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Mit Object-based Media zum hyper-individuellen Nutzungserlebnis

Von Benedikt Frank

Noch wird ein und dieselbe Nachricht oft in mühsamer Handarbeit für verschiedene Kanäle aufbereitet. Etwa als Nachrichtenfilm mit unterschiedlichen Laufzeiten, Radio- und Blogbeitrag und schließlich noch einmal als vertikales Video für Social Media. Object-based Media möchte diesen Prozess vereinfachen, indem das Quellmaterial für Maschinen lesbar gemacht wird. So sollen KI-Systeme nicht nur Redaktionen entlasten können, die Inhalte sollen sich auch an die individuellen Bedürfnisse der Nutzer:innen anpassen.

Die Produktionsabläufe in Medienhäusern sind zwar längst voll digitalisiert, doch meist zielen sie zuerst auf die lineare Verbreitung der Inhalte ab. Daraus folgt, dass für jedes neue Format, für jeden neuen Ausspielweg, die Inhalte neu aufbereitet werden müssen, um das optimale Nutzungserlebnis zu präsentieren – falls dafür überhaupt die nötigen Ressourcen zur Verfügung stehen.

Das Schlagwort Object-based Media beschreibt einen Produktionsprozess, der dieses Vorgehen auf den Kopf stellt. Programme sollen nicht mehr im Schnitt montiert und das gleiche Produkt an alle Empfänger:innen gesendet werden. Stattdessen wird das gesamte Quellmaterial direkt verbreitet, zusammen mit einer Anleitung, wie es auf den Geräten der Nutzer:innen zusammengesetzt werden kann.

Jedes Bild, jeder O-Ton, Animationen oder Effekte, Musik und sonstige Medieninhalte sind in diesem Szenario einzelne Objekte. Ein Objekt kann wiederum aus mehreren anderen Objekten zusammengesetzt sein, so wie eine Filmszene aus mehreren Bildeinstellungen besteht oder eine Melodie aus unterschiedlichen Tönen. Damit Computerprogramme diese automatisch verarbeiten können, bedarf es Metadaten, die den Inhalt genauer beschreiben, beispielsweise was essenziell und was Ausschmückung ist, oder auch welche Inhalte im Kontext zu einem Objekt passen oder nicht.

Das Konzept Object-based Media erklärt ein Schaubild der BBC anschaulich:

Quelle: BBC R&D

Vom einheitlichen Programm zum hyper-individuellen Nutzungserlebnis

Durch dieses Vorgehen sind die Möglichkeiten zur Interaktion und Individualisierung fast nur noch durch die Vorstellungskraft und die vorhandenen Userdaten begrenzt. Nicht nur lassen sich so Layout und Dauer von Inhalten mit einem Klick für unterschiedliche Ausspielformate und Social-Media-Plattformen optimieren. Sie können sich auch hyper-individuell etwa an das Zeitbudget einzelner Nutzer:innen anpassen. So kann sich die Länge eines Podcast etwa nach der Fahrzeit richten, je nachdem ob Stau zu erwarten ist oder nicht. Eine Magazinsendung kann Schwerpunkte dem Interesse einzelner Nutzer:innen entsprechend setzen. Auch automatische Recaps von TV-Sendungen oder dem Terminkalender entsprechende Wetterberichte sind denkbar. Zudem schafft die Technologie die Grundvoraussetzung für kostengünstige Barrierefreiheit, etwa um Schriftgrößen im Fernsehen für Menschen mit Sehschwäche anzupassen.

Wieso Medienhäuser sich damit auseinandersetzen sollten? Nutzer:innen greifen immer häufiger auf Angebote zu, die sich ihren jeweiligen Bedürfnissen anpassen. Medienhäuser, die ihnen das liefern, sichern sich einen Marktvorteil. Der PwC Global Entertainment & Media Outlook Report sagte unter dem Titel „Getting personal” voraus, dass Personalisierung weiterhin eine zentrale Rolle beim Medienkonsum spielen wird. Object-based Media ist die Grundlagentechnologie für noch individuellere Medienerfahrungen.

BBC-Experimente mit Object-based Media

Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der BBC beschäftigt sich intensiv mit Object-based Media. Sie hat Szenarien entworfen, wie die Technologie Medienproduktion und -konsum verändern könnte. Dabei sind auch einige funktionale Prototypen entstanden. Die tausendste Episode des Technologie-Magazins Click gestaltete die BBC komplett interaktiv. Im Stil eines „Choose Your Own Adventure”-Games konnte das Publikum immer wieder entscheiden, wie der Moderator handeln soll, welche Themen es interessiert findet und ob es noch weitergehende Information wünscht.

Die interaktive Episode 1000 des Technik-Magazins Click / Quelle: Screenshot BBC

Außerdem experimentiert die BBC mit Responsive Radio als Anwendungsfall von Object-based Media und lässt etwa Fußballfans wählen, von welchem Ende des Wembley Stadions sie dem Live-Kommentar eines Fußballmatches folgen möchten – als würden sie im Fanblock ihrer Lieblingsmannschaft stehen. Mit Squeezebox hat die BBC ein Werkzeug entwickelt, das Nachrichten je nach gewünschter Länge automatisch montiert.

Beim BBC-Experiment zu Responsive Radio kann man wählen, auf welcher Stadionseite man welche Fangesänge hört. / Quelle: BBC

Object-based Audio

Zwischen 2015 und 2018 forschte das Project Orpheus an Grundlagen und Anwendungsfällen für Object-based Audio. Beteiligt waren neben der BBC und dem Bayerischen Rundfunk auch das Fraunhofer-Institut IIS und das Institut für Rundfunktechnik. 

Verbreitungsweg Object-based Audio: Der ausgespielte Ton wird erst im letzten Schritt bei Empfänger:innen zusammengesetzt. / Quelle: IRT Lab

Das IRT sammelte Demos, wie Object-based Media im Audiobereich genutzt werden kann. Darunter befindet sich etwa ein interaktiver Audio-Player, bei dem die Hörer:innen nicht nur für Lautsprecher oder Kopfhörer optimieren können, sie können die eigene Hörposition im Raum verändern und auch den Standort jedes einzelnen Instruments. So dirigieren sie selbst ihr Hörerlebnis. Ein anderer Anwendungsfall des IRT ist eine Modifikation des ARD-Mediathek-Players, die erlaubt, bei einer Tatort-Episode auf eine alternative Tonspur umzuschalten, durch die Sprache einfacher zu hören ist, oder mit einer binauralen 3D-Audio-Version noch tiefer ins Geschehen einzutauchen.

Die Experimente mit Object-based Audio des IRT: Als Hörer:in das Orchester dirigieren und die Tatort-Tonspur den eigenen Bedürfnissen anpassen. / Quelle: Screenshot IRT

Vom Forschungsobjekt zum produktiven Einsatz

Noch ist Object-based Media nicht der große Sprung von der Forschung zum Produktionsalltag in Medienhäusern gelungen. Das könnte sich aber bald ändern. Im April 2021 kündigte die BBC ein Projekt an, um auszuprobieren, wie Object-based Media im großen Stil genutzt werden kann. Dafür will der britische Sender zusammen mit der Universität Surrey eine KI-Technologie entwickeln, die Audio und Video automatisiert in Objekte gliedern und mit Metadaten versehen kann. Mit der Universität Lancaster will die BBC Methoden entwickeln, um mit Object-based Media individuelle Medienerlebnisse effizient zu einem Massenpublikum zu transportieren.

Es ist eine große Herausforderung, Object-based Media zum Durchbruch zu verhelfen. Denn es handelt sich nicht nur um eine einzelne Technologie, sondern um ein neues Paradigma, das den gesamten Produktionsprozess und die Distribution umkrempelt. Die Umsetzung von Object-based Media in Medienunternehmen ist somit nicht nur eine technologische Frage, sondern auch eine organisatorische, wirtschaftliche und kulturelle. Es gilt unter anderem, neue Produktionswerkzeuge zu entwickeln, Schnittstellen zu bestehenden digitalen Audio- und Video-Workstations zu finden und Redaktionen auf neue Prozesse einzustimmen. Insbesondere der Aufwand zur Erfassung von Metadaten schreckt Medienhäuser hab – hier könnte KI den Durchbruch bringen. Und auch auf Seite der Empfänger:innen müssen Apps und Plattformen entstehen, die auf Object-based Media ausgerichtet sind.

Bedeutung für die Medienbranche in Bayern

An der Forschung zum Einsatz von Object-based Audio im Radiobereich war in Bayern neben dem Fraunhofer-Institut IIS in Erlangen der Bayerische Rundfunk (BR) beteiligt. Hierbei wurden wichtige Grundlagen erarbeitet sowie erste Apps ausprobiert. Aktuell nutzt der BR Object-based Audio bereits als Grundlage für Hörspiele, in denen die Zuhörer:innen via Sprachsteuerung die Handlung mitbestimmen können. In „Der Tag X“ navigiert man als Hörer:in durch eine Welt, die im Chaos versinkt. In der ersten Folge von „Tatort – Das interaktive Hörspiel“ hilft man dem Assistenten von Batic und Leitmayr, Kalli Hammermann, einen Fall zu lösen. Zudem ist die Technik im Hintergrund von Virtual Reality und Augmented-Reality-Projekten zu finden.

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Insbesondere im non-fiktionalen Bereich gibt es noch viel Potential für neue Entwicklungen. Noch sucht man für Object-based Media Wege, die Konzept- und Experimentierphase zu verlassen und praktische Umsetzungen für den produktiven Einsatz als Massenmedium zu finden. Wie kann die Vision von hyperindividuellen Inhalten auch in den Bereichen Nachrichten und Information umgesetzt werden? Für Startups bietet sich die Chance, Lösungen für Probleme zu entwickeln, die Medienunternehmen derzeit noch vom breiteren Einsatz abhalten. Anbieter von digitaler Produktionstechnik können Schnittstellen schaffen, um Object-based Media Workflows zu vereinfachen.

Vor allem aber sind die bayerischen Medienhäuser gefragt. Wollen die Sender die Zukunft der Medientechnologie mitgestalten, müssen sie evaluieren, wie Object-based Media ihre Produktionsabläufe effizienter gestalten und ihre Zielgruppe mit individualisierbaren Inhalten erreichen kann und sich für die Entwicklung von Lösungen engagieren. Rechnen könnte sich das schon in absehbarer Zeit, denn der Trend zu individualisierten Medieninhalten hält an.

Quellen & nützliche Links

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