drei Stunden lineares TV am Tag feststellen. TV wirke für Jugendliche sowohl als Motivator, um beispielsweise Hausaufgaben zu erledigen, als auch als Fenster zur Realität, sagt Imdahl: Nachrichtenformate bilden eine Tagesklammer, während bekannte TV-Formate Rhythmus und Struktur darstellen. Koch- und Shoppingsendungen sind während des Lockdowns ein Ersatzerlebnis und Werbung bietet Überraschungsmomente. Im zweiten Lockdown nutzten Jugendliche laut der Expertin das Bingewatching von Serien zur Selbstsedierung und Reality-Formate wie Promis unter Palmen als Geschichtenlieferant. Netflix bringe eine bunte Parallelwelt mit sich, aufgrund der breiten Angebotsauswahl jedoch auch eine überfordernde Selbstbestimmung: Die immer neuen Vorschläge und das Überangebot an Content bewirke unbefriedigende Unabgeschlossenheit bei den Jugendlichen, die großes Suchtpotenzial birgt.

  1. Jede Social-Plattform bringt auch einen seelischen Mehrwert

Laut Imdahl haben soziale Plattformen nie lediglich Suchtpotenzial – sie geben Kindern und Jugendlichen auch etwas. Sei es das Bild einer heilen Welt oder ein digitaler Schulhof, wo sie mit Freund:innen auch von Zuhause aus chatten oder sich in Selbstdarstellung üben können.

  1. YouTube als mentaler Short Cut

YouTube-Inhalte wecken „instant emotions“, so die Expertin – sei es aufgrund von lustigem, niedlichem oder spannendem Content. Die positiven Bilder machen in Zeiten der Pandemie alles erträglicher, auch für Erwachsene.

  1. Instagram ist Harmonie und narzisstischer Exhibitionismus zugleich

Die Instagram-Nutzung ist während der Pandemie enorm gestiegen. Sie hat sich mehr als verdoppelt: 45 Prozent der Nutzer:innen sind häufiger als zehnmal täglich auf Instagram, über 74 Prozent sogar zwanzigmal. Warum? Instagram zeigt eine Harmonie- und Traumwelt. Aber die Plattform kombiniert auch Narzissmus mit Exhibitionismus: Innerhalb der letzten 20 Jahre wollten fast dreimal so viele Jugendliche berühmt werden wie vorher – und zwar durch Social-Plattformen wie Instagram.

  1. TikTok – die neue App-Grenzung für die ganz Kleinen und digitaler Schulhof

TikTok überholte Instagrams Nutzerzahlen bereits im September 2019. Die Plattform ermöglicht es, schnell Bekanntheit zu erlangen, da sie eine außerordentliche virale Wirkkraft hat. Während des Lockdowns übernahm sie die Funktion des digitalen Schulhofs: Jede:r konnte dort seine Talente zeigen, etwa durch tanzen oder singen. Außerdem, sagt Imdahl, beeinflusse TikTok in noch nie dagewesener Weise Mode und Fast Fashion: Der Fast Fashion Onlinehändler SHEIN zum Beispiel produziert anhand von TikTok-Video-Inspirationen Kleidung und auch die Musikbranche wird durch die Mediennutzung von TikTok stark beeinflusst: Oftmals werden nur noch kurze Songs produziert, die für Video-Content aufgegriffen werden.

  1. Twitch ist Live Chat und Alltagssynchronisierung

Die Nutzerzahlen von Twitch haben sich zwischen 2019 und 2021 verdoppelt, denn Twitch bietet nicht nur Livestreaming für Gamer:innen, sondern auch die Just-Chatting-Funktion: Hier schauen Gamer:innen im Stream Videos an und kommentieren diese. Zuschauer:innen können live im Chat mitdiskutieren.

Twitch beinhaltet außerdem sehr schnelle Monetarisierungsmöglichkeiten über Streamer-Abonnements, die fünf Euro monatlich kosten. So kommen Gamer:innen in kurzer Zeit zu einer beachtlichen Anzahl an Follower:innen – viel schneller als über YouTube oder Instagram.

Die Plattform synchronisiere den Alltag der Jugendlichen inklusive ihrer persönlichen Gaming-Stars, analysiert Imdahl. Sie gehen gemeinsam ihrem Hobby nach, kommunizieren über Videos und sitzen mit ihren Vorbildern im Zimmer. Streamer:innen sind hier Sender:innen, Moderator:innen und Regisseur:innen zugleich.

  1. 24/7 Kontrolle führt zu Kontrollverlust

Always-on – das sind fast alle Jugendlichen heutzutage. Wieso das so ist? Wenn man nichts verpasst, hat man das Gefühl, permanent Kontrolle darüber zu haben, was passiert. Kontrollverlust ist DAS Thema der Pubertät: Denn Körper und Geist verändern sich automatisch. 24/7 online zu sein, ist der Versuch, die ganze Welt auf einmal in den Griff zu nehmen.

Sucht ist der Versuch, etwas unter Kontrolle zu behalten bei gleichzeitigem Kontrollverlust.

Ines Imdahl, Geschäftsführerin rheingold salon

  1. Wir brauchen neue Maße für eine neue Zeit

Die rheingold-salon-Geschäftsführerin ist überzeugt: Aufgrund des Suchtfaktors der sozialen Medien, benötigen wir neue Maße, um die Digitalisierung positiv nach vorne zu treiben und den Nutzen und Spaß an den sozialen Plattformen nicht zu verlieren. Das Schwierige hierbei: Für Social Media gibt es kein offiziell anerkanntes Maß, ab wann die Mediennutzung kritisch oder tatsächlich zur Sucht wird.

Vier Tipps für Eltern von der Medienpädagogik-Expertin :

    1. Keine Smartphones in der Schule, bis die Kinder 13 bis 15 Jahre alt sind.
    2. Smartphones gehören nachts nicht ins Kinderzimmer.
    3. Eltern sollten die Social-Media-Profile ihrer Kinder regelmäßig auf Follower:innen und Inhalte überprüfen, begrenzen und kontrollieren.
    4. Medien sollte man beim gemeinsamen Essen weglassen.

Ihr Wissen teilte die Expertin in einem Onlinevortrag bei den Medientagen Landsberg 2021. Wer mehr zur Mediennutzung von Jugendlichen wissen möchte, sollte sich außerdem die Learnings von Daniel Fiene, Host des „Was mit Medien“-Podcasts, und den Artikel des Media Lab Bayern zum Medienkonsum bei den Kleinsten genauer ansehen.

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