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Das waren die Radiodays Europe 2024.

Die Zukunft von Audio: Eine Branche ist auf dem Weg

Von Lukas Schöne, 27. März 2024

Der Ton der Radiodays Europe 2024 in München lässt sich mit „realistisch optimistisch“ beschreiben. Ob beim alltäglichen Umgang mit KI und ihren Auswirkungen auf die Branche, bei der Suche nach neuen Talenten oder beim Einsatz gegen Desinformation und Hate Speech: Die Leidenschaft der Audiomacher:innen ist spürbar. Fünf Beobachtungen.

1. KI ist weder Utopie noch Dystopie

Bei den Radiodays Europe 2023 in Prag gab es den Steve-Jobs-Moment, als Futuri-CEO Daniel Anständig RadioGPT vorstellte. Damals war es nach eigener Aussage das erste vollständig mit KI erstellte Radioprogramm und die Reaktionen im Saal waren geprägt von Begeisterung und Staunen. Es gab aber ebenso viele Sorgenfalten. Ein Jahr später in München war Futuri aus den USA wieder da, doch die Stimmung hat sich verändert. Von Utopien und Dystopien war wenig zu hören. Nachdem viele Audiomacher:innen Erfahrungen gesammelt haben, KI-Systeme integriert und auf Alltagstauglichkeit überprüft, wird der Blick auf Potenziale und Gefahren nüchterner. Erin Callaghan von Futuri und Jott Lischka von radio.cloud aus Bayern hatten Erkenntnisse dabei aus ihrer Arbeit mit den ersten deutschen KI-Sendern Absolut Radio AI (radio.cloud) und bigGPT (Futuri) und warfen einen Blick nach vorne: Zwei KI-Moderatoren, die sich miteinander unterhalten und aufeinander Bezug nehmen können. Interaktion soll das nächste große KI-Ding werden, da sind sich die beiden konkurrierenden Unternehmen einig. Doch die technischen Dienstleister wiesen darauf hin: Radio ist nach wie vor ein menschliches Medium. KI soll in Randzeiten helfen, kann wiederkehrende Aufgaben übernehmen und in der Recherche und Planung unterstützen. Für Tina Zacher, die als Programmdirektorin bei Antenne Deutschland Absolut Radio AI verantwortet, bleibt KI vor allem ein Feld für Experimente: „Lasst uns KI nutzen, um neu zu definieren, was Radio alles sein kann. Denn Radio kann mehr, als wir in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt haben.“ Oder wie KI-Experte Lars Bastholm aus Dänemark es sinngemäß ausdrückte: „Die KI wird sehr vieles besser machen als wir Menschen. Unser Vorteil ist aber: Wir können schön bescheuert sein.“

Lasst uns KI nutzen, um neu zu definieren, was Radio alles sein kann.

Tina Zacher

2. Audio vs. Desinformation

Eine der Dystopien in einer von KI geprägten Welt ist, dass das Netz mit Fake News und Desinformationen geflutet wird und die Grenzen von Realität und Propaganda noch mehr verschwimmen. Gerade im Superwahljahr 2024, in dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung den Gang an die Wahlurnen antritt, ist diese Sorge mehr als berechtigt. Vor diesen gewaltigen Herausforderungen mag manch einer achselzuckend stehen und denken: Was kann ich da schon tun? Die Audiobranche tut was. Immerhin ist Radio in Deutschland laut eine Forsa-Umfrage von Anfang 2024 nach wie vor das Medium, dem die meisten Menschen vertrauen. Audio ist nah bei den Menschen, geht eben ins Ohr und bleibt im Kopf. Das Beispiel von Marianna Spring von der BBC illustriert, welche Wirkung das haben kann. Sie ist dort die erste Korrespondentin für Social Media und Desinformation und hostet die Podcasts „Why do you hate me?“ und „Marianna in Conspiracyland“. Die Formate zeigen die Stärken des Mediums: tief in ein Thema eintauchen – in ihrem Fall Verschwörungserzählungen und Hate Speech – und Menschen eine Stimme geben, die darunter leiden. Sie konfrontiert aber auch Menschen, die Verschwörungsmythen verbreiten und Hasskommentare abgeben. Dafür geht sie raus und spricht mit den Menschen. Die alte journalistische Tugend.

3. Podcast is family

Die Radiodays Europe haben immer etwas von einem Familientreffen. In München wurde deutlich: Podcasts sind längst fester Bestandteil dieser Familie. Sie helfen beim Umbau einer Radio- zu einer Digitalmarke, eröffnen neue Erzählformen und können andere Zielgruppen ansprechen. Was dabei am Ende stehen kann, beweist der erfolgreiche Podcast „Med all respekt“ von NRK Radio aus Norwegen. Darin sprechen fünf Menschen mit verschiedenen Backgrounds und Migrationsgeschichten über alles Mögliche, von Krieg und Rassismus bis hin zum alltäglichen Wahnsinn. Ihre Sprache dabei ist derb, direkt und unverstellt. Die Überzeugung dahinter: Man muss eine Nische ansprechen, um in der Breite erfolgreich sein zu können. Wer von vornherein versucht, alle möglichen Zielgruppen mitzunehmen, zensiert sich selbst und verliert Authentizität. Galvan Mehidi, einer der Macher:innen, sagte sinngemäß: „Unser Erfolg kommt unter anderem daher, dass sich viele Menschen aus migrantischen Communities von den klassischen Angeboten der Medien nicht respektiert und gesehen fühlen.“ Der Podcast mit seiner Formatfreiheit kann dagegen halten. 

4. Lasst sie machen!

„Med all respekt“ ist ein gutes Beispiel für den Appell, der generell von den Radiodays ausging: Verlasst die gewohnten Pfade, um neue Talente zu finden! Denn sie sind die Zukunft der Audiobranche. Es gilt, Menschen mit diversen Hintergründen zu finden, zu fördern und sie machen zu lassen. Keine Angst davor zu haben, Dinge anders zu machen, auch mal bekloppt zu sein oder unbequem. Es sei „the golden Age of Creativity“, verkündete Jean Philip De Tender als Director of Media bei der European Broadcasting Union (EBU). Das goldene Zeitalter kann es werden, wenn man Menschen eine Chance gibt, die auf den ersten Blick nicht in das eigene Programm passen. Der Überzeugung ist auch York Stempel, Programmchef bei 98.8 KISS FM in Berlin. Er lässt Menschen ans Mikro, an die er glaubt: den Schülerpraktikanten, die Volontärin, die erst seit einigen Wochen da ist, den Einwanderer aus den USA. Alle haben inzwischen ihre eigene Sendung. Mit dem alten Vorgehen „erst Praktikum, dann Volontariat, danach Nachrichten-Schicht und nach drei oder vier Jahren vielleicht mal Moderation“ wären sie alle jetzt nicht zu hören.

Nicht ‚listener first‘ oder ‚content first‘, sondern ‚strategy first‘.

Matthias Pfaff

5. Strategie ist Trumpf

Einer der Dauerbrenner bei den Radiodays ist die Strategie-Frage: Wie gelingt der Umbau einer Radiomarke zu einer digitalen Brand? Matthias Pfaff, CDO und Leiter Radioservices bei REGIOCAST, meint, dass es zunächst wichtig sei, die Strategie überhaupt an die erste Stelle zu setzen. „Nicht ‚listener first‘, oder ‚content first‘, sondern ‚strategy first‘”, das ist seine Überzeugung. Nur wenn man die Marke auf eine solide Basis stelle und wisse, wohin die Reise gehen soll, könne man guten Content produzieren und planen, wie man die verschiedenen Kanäle bespielt. Cilla Benkö, CEO vom Schwedischen Radio, ergänzte einige Fragen, die sie und ihr Team sich zur Erarbeitung der Strategie ständig stellen: Was macht die Konkurrenz, was will das Publikum, welche gesellschaftlichen Veränderungen gibt es und welche Technologien sind oder werden wichtig? Daraus gilt es dann ein Angebot zu bauen, das bei den Usern ankommt. Stefan Möller, Präsident der Association of European Radios (AER), hat es richtig festgehalten: „Die Konsumenten interessieren sich nicht für die Technologie. Sie wollen einfachen Zugang. Und den sollten wir ihnen geben.“

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