Die Zukunft von Audio: Seele, KI und Kooperation
Von Lukas Schöne, 4. April 2023
RadioGPT vs. echte Personalities: Bei den Radiodays Europe in Prag ging es um nicht weniger als die Frage, was die Gattung Audio im Kern ausmacht. Wichtig bei allen großen Themen vor Ort: Kooperation. Fünf Beobachtungen.
Der emotionalste Moment der Radiodays Europe in Prag passierte gleich zu Beginn. Als Andriy Taranov die Bühne betrat, erhoben sich Audio-Expert:innen aus über 50 Ländern von ihren Sitzen. 2022 in Malmö hatte sich das Vorstandsmitglied des ukrainischen Public Broadcaster „Suspilne Movlennya“ noch aus einem Bunker in Kyiv zuschalten lassen. Nun ist Taranov nach Prag gekommen, um der versammelten europäischen Audio-Gemeinschaft zu danken – für ihre Berichterstattung und Solidarität. Er mahnte aber auch: „Berichtet weiter. Vergesst uns nicht. Lasst uns nicht allein.“
Es geht nur gemeinsam. Das war die Botschaft von Taranov, das war eine der entscheidenden Botschaften der Radiodays Europe 2023 insgesamt. Für alle wichtigen Themen: Der Krieg in der Ukraine, aber auch KI, Plattformstrategien, Monetarisierung, junge Zielgruppen oder Podcasts. Und trotz aller Herausforderungen verteilte sich nach dem Ende der Konferenz auch etwas Optimismus aus Prag in die Audio-Häuser rund um den Globus.
1. Zusammenarbeit und Innovation im Informationskrieg
„Innovation kann Leben retten!“ Der Satz von Andriy Taranov machte deutlich, welche Verantwortung Medienschaffende in Zeiten wie diesen tragen. In seinem Fall war die Innovation eine App, die er und seine Kolleg:innen in Zusammenarbeit mit anderen Medienhäusern in der Ukraine entwickelt haben. Mit ihr informieren sich viele Ukrainer:innen über die aktuelle Lage. Auch das Radio selbst bleibt ein wichtiger Nachrichtenkanal – unter teilweise widrigsten Umständen. In Luftschutzbunkern hat Suspilne Movlennya eine zweite Studiowelt aufgebaut. Wenn die Sirenen heulen, geht das Programm nach kurzer Unterbrechung von dort weiter. Internationale Radiomacher:innen sind ebenfalls weiter vor Ort. Filip Nerad, Head of Foreign News Desk beim Tschechischen Radio, berichtete über die Schwierigkeiten, die seine Kolleg:innen in der Ukraine und bei der Verifikation von Informationen im Netz haben. Hier ist der Austausch wichtig: Durch WhatsApp und Telegram stehen die Journalist:innen über Medien- und Ländergrenzen hinweg in Kontakt, um sich gegenseitig über neue Entwicklungen und Gefahren zu informieren.
2. Frage der Fragen: Wer wollen wir sein?
Beim Radio geht es vor allem um die Seele. Das sagte beim Abendevent von XPLR: MEDIA in Bavaria in der bayerischen Repräsentanz in Prag einer, der selbst seit vielen Jahren mit Leib und Seele Radiomacher ist: Guy Fränkel, Managing Director bei Rock Antenne. Die Community steht bei dem Sender im Zentrum. Das mag keine ganz neue Erkenntnis sein, doch Fränkel machte deutlich: Man muss es auch wirklich so meinen. Redaktion und Moderator:innen müssen wie selbstverständlich Teil der Community sein. Das sei das Markenversprechen, das über alle Kanäle funktioniere. Vor allem im Special-Interest-Bereich, in dem die Rock Antenne unterwegs ist.
Es ist die Kernfrage für das Radio – in Prag, bei den Radiodays, auch als „Mothership of Audio“ bezeichnet: Wer wollen wir sein? Gerade in Hinblick auf die Auswirkungen, die KI und synthetische Stimmen für die Audioproduktion haben, gilt es, Antworten zu finden. Eine davon war: die Neuentdeckung von bekannten Tugenden. Dass sich damit Hörer:innen zurückgewinnen lassen, ist die These von Dennis Clark, Vice President of Talent Development bei iHeartMedia USA. Konkret meint er: Authentisch sein, Hör-Versprechen geben und sich an sie halten, Personalities aufbauen. Streiten kann man sich über Clarks Tipp, alles Negative auszusparen und den Leuten ausschließlich positive Energie zu geben. Vor allem, wenn man den Aufruf von Andriy Taranov vom Anfang ernst nimmt. Doch Clarks Kernbotschaft fand beim Publikum großen Anklang: Radio bleibt ein Austausch zwischen Menschen.
3. Der Steve-Jobs-Moment der Radiodays
Der große und atmosphärisch beleuchtete Saal im Congress Center Prag gab den passenden Rahmen für den Auftritt von Daniel Anstandig, CEO des US-Unternehmens Futuri. Aufwendig produzierte Marketing Videos mit dramatischer Musik, druckreife Keynote. Futuri hat RadioGPT entwickelt, das nach eigener Aussage erste ausschließlich von der KI produzierte Radioprogramm. Dabei greifen mehrere KI-basierte Tools ineinander. Eines scannt Inhalte aus tausenden Nachrichtenquellen und Social Media. ChatGPT generiert die Texte, synthetische Stimmen lesen sie vor und ein weiteres Tool produziert Jingles und Musikbetten. RadioGPT ist in der Lage, hyperlokal Inhalte aufzubereiten und zu verbreiten. Für Anstandig ist das die Zukunft. „Es wird auf jeden Fall kommen. Beschäftigen wir uns also damit.“ Die Frage, wie hoch die Gefahr von Fake-News bei RadioGPT ist, stellte er in seinem Vortrag gleich selbst und beschwichtige: „Wir scannen ausschließlich verifizierte News-Quellen.“ Schuldig blieb er die Antwort, was passiere, wenn die KI immer mehr durch KI-erstellte Inhalte scannt und die Ursprungsquelle kaum mehr auszumachen ist. So oder so, es wird spannend. Und der ein oder andere im Saal witterte einen Hauch von Steve Jobs.
4. It’s the journalism, stupid!
Etwas bescheidener kamen die Aussagen von Olle Zachrison über KI im Radio daher. Vielleicht liegt das an der schwedischen Nüchternheit, vielleicht am Praxisblick, den er als News Commissioner beim Schwedischen Radio (SR) auf das Thema hat. Bei allen neuen Entwicklungen im Bereich KI, die natürlich beeindruckend seien, müsse man immer den Marketing-Effekt beachten. „Gerade große Tech-Player schauen auf die Börse.“ Er selbst präsentierte verschiedene KI-Tools, die in Radioredaktionen auf der ganzen Welt im Einsatz sind. Von automatisierten Wetterberichten des RBB, über die synthetische Stimme „Victoria“, die beim spanischen PRISA Radio über Fußball berichtet, bis hin zur Anwendung „Adthos“ des niederländischen Unternehmens „Wedel Software“, das mit wenigen Prompts automatisiert Audio-Werbespots erstellt (in Bayern hat Radio Gong 96.3 mit dem RadioAdMaker ein ähnliches Tool entwickelt, Anm. d. Red.). Zachrisons Botschaft: Der Einsatz von KI muss immer den strategischen Zielen eines Unternehmens dienen. Und: „Benutzt KI, um euren Produkten mehr Wert und Qualität zu geben, nicht um sie zu ersetzen.“ Journalismus werde eher wichtiger als umgekehrt – gerade in einer Welt der mit KI erstellten Inhalte, in der Ursprungsquellen fast nicht mehr erkennbar sind. Oder wie Zachrison es formulierte: “It´s the journalism, stupid!”
5. Auf die Plattform, fertig, los … aber welche?
Eine neue Plattform-Ära – die rief bei den Radiodays Europe Grace Zakka aus, Senior Project Manager bei der European Broadcasting Union (EBU). Für sie endet die Zeit, in der Anbieter alle Inhalte auf allen verfügbaren Plattformen anbieten. Das gilt vor allem für öffentlich-rechtlich organisierte Medien. Es gehe darum, den Nutzer:innen die besten Inhalte und die beste User Experience auf den eigenen Plattformen zu bieten und sich strategisch zu überlegen, welche Inhalte wie auf Drittplattformen verteilt werden. Dazu stellten in Prag BBC, Radio France und die EBU als öffentlich-rechtliche Kooperationsgemeinschaft ihre Best Cases vor. Ein neues Selbstbewusstsein in der Konkurrenz zu den großen Playern war erkennbar.
Ein konsequentes Beispiel aus dem privaten Mediensektor kommt aus Australien. Grant Blackley, CEO bei Southern Cross Austereo (SCA), stellte „LiSTNR“ vor. Hinter der App steckt ein komplett neues Audio-Ökosystem. Dort haben die Australier sowohl Podcasts, als auch Radiosendungen und Musik-Streams von den über 80 SCA Stationen unter einer Marke zusammengezogen und kooperieren zusätzlich mit Wondery, Stitchy und Spotify. Die große Auswahl bringe mehr Traffic und mehr Wachstum, so Blackley. Sein Fazit: „Content is king, Contribution is queen.“
Radiodays Europe 2024
Die nächsten Radiodays Europe finden vom 17. – 19. März 2024 in München statt.