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Fakten, Fakten, Fakten: Warum Fact-Checking immer wichtiger wird

Von Stefanie Ruth Heyduck

Falschmeldungen, Fake News, Lügen – in einem Wort: Desinformation. Ihre Verbreitung ist zu einem echten Problem für Medien und Gesellschaft geworden. Jährlich entsteht ein Schaden von bis zu 78 Millionen US-Dollar. Medienhäuser und spezialisierte Unternehmen halten mit Fact-Checking-Angeboten dagegen und bauen so neue Geschäftsmodelle auf.

Fakten, Fakten, Fakten – dieser Slogan von Helmut Markwort für sein 1993 erschienenes Nachrichten-Magazin „Fokus“ ist legendär. Mit dem Siegeszug von Social Media wurde 2011 das Ende des Gatekeeper-Journalismus verkündet. Leser:innen, Hörer:innen und Zuschauer:innen sollten nicht länger von der Auswahl der Nachrichtenredaktion abhängig sein und selbst entscheiden können, was sie interessiert. Diese Gestaltungsfreiheit wird jetzt durch Algorithmen, Filter-Blasen und Fake News beeinflusst.

Nachrichten- und Rechercheprofis müssten gefragter sein denn je. Trotzdem haben Medien weiterhin ein Vertrauensproblem, wie das Edelman-Trust-Barometer 2021 zeigt. Ganze Abteilungen und spezielle Firmen widmen sich dem Fact-Checking, dem Faktencheck.    

Quelle: Statista – Glaubwürdigkeit einzelner Medien

Was ist Fact-Checking?

Fakten checken ist kein neues Berufsbild. Recherchierende, Faktenchecker:innen wurden vermutlich schon in den 1920er-Jahren eingesetzt. Ambitionierte Autor:innen, künftige Redakteur:innen oder Freiberufler:innen, meist Frauen, konnten so Fuß in der Verlagswelt fassen.

Auch beim Spiegel gibt es seit den 1950er-Jahren „die Dokumentation“. Hier arbeiten Jurist:innen, Mediziner:innen, Religionswissenschaftler:innen, Physiker:innen und Historiker:innen. Jeder Spiegel-Artikel wird vor der Veröffentlichung verifiziert. Überprüft wird die Quellenlage, jeder einzelne Fakt, die Plausibilität der Argumentation und die Authentizität der Fotos. 2017 arbeiteten 70 Dokumentar:innen in der Abteilung.

Die Arten des Faktenchecks

Zwei Richtungen lassen sich unterscheiden. Faktenprüfung vor der Veröffentlichung, was in vielen Medienhäusern eigene Ressorts übernehmen. Oder Verifikation von Behauptungen und Meldungen nach einer Veröffentlichung, wie es etwa die Washington Post oder der BR-Faktenfuchs machen.

  1. Fact-Checking als klassische journalistische Leistung: Auch klassische journalistische Angebote überprüfen zuweilen die Inhalte anderer Medien und stellen diese richtig, ohne dafür eigene Ressortstrukturen zu schaffen. Folgende Meldung schlug 2019 große Wellen und wurde in vielen Medien verbreitet. Lungenärzte stellten die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid in Frage. Die Redakteure der TAZ rechneten nach und stellten fest: die Pressekolleg:innen waren falschen Informationen auf den Leim gegangen.
  2. Fact-Checking als eigenes Ressort: Manche Medienangebote, wie tagesschau.de, haben für das Fact-Checking ein eigenes Ressort – in diesem Falle den „Faktenfinder“ – geschaffen.
  3. Fact-Checking direkt auf den Plattformen: Hier sind für Deutschland vor allem die Angebote des spendenfinanzierten Recherchezentrums Correctiv und neuerdings auch der Deutschen Presse-Agentur (dpa) relevant, die mit Google und Facebook zusammenarbeiten, um Falschinformationen direkt auf den Plattformen zu begegnen.
  4. Crowd-Fact-Checking: In sozialen Netzwerken kommen auch Bürger:innen zum Einsatz, die Fact-Checking betreiben. Angebote wie die Reporterfabrik versuchen dabei die Medienkompetenz zu stärken, um Menschen auf die heutige „journalistische Gesellschaft“ vorzubereiten.

Warum wird Fact-Checking immer wichtiger?

Im Jahr 2019 hat die Verbreitung von Fake News weltweit einen finanziellen Schaden von 78 Milliarden US-Dollar verursacht. Obwohl die meisten Befragten einer Statista-Umfrage angeben, Fake von Fakt unterscheiden zu können, sieht die Realität oft leider anders aus. Faktenprüfer:innen können hier zu einer wichtigen Unterstützung werden.

Quelle: Statista - Unterscheidung Fakten von Fake News
Quelle: Statista – Fake News unterscheiden

Genauso für die Medienbranche selbst. Denn hier zählt der Faktor Zeit. Die Berichterstattung zur CoVid-19-Pandemie ist ein gutes Beispiel. Täglich müssen Journalist:innen Unmengen an Statistiken, Presseerklärungen, Regierungserklärungen und medizinischen Studien sichten, bewerten und in Echtzeit verarbeiten. Von Beiträgen in sozialen Netzwerken ganz abgesehen. Ohne Fact-Checking sind diese Aufgaben nicht zu bewältigen.

Quelle: Tanja Köhler (Hrsg.): Fake News, Framing, Fact-Checking

Pinocchio eine lange Nase drehen

Donald Trump war zwar nicht der Erfinder von Fake News und manipulierter Online-Berichterstattung, aber mit seiner Präsidentschaftswahl 2016 in den USA ist die Gefahr von Desinformation sicherlich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Die New York Times hat sich anfangs noch die Mühe gemacht, die Lügen Donald Trumps zu zählen, aufzulisten und zu widerlegen. Die Washington Post prüft seit Herbst 2007, als Teil der Berichterstattung über die Präsidentschaftskampagne 2008, den Wahrheitsgehalt von Politikerreden. Und vergibt als Ranking Pinocchios.

Die Nachrichtenagenturen AFP und dpa haben jeweils Ressorts gegründet und Produkte entwickelt, die sie nicht nur für ihre eigenen Recherchen nutzen, sondern auch Firmen und sozialen Netzwerken zur Verfügung stellen. Die dpa hat zum Beispiel gemeinsam mit dem Google News Lab den FaktenCheck21 ins Leben gerufen – mit dem Ziel, im Wahljahr Medienhäuser bei der Ausbildung von eigenen Faktenchecker:innen zu unterstützen. So wie es auch die ARD bereits mit ihrem Faktenfinder tut.

Noch lässt sich mit Fact-Checking nicht viel Geld verdienen. Dabei ist die Arbeit zeitintensiv und aufwändig. Die größten Kunden der Medienhäuser im Kampf gegen Desinformation sind die Plattformen selbst, auf denen sie verbreitet werden. Facebook beispielsweise arbeitet mit knapp 50 Anbietern zusammen, um die Verbreitung von falschen Informationen zu unterbinden. In Deutschland etwa mit der dpa, AFP und Correctiv.

Unabhängige Faktenchecker

Unter dem Slogan „Fakten für die Demokratie“ arbeiten bei Correctiv 40 Mitarbeitende. Das unabhängige Medium wurde vielfach für seinen investigativen Journalismus ausgezeichnet. Mitgewirkt haben die Reporter:innen zum Beispiel bei Recherchen zum CumEx-Steuerskandal oder dem AfD-Spendenskandal.

Quelle: Statista – Fakten in der Politik

Facts for Friends wählt einen etwas anderen Ansatz. Weil viele Nutzer:innen auf sozialen Medien Fakten nicht von Fake unterscheiden können, sammelt das Startup die ausführlichen Recherchen renommierter Faktenchecker:innen und verarbeitet sie zu leicht teilbaren „Fact Snacks“. Zu ihren Quellen gehören ausschließlich Anbieter, die Teil des International Fact Checking Network sind.

Weiterbildung für Leser:innen und Journalist:innen

wafana war die erste Factchecking-Agentur Deutschlands. Mittlerweile coachen die Gründerinnen Johanna Wild und Ursula Trischler Redaktionen im Umgang mit Fake News und entwickeln dafür Software. Die beiden erfahrenen Journalistinnen wissen, dass viele ihrer Kolleg:innen keinen User-Generated-Content nutzen, weil sie im schnellen Redaktionsalltag nicht überprüfen können, was davon wahr ist und was nicht. Deshalb bieten sie Tagesseminare für Redaktionen sowie journalistische Aus- und Weiterbildungsstätten an und schulen Journalistenkolleg:innen in den Grundlagen der Online-Verifikation.

Dem Thema „Wie man Fake News erkennt“ widmet die Reporterfabrik ein eigenes Modul seiner Online-Kurse. Die „Journalistenschule für jede und jeden“ ist nicht nur Digitalfortbildung für Journalist:innen, sondern will auch der Öffentlichkeit journalistisches Wissen und Handwerk weitergeben.

Entwicklungen am Standort Bayern

Auch am Medienstandort Bayern gibt es mit dem BR #faktenfuchs und dem Digitalprojekt der Süddeutschen Zeitung zur Corona-Pandemie zwei prominente Beispiele im Bereich Faktenchecken. Das Faktenfuchs-Team vom Bayerischen Rundfunk zählt mittlerweile über zehn feste Autoren, arbeitet aber auch mit anderen Fachabteilungen zusammen. Ihre Themen finden die Faktenfüchse in den sozialen Netzwerken oder über Nutzer-Kommentare. Heißdiskutierte Themen, aktuelle Debatten, Hintergrund- und Erklärstücke überprüfen die Autor:innen und fassen sie anschließend ausführlich und verständlich zusammen. Auch Bilder und Videos werden auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Die Kolleg:innen vom Bayerischen Rundfunk haben außerdem eine sehr hilfreiche und ausführliche Linksammlung zum Verifizieren von Bildern, Videos und Fakten zusammengestellt.

Quelle: BR Faktenfuchs

Egal ob Faktenchecks innerhalb einer Redaktion, eines Verlags oder über ein eigenständiges Unternehmen erarbeitet werden, das Potenzial für neue Geschäftsmodelle in diesem Bereich ist groß. Nicht zurück zum Gatekeeper-Journalismus, aber zurück zum Vertrauen in professionelle Berichterstattung mit fundiert recherchierten Fakten und verifizierten Informationen.

Zahlen und Studien

Quellen und nützliche Links

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