New Marriages
Wie Plattformen und Formate verschmelzen und zu medialen Love-Stories werden
von Lisa Marie Heuring, 22.01.2024
Habt ihr euch schon einmal gefragt, auf welches Medienangebot ihr am wenigsten verzichten könntet? Sind es die diversen Social-Media-Kanäle? Die Streaming-Plattform für Musik und Podcasts? Oder doch das klassische Zeitungs-Abo? Medienunternehmen wissen, dass die Zeit ihrer Nutzer:innen begrenzt ist und Präferenzen sich schnell verschieben können. Sie tun daher heute gut daran, auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen, um verschiedene Bedürfnisse und Interessen abzudecken. Und so ist es kein Wunder, dass über die gesamte Medienbranche hinweg New Marriages, also neue langfristige gedachte Verbindungen eingegangen werden, die mediale Inhalte bestenfalls noch schmackhafter – und damit unverzichtbarer – machen.
So werden Serien zu Games und umgekehrt, die Bühne zur Audio-Plattform und der Podcast zum Videoformat. Als „Battle of the Bundles“, also den „Kampf der gebündelten Angebote“, bezeichnet das der US-Medienexperte Evan Shapiro. Ohne Bundles gehe nichts mehr, prophezeit er in einem seiner Vorträge und rät Medienunternehmen, sich rechtzeitig Strategien zu überlegen, wie sie diese Kombi-Pakete sinnvoll schnüren können. Man müsse nicht in allen Gebieten dominieren, um wettbewerbsfähig zu sein, so Shapiro, aber eine Mediengattung losgelöst von allen anderen zu denken, habe nur noch wenig Erfolgsaussichten im Kampf um die Aufmerksamkeit der User:innen.
It’s Game-Time!
Dass Stillstand kein Erfolgsrezept ist, musste auch Netflix einsehen: Der Streaming-Dienst findet neue Wege seine Intellectual Property auszuschöpfen – und erweiterte kürzlich sein Angebot um Mobile Gaming, wobei es sich um Videospiele handelt, die inhaltlich auf Netflix-Serien und Filmen basieren. Denn besonders junge Zielgruppen schätzen es, wenn sie ihre Lieblingsserien auch selbst aktiv in Games erleben können, so eine Prognose von Deloitte. Ob im Netz oder als spektakuläres Kino-Event: Game und Film ist ein weiterer Mega-Kombi-Trend, der qualitativ wie quantitativ immer neue Formen annimmt – auch dank massiver technologischer Entwicklungen wie im Bereich der KI. Die Grenzen zwischen Kino und Game-Welt verschwimmen immer mehr: Gaming-Giganten wie Roblox oder Fortnite veranstalten nie dagewesene Kinoerlebnisse.
Für Rechteinhaber und Distributoren tun sich hier zweierlei Chancen auf: Neue Wege, um ihre Audience zu erreichen, aber auch neue Einnahmequellen. Als die größten Erfolgsstories entpuppten sich zuletzt der Kinofilm zur Spielpuppe „Barbie“ (weltweit erfolgreichster Film des Jahres 2023) und „Super Mario Brothers Movie“, der als erfolgreichste Game-Film jemals gilt und Nintendo 1,3 Milliarden Dollar zusätzlich bescherte. Davor hat kein derartiger Film jemals die 500 Millionengrenze an den Kinokassen überschritten.
Auch das als gedrucktes Buch gestartete Mega-Phänomen Harry Potter, wurde erst zum Kinohit, um dann 2023 in Form von „Hogwarts Legacy“ den Gaming Markt zu erobern – und wird nun, wie kürzlich bekannt gegeben, seine Lebensdauer noch einmal als Serie beim US-Streamingdienst Max verlängern. Die Feedbackschleife zwischen Game und Film scheint endlos. Für 2024 sind daher noch viel mehr TV Shows und Filme auf der Basis von Game Content zu erwarten. Die Kinoeinnahmen für Video Game Content werden sich bis 2025 verdoppeln und jeder größere Streaming-Anbieter wird dann auf Games basierende Shows im Programm haben.
Live und On-Demand und bestenfalls als Video
Content sollte nach Präferenz der User:innen bestenfalls jederzeit und überall verfügbar, also on-demand, sein – gleichzeitig sind interaktive Live-Momente auf Social Media sowie aufwendig inszenierte Auftritte vor Publikum ebenso gefragt. Große Podcast-Namen wie „Hotel Matze“, „Gemischtes Hack“ oder auch der beliebte BAYERN 3 Podcast „True Crime“ bedienen diese Bedürfnisse nach Flexibilität und Nahbarkeit schon längst, indem sie mit ihren Live-Touren die Hallen füllen. Wer nicht beim Live-Event seines Lieblings-Podcasts dabei sein kann, hat im Nachhinein die Möglichkeit mindestens den Audio-Mitschnitt zu streamen, wenn nicht sogar das passende Video auf YouTube zu finden.
Apropos Video: Die Zahl der Videopodcasts wächst kontinuierlich. Im November 2022 hatte der globale Podcast Index noch 39.194 Videopodcasts gelistet – im Mai 2023 waren es bereits über 50.800. Das Team hinter Hotel Matze hat den weltweit anziehenden Video-Podcast-Trend bereits früh erkannt und schneidet seit März 2023 jedes Gespräch per Kamera mit. Über 40 Video-Folgen befinden sich bereits auf dem YouTube-Kanal von Hotel Matze und die vielen Kommentare unter den Clips zeigen, was eine Studie verspricht: Video-Podcast können bei den Zuschauer:innen zu doppelt so viel Beschäftigung mit den Inhalten führen wie Audio-Podcasts. So hat Matzes Video-Interview mit Jürgen Klopp bei YouTube nicht nur bis dato über 678.000 Aufrufe, sondern wurde auch über 570 mal kommentiert.
Journalistisches All-Inclusive Paket
Auch traditionelle Zeitungshäuser müssen und können es schaffen, sich unverzichtbar zu machen, indem sie intelligente und eng an den Kundenbedürfnissen ausgerichtete Content-Pakete kreieren und diese mithilfe neuester Technologie vermarkten. Ohne ein Angebot, in dem unterschiedlichen Medienformate sinnvoll miteinander verbunden werden, so dass die User-Bedürfnisse perfekt befriedigt werden, könnte die Zukunft düster aussehen und noch mehr des Medien- und Unterhaltungskuchens an die Big Tech verloren gehen. Als Best Case für die Bundle-Taktik nennt Evan Shapiro die New York Times, die seit 2010 kontinuierlich ihr Content-Portfolio ausgebaut und den Fokus von Print auf Digital und von Werbung auf smarte Abo-Modelle verschoben hat. Die Marke hat 2023 so viele ihrer Kund:innen wie möglich auf das „All-Access“-Paket umgestellt, das NYT Audio, The Athletic (Sport), Wirecutter (Rezensionen), Cooking und Games umfasst. Die Hoffnung: Mit der Zeit fällt es All-Access-Abonnenten möglicherweise schwerer, das Angebot zu verlassen, und der Preis kann erhöht werden. Es sei beinahe unmöglich, die New York Times zu kündigen, bestätigt auch Evan Shapiro. Denn ein gewieftes, durch maschinelles Lernen und KI gestütztes Kündigungstool, spucke immer neue, unentbehrliche Content-Angebote aus. Ebenso unentbehrlich scheinen die Podcasts der New York Times, die zu den meistgehörten der USA gehören. Auch die Süddeutsche Zeitung weiß, naturgemäß, eine Geschichte weiter zu spinnen und so die Leserschaft zu binden. Nach jahrelanger ausführlicher Berichterstattung über den Finanzwelt-Skandal, läuft derzeit die dritte Staffel des sehr erfolgreichen Podcasts „Wirecard: 1,9 Milliarden Lügen“.
Es bleibt also spannend zu sehen, welche zusätzlichen Formate, Plattformen und Bühnen noch erobert werden, wer im Battle of Bundles zukünftig die Nase vorn hat und welche New Marriages hier zukünftig noch eingegangen werden. Denn darin liegt die Zukunft: Wir müssen die mediale Bedürfnispyramide der Zielgruppen, die wir erreichen UND halten wollen, für sie ideal bedienen und somit zu ihren Must-Have-Anbietern werden, die sie nicht kündigen würden. Das heißt nicht, dass man als Medienhaus in jedem Bereich führend ist, sondern dass man ein sinnvolles Bundle bietet, das im Alltag nicht mehr fehlen darf.
Quellen & nützliche Links:
- Business Insider India: Netflix sets its sights on video games for its next chapter as growth slows for the streaming giant
- Deloitte Insights: TMT Predictions 2024
- Demandsage: Podcast Statistics For 2024 (Listeners & Current State)
- Evan Shapiro Amplified: What to Expect for M&E in 2024
- MEDIENTAGE MÜNCHEN: "Veränderung ist jetzt eine Konstante"
- MEDEINTAGE MÜNCHEN (YouTube): Media War & Peace Evan Shapiro@MTM23
- Riverside: The Future of Video Podcasting for Brands | 2023 Annual Report