Jonas Karpa: „Berichterstattung über Menschen mit Behinderung findet nicht oder nur klischeehaft statt“
Wie wird über Menschen mit Behinderungen berichtet? Wie sieht barrierefreie Kommunikation aus? Und was können Medienunternehmen tun, um sich dem Thema Barrierefreiheit besser anzunehmen? Darüber haben wir mit Jonas Karpa von den Sozialheld*innen gesprochen. Am 15. und 16. Juli ist der Redakteur außerdem bei unserem Ideathon „Connect & Act: Barrierefreiheit” dabei.
Jonas, du bist Teil des Sozialhelden e.V. – was genau tut ihr?
Jonas Karpa: Als konstruktive Aktivist:innen setzen wir uns für mehr Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit ein. Das tun wir in verschiedenen Projekten, die teilweise aufeinander aufbauen. Eines der bekanntesten Projekte ist zum Beispiel die Wheelmap – eine Online-Karte auf der man weltweit rollstuhlgerechte Orte markieren und anzeigen lassen kann. Unter anderem durch dieses Projekt haben wir gemerkt, dass über unsere Arbeit und auch über unseren Gründer Raúl Krauthausen sehr klischeehaft berichtet wird. Deshalb haben wir vor knapp zehn Jahren die Plattform Leidmedien.de ins Leben gerufen, auf der wir Journalist:innen Tipps für eine klischee- und diskriminierungsfreie Berichterstattung geben. Gleichzeitig wollen wir aber hiermit auch zeigen, dass es Journalist:innen mit Behinderung gibt. Wir versuchen, sie zu empowern und vergeben einmal im Jahr ein Recherchestipendium. Um Texte von Autor:innen mit Behinderung publizieren zu können, haben wir 2019 unser Onlinemagazin Die Neue Norm gegründet.
Wie sieht die generelle Berichterstattung über Menschen mit Behinderung aktuell aus?
Jonas: Entweder sie findet nicht oder nur sehr klischeehaft statt. Altbekannte Floskeln wie „Person X leidet an ihrer Behinderung“ oder dass Menschen „trotz ihrer Behinderung“ etwas tun, lesen wir noch sehr oft. Menschen mit Behinderung werden entweder als Held:innen oder als Opfer dargestellt. Gleichzeitig erkennt man, dass die Behinderung eines Menschen immer noch häufig die Nachricht ist. Behinderung kommt in der Berichterstattung so gut wie kaum vor, ohne dass sie thematisiert wird. Auch das muss sich ändern, denn dass ein Mensch etwas mit seiner Behinderung macht, sollte genauso wenig Thema sein, wie dass eine Person zum Beispiel eine Frau ist. Leider trauen sich viele Redaktionen – weil sie nicht vielfältig aufgestellt sind und somit keine Expertise haben – auch gar nicht mehr an gewisse Themen heran, aus Sorge, Kritik zu erfahren.
Behinderung kommt in der Berichterstattung so gut wie kaum vor, ohne dass sie thematisiert wird.
Jonas Karpa
Was sollte man dringlichst bei der Kommunikation vermeiden?
Jonas: Ich finde es immer bemerkenswert, dass vermutet wird, die Kommunikation mit Menschen mit Behinderung als Gesprächspartner:innen würde einen anderen Anspruch oder auf Grundlage anderer Regeln ablaufen, als die Kommunikation mit Menschen ohne Behinderung.
Es gilt: Menschen auf Augenhöhe begegnen, nach ihrer Selbstbezeichnung fragen, wenn man sich nicht sicher ist, nicht ungefragt duzen oder gar anfassen. Wenn die Person eine:n Dolmetscher:in mitgebracht hat, trotzdem weiterhin mit der Person und nicht mit dem oder der Dolmetscher:in sprechen. Das sind alles ganz normale Umgangsformen, die als Basis eines guten journalistischen Handwerks gelten sollten.
Zur Kommunikation für Menschen mit Behinderung: Was versteht ihr unter barrierefreier Kommunikation, wie funktioniert sie?
Jonas: Es geht darum, dass die produzierten Inhalte verständlich und zugänglich sind. Da geht es einerseits um das rein Technische, zum Beispiel bei Videobeiträgen: Ist das Video untertitelt, gibt es eine Audiodeskription und Gebärdensprachdolmetschung? Auf der inhaltlichen Ebene geht es zum Beispiel um die Frage, ob es Angebote in Leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt. Das ist die Grundlage von barrierefreier Kommunikation. Gleichzeitig sollte man aber auch in der Art der Themensetzung Zugänge verschaffen. Das funktioniert durch eine vielfältige Themensetzung und Repräsentanz auch auf der inhaltlichen Ebene.
Die barrierefreie Arbeitswelt: Wie sieht sie aus?
Jonas: Das Mindeste ist der rollstuhlgerechte Arbeitsplatz, der stufenlos erreichbar ist. Teilweise kann man nicht alle Vorkehrungen vorab treffen, aber man sollte offen dafür sein, sie zu schaffen – zum Beispiel, wenn Personen einen höhenverstellbaren Schreibtisch oder besondere Bürostühle benötigen. Es ist schwer, alles von vorneherein mitzudenken, aber es ist wichtig, alles dafür zu tun, um zugänglich zu werden – zumindest bei Dingen, die man kurzfristig ändern kann. Gewisse große Vorkehrungen sollten Pflicht sein und alles andere kann gemeinsam im Gespräch vereinbart werden.
Welche barrierefreien Technologien sollten wir kennen – gibt es Best Practices?
Jonas: Spezielle Software-Programme sind selten barrierefrei ausgelegt. Das ist ein Problem. Es gibt aber viele technologische Möglichkeiten, die häufig im gegenseitigen Austausch entstehen. Oft bringen Betroffene ihre Hilfsmittel selbst mit. Es gibt zum Beispiel verschiedenste Screenreader, die Dinge auf dem Bildschirm vorlesen. Da muss man ausprobieren, welche dann zum Beispiel mit einem gewissen Schnittprogramm besser umgehen können und welche nicht.
In Bewerbungssituationen sind die pauschalen Absagen das Problem, weil sich nicht-betroffene Menschen beispielsweise die Umsetzbarkeit gewisser Dinge nicht vorstellen können und denken, dass Barrierefreiheit hier nicht möglich ist. Man kann aber auch akzeptieren, dass zwar manches nicht funktioniert, anderes dafür sehr gut. Dann passt man Jobbeschreibung oder Aufgabenbereich dementsprechend an.
Habt ihr konkrete Tipps für Medienunternehmen, sich dem Thema anzunehmen und besser zu werden?
Jonas: Das hat viel mit Haltung zu tun. Es darf keine Floskel sein, dass in Stellenausschreibungen steht: „Menschen mit Behinderungen werden bei gleicher Eignung bevorzugt.“ Wenn man so etwas angibt, aber nicht den Anspruch hat, Dinge anzupacken und zu verändern, passt das nicht zusammen. Man muss den inneren Willen haben, im Unternehmen vielfältiger zu werden. Das spüren Bewerber:innen. Das hat etwas mit Willkommenskultur zu tun. Man muss sich selbst mit dem Thema auseinandersetzen, Vorbehalte abbauen und mit Menschen mit Behinderung in Kontakt treten.
Wo gibt es in Bayern Anlaufstellen für Unternehmen, die diesen Anspruch haben?
Jonas: Wir machen beispielsweise Begehungen von Büroräumen. Das machen dann meine Kollegin, die im Rollstuhl sitzt, und ich mit meiner Sehbehinderung und wir schauen, wo uns Barrieren auffallen. Außerdem bieten wir mit unserer Sozialheld*innen Akademie auch Workshops zu den unterschiedlichsten Themen an: klischeefreie Berichterstattung, barrierefreie Kommunikation oder Kampagnenarbeit. Man kann auch mit Betroffenenverbänden sprechen und diese bei Fragen zu gewissen Themen anschreiben – beispielsweise den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband oder den Deutschen Gehörlosen-Bund. Die Verbände können dann auch bei der Vermittlung auf lokaler Ebene helfen. Wir haben auf unserer Seite Leidmedien außerdem Leitfäden und verschiedene Anlaufstellen veröffentlicht. Es gibt also jede Menge Ansprechpartner:innen, bei denen man sich Unterstützung holen und dann gewisse Prozesse angehen kann.
Du möchtest mehr über das Thema Barrierefreiheit lernen oder dein Wissen und deine Idee einbringen?
Dann melde sich jetzt zu unserem kostenlosen Ideathon Connect & Act: Barrierefreiheit an – unser Präsenzevent am 15. (abends) und 16. Juli (tagsüber). Jonas Karpa ist u.a. als Leiter des Workshops „Berichterstattung zu Menschen mit Behinderung“ dabei.